Peter Tremayne - Ein Totenhemd für einen Erzbischof

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Anno Domini 664: Wighard von Canterbury, der künftige Erzbischof, fällt in Rom einem Raubmord zum Opfer. Ronan, ein irischer Mönch, gerät in Verdacht, beteuert aber seine Unschuld. Der Fall droht, einen Krieg zwischen Angelsachsen und Iren auszulösen. Um das Schlimmste zu verhindern, wird die unbestechliche Schwester Fidelma mit den Ermittlungen betraut.
Bei ihren Nachforschungen stößt Schwester Fidelma auf das zwielichtige Vorleben des ermordeten Würdenträgers ...
Die Originalausgabe erschien 1995 unter dem Titel

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Für Peter Plaining, der bei der Taufe Pate stand, und für Mike Ashley -Schwester Fidelmas

erste «Konvertiten».

Ein Rechtsprinzip herrscht überall:

das Interesse des Stärkeren.

Plato (427-347 v. C.) Der Staat

HISTORISCHE ANMERKUNG

Diese Geschichte spielt im Rom des Spätsommers 664 n. C.

Leserinnen und Leser, denen dieses «dunkle Zeitalter» bisher noch nicht vertraut war, sollten wissen, daß der Zölibat für Ordensfrauen und -männer sowohl in der römisch-katholischen als auch in der später «keltisch» genannten Kirche noch längst nicht überall verbreitet war. Zwar hat es schon immer Asketen gegeben, die zugunsten der vollkommenen religiösen Hingabe auf die körperliche Liebe verzichteten. Doch erst das Konzil von Nicäa im Jahre 325 n. C. mißbilligte die Eheschließung von Geistlichen, ohne sie allerdings ganz zu verbieten. In der römischen Kirche ging der Zölibat auf das Keuschheitsgelübde der heidnischen Vestalinnen und Diana-Priester zurück. Im fünften Jahrhundert verbot Rom allen Klerikern vom Rang eines Abts oder Bischofs den Geschlechtsverkehr mit ihren Ehefrauen; wenig später wurde daraus ein Heiratsverbot, das für Geistliche von niederem Rang allerdings keine Gültigkeit hatte. Erst unter Papst Leo IX. (1049-54 n. C.) unternahm die römische Kirche den ernsthaften Versuch, den gesamten westeuropäischen Klerus zur Unterwerfung unter den Zölibat zu zwingen, während die Priester unterhalb des Rangs eines Abts oder Bischofs in der osteuropäischen orthodoxen Kirche ihr Recht zu heiraten bis auf den heutigen Tag behalten haben.

Der keltischen Kirche dagegen blieb die Verdammung der «sündigen Fleischeslust» auch dann noch fremd, als Rom den Zölibat längst zum Dogma erhoben hatte. Ja, im Einflußbereich der keltischen Kirche kam es recht häufig vor, daß Nonnen und Mönche in conhospitae , sogenannten Doppelhäusern, zusammenlebten und ihre Kinder im Dienste Christi gemeinsam aufzogen. Das muß man wissen, um die in dieser Geschichte dargestellten Verwicklungen zu verstehen.

I

DIE NACHT WAR WARM UND VON EI-

nem so schweren Duft erfüllt, wie dies nur bei einer römischen Sommernacht der Fall sein kann. Über dem dunklen Innenhof des Lateranpalasts lag das bittersüße Aroma der in den gepflegten Rabatten wachsenden Kräuter; in der Schwüle war der aufdringliche Geruch nach Basilikum und Rosmarin kaum zu ertragen. Der junge Offizier der Palastwache hob die Hand, um sich die Schweißtropfen abzuwischen, die sich unter dem Visier des Bronzehelms auf seiner Stirn gesammelt hatten. Trotz der Hitze wußte er, daß ihm sein grobwollener, lose über die Schultern hängender sagus in den kühlen Stunden vor der Morgendämmerung gute Dienste leisten würde.

Die einzige Glocke der nahe gelegenen St.-Johannes-Basilika schlug Mitternacht, die Stunde des Angelus. Pflichtbewußt murmelte der junge Offizier das vorgeschriebene Gebet: «Angelus Domini nuntiavit Mariae ... Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft ...» Er murmelte, ohne nachzudenken, ohne Gefühl für die Worte oder den Sinn der Sätze, und vielleicht lag es gerade an dieser mangelnden Aufmerksamkeit, daß ihm trotz des Gebets das verdächtige Geräusch nicht entging.

Obgleich die Tenorglocke unbeirrt weiterläutete und der kleine Brunnen in der Mitte des Innenhofs stetig plätscherte, hatte er es ganz deutlich vernommen: das Scharren weicher Lederschuhe auf den Pflastersteinen. Der junge custos runzelte die Stirn und neigte angestrengt lauschend den Kopf, um herauszufinden, aus welcher Richtung es gekommen war.

Er war sich sicher, daß er von der anderen Seite des von dunklen Schatten erfüllten Innenhofs schwere Schritte gehört hatte. «Wer da?» fragte er.

Er erhielt keine Antwort.

Vorsichtig zog er sein Schwert, das breite gladius , mit dem die berühmten römischen Legionen einst den Völkern der Welt ihren Willen aufgezwungen hatten. Aber das war jetzt Vergangenheit. Inzwischen verteidigte dieses Schwert die Sicherheit eines Palasts, in dem kein Geringerer residierte als der Bischof von Rom, der Heilige Vater der einzigen christlichen Kirche - Sacrosancta Laternensis ecclesia, omnium urbis et orbis ecclesiarium mater et caput. «Wer da? Zeigt Euch!» befahl er mit barscher Stimme.

Wieder bekam er keine Antwort, jedoch . ja, ganz deutlich vernahm der junge Offizier jetzt hastig davoneilende, schlurfende Schritte. Jemand flüchtete aus dem Innenhof in einen der dunklen Gänge, die in andere Teile des Palasts führten. Der custos verfluchte die undurchdringliche Finsternis, als er rasch über das Pflaster lief, um in den fraglichen Gang zu spähen. In der Dunkelheit konnte er jedoch nur eine geduckt davonhuschende Gestalt erkennen.

«Halt! Stehenbleiben!» rief er, wobei er versuchte, möglichst herrisch zu klingen.

Die Gestalt begann zu rennen, so daß ihre flachen Sandalen laut auf die Pflastersteine klatschten.

Der custos vergaß seine soldatische Würde und stürmte hinterher. Obwohl er jung und wendig war, schien sein Gegner ihm an Geschicklichkeit überlegen zu sein, denn als er das Ende des Durchgangs erreichte, war von dem Verfolgten nichts mehr zu sehen. Der Gang mündete in einen größeren Innenhof, der, anders als der kleinere Hof, in dem der junge custos Wache gehalten hatte, von mehreren lodernden Fackeln hell erleuchtet wurde. Dafür gab es einen einfachen Grund, denn dort lagen die Gemächer der päpstlichen Verwalter, während der kleinere Hof nur zum Gästehaus des Palasts gehörte.

Der Offizier blieb stehen. Argwöhnisch blickte er sich auf dem großen, rechteckigen Platz um und entdeckte auf der anderen Seite, vor dem Eingang zu einem der Hauptgebäude, zwei seiner Kameraden. Doch wenn er sie zur Hilfe rief, würde er den Verfolgten warnen. Er preßte die Lippen zusammen und prüfte noch einmal jede Ecke und jeden Winkel des Innenhofs, aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte niemanden erkennen. Gerade wollte er zu seinen Kameraden gehen, um sie zu fragen, ob sie jemanden aus dem Durchgang hatten kommen sehen, als ihn ein leises Geräusch zu seiner Linken innehalten ließ.

Er wirbelte herum und starrte in die Finsternis.

Vor einer der Türen zum Hof stand eine dunkle Gestalt.

«Wer seid Ihr?» fragte er mit rauher Stimme.

Der Angesprochene fuhr erschrocken zusammen, gab aber keine Antwort.

«Tretet vor und gebt Euch zu erkennen!» befahl der Offizier, das gezückte Schwert vor dem Brustpanzer zum Angriff bereit.

«Im Namen Gottes!» keuchte eine schmeichelnde Stimme. «Zuerst müßt Ihr mir sagen, wer Ihr seid!»

«Ich bin tesserarius Licinius von den Palast- custodes. Und jetzt nennt mir endlich Euren Namen!» entgegnete der junge Mann, überrascht von dieser Antwort. Licinius konnte ein Gefühl des Stolzes nicht unterdrücken, war er doch erst vor kurzem befördert worden. In der alten kaiserlichen Armee war der tesserarius der Offizier, der vom General die schriftliche Tagesparole - die tessera, - bekam. Bei den custodes des Lateranpalasts bezeichnete dieser Titel den diensthabenden Wachoffizier.

«Ich bin Bruder Aon Duine», lautete die mit dem lispelnden Akzent eines Fremden vorgetragene Antwort. Dabei trat der Mann einen Schritt vor, so daß das flackernde Licht einer Fackel auf sein Gesicht fiel. Licinius bemerkte, daß der Fremde recht rundlich war und beim Sprechen keuchte wie jemand, der unter Atemnot litt oder kurz zuvor rasch gelaufen war.

Licinius musterte den Mann mißtrauisch und winkte ihn zu sich, um ihn besser in Augenschein nehmen zu können. Der Bruder hatte ein Mondgesicht und trug die in Rom unübliche Tonsur eines irischen Mönchs: Der vordere Teil seines Kopfes war völlig glattrasiert.

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