Die Frau stand einen Augenblick wie angewurzelt da und schaute auf Gwnda. Fidelma fiel auf, wie intensiv sie ihn ansah, beinahe feindselig. Bruder Meurig und Eadulf bemerkten das offenbar nicht, ebenso wie Gwnda, der Bruder Meurig gerade einen Stuhl anbot. Erst danach wurde er gewahr, daß Buddog ihm nicht gehorcht hatte. Erstaunt runzelte er die Stirn.
»Unsere Gäste brauchen jetzt eine Erfrischung, nicht erst morgen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde harrte Buddog noch aus, dann entfernte sie sich ohne ein weiteres Wort.
Außerdem registrierte Fidelma, daß Elen die ganze Zeit über an der Tür gestanden und die Szene beobachtet hatte. Als Buddog an ihr vorbeischritt, warfen sich die beiden einen bedeutungsvollen Blick zu. Darauf drehte sich Elen um und schloß die Tür. Fidelma hätte allzugern gewußt, was hinter ihrem Verhalten steckte. Im Hause des Fürsten von Pen Caer herrschte offenbar eine gespannte Atmosphäre. Interessant, dachte Fidelma.
Gwnda bedeutete Fidelma und Eadulf, sich zu Bruder Meurig an das lodernde Feuer zu gesellen. Eine andere Magd brachte einen Krug Met und schenkte ihn aus.
»Wir sind wohl gerade zum richtigen Zeitpunkt eingetroffen«, sagte Fidelma, als sie an dem honigsüßen Met nippte. »Offensichtlich warst du der Gefangene deiner eigenen Leute.«
Gwnda warf ihr einen abschätzenden Blick zu. Dann nickte er langsam. »Aufruhr, so muß man das nennen«, bestätigte er gereizt. »Ich kann verstehen, warum einige der Leute sich von ihrem Zorn haben leiten lassen. Bei so einer Sache gehen die Gefühle mit einem durch.«
Bruder Meurig betrachtete ihn ernst. »Dein Verständnis ist höchst löblich, Gwnda. Doch so einen Aufruhr darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Was ist passiert?«
Gwnda machte eine wegwerfende Geste. »Mein eigenes Volk, dumm und fehlgeleitet, hat mich und mein Gefolge hier eingesperrt. Dann haben sie den Gefangenen geholt und wollten ihn hinrichten.«
Bruder Meurigs Blick war düster geworden. »Sie haben dich und deine Familie eingesperrt und den Jungen gewaltsam aus deinem Gewahrsam entführt? Das ist bisher beispiellos.«
»Wenn es derart beispiellos ist, wird das Ereignis in die Annalen der Geschichte eingehen. Iorwerth, der diesen üblen Aufstand anführte, ist der Vater des Mädchens, das Idwal vergewaltigt und ermordet hat. Es ist verständlich, daß er sich von seinem Streben nach Vergeltung leiten ließ. Ich kann ihn nicht mit gutem Gewissen verurteilen.«
»Du bist sehr nachsichtig«, bemerkte Bruder Meurig.
»Das klingt ja, als hättest du den Jungen schon für schuldig befunden, Gwnda. Weshalb ist dann noch ein Richter nötig?« mischte sich Fidelma ein.
Gwnda lächelte herablassend. »Wie ich feststellen muß, bist du nicht von hier, Schwester. Ich werde dir später die Gesetze dieses Landes erläutern. Das Recht ist eine komplizierte Sache.«
Bruder Meurig hüstelte. »Fürst Gwnda, Fidelma ist nicht nur die Schwester des Königs von Cashel, sie ist auch eine befähigte dalaigh, eine Anwältin ihres Landes in einer Position, die der meinen vergleichbar ist. Sie wurde von Gwlyddien, unserem König, mit persönlichen Vollmachten ausgestattet, um das rätselhafte Ereignis von Llanpadern aufzuklären.«
Gwnda errötete.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Fidelma gab nicht nach. »Deinen Worten entnehme ich, daß du den Jungen vorverurteilst.«
Dem Fürsten von Pen Caer war offenbar nicht ganz wohl in seiner Haut. »Ich habe nach einem Richter geschickt, weil ich denke, daß man die Gesetze einhalten muß. Unabhängig davon halte ich den Jungen für schuldig.«
Eine der Frauen brachte ein Tablett mit Speisen und weiteren Getränken herein und stellte es auf dem Tisch ab. Die Unterhaltung verstummte. Gwnda bat seine Gäste, am Tisch Platz zu nehmen. Es gab aufgeschnittenen Braten, Käse, pikante Pasteten und Haferbrot. Becher mit Met und frischem Wasser standen bereit.
Fidelma nutzte die Gelegenheit, Eadulf zu fragen, ob er der Unterhaltung einigermaßen hatte folgen können. Eadulf sagte, er verstehe, worüber man rede, sei der Sprache jedoch nicht so mächtig, um etwas beitragen zu können.
»Man hat dich also geschickt, um das Geheimnis der verschwundenen Klostergemeinde aufzudecken?« wandte sich Gwnda nun an Fidelma.
»Was weißt du darüber?« fragte Bruder Meurig.
»Llanpadern befindet sich nur drei Meilen von hier entfernt. Wir haben weder etwas bemerkt noch etwas gehört, bis einer unserer Schäfer uns davon berichtete.« Er war nachdenklich geworden. »Es war ebenjener Idwal, er kam hierher und erzählte meinen Leuten, daß die Mönche wie vom Erdboden verschluckt seien. Das war genau an dem Vormittag, als er Mair umgebracht hat.«
»Hast du jemanden losgeschickt, um seine Geschichte zu überprüfen?«
Gwnda schüttelte den Kopf. »Als mir Buddog, meine Dienerin, berichtete, was Idwal ihr erzählt hatte, war Mair schon tot. Idwal war bereits gefangengenommen worden. Wir waren ganz mit dem Mord beschäftigt, und dann habe ich jemanden losgeschickt, um von Dewi Sant einen Richter anzufordern. Erst heute vormittag habe ich mich an die Geschichte mit Llanpadern erinnert. Natürlich war es da zu spät.«
»Zu spät? Was meinst du damit?«
»Ja, wißt ihr es denn nicht?« fragte Gwnda überrascht. »Der junge Dewi, der Sohn von Goff, dem Schmied von Llanferran, teilte uns heute früh mit, daß die Klostergemeinde von Seeräubern entführt wurde. An der nahe gelegenen Küste hat man ein paar tote Mönche gefunden. Wahrscheinlich sind sie bei einem Fluchtversuch heimtückisch erschlagen worden.«
Diese Nachricht machte alle sprachlos und tief betroffen.
Bruder Meurig fragte leise: »War Bruder Rhun unter den Opfern?«
»Das weiß ich nicht. Dewi sagte, daß die Leute von Llanferran die toten Mönche begraben hätten. Wenn sich Bruder Rhun darunter befunden hat, hätten sie es uns sicher mitgeteilt.«
»Und hat dieser Dewi aus Llanferran gesagt, wer die Seeräuber waren?« fragte Fidelma ruhig.
»O ja. Es waren Angelsachsen.«
Die darauffolgende Stille wurde nur von Eadulf unterbrochen, der verlegen auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Er hatte alles verstanden und wich nun Fidelmas Blicken aus.
»Dieser Junge, den ihr Dewi nennt, ist er ein zuverlässiger Zeuge?«
Gwnda nickte. »Sein Vater, Goff, ist ein sehr angesehener Mann. Llanferran liegt nicht weit von hier, wenn du dich selbst vergewissern willst.«
»Hast du viel Kontakt zum Kloster Llanpadern?«
»Eigentlich nicht. Ich kannte den Klostervorsteher, Pater Clidro, ziemlich gut. Er war ein großherziger frommer Mann und ein hervorragender Gelehrter. Aber wir haben mit den Mönchen nur wenig Handel getrieben.«
»Du hast gesagt, daß Idwal euch als erster von den verschwundenen Mönchen erzählt hat?« fragte Fidelmanachdenklich. »Das muß vor zwei Tagen gewesen sein, oder?«
»Er hat das meiner Dienerin Buddog erzählt, nicht mir.«
»Ich muß unbedingt mit Idwal darüber sprechen, was er gesehen hat.«
»Der wiederum ist kein zuverlässiger Zeuge«, bemerkte Gwnda sarkastisch.
Fidelma zog die Augenbrauen ein wenig hoch. »Warum? Weil er sich jetzt in dieser mißlichen Lage befindet?«
»Keineswegs. Idwal hat behauptet, daß die Gemeinde einfach verschwunden sei. Puff! Wie Rauch im Wind. Daß es keine Anzeichen für Gewalt gab. Wenn die Angelsachsen Llanpadern geplündert und die Mönche entführt haben, wie Dewi berichtet, dann muß man doch sehen, daß dort ein Überfall stattgefunden hat.«
Fidelma verkniff sich, Gwnda zu sagen, daß Idwals Darstellung mit der von Bruder Cyngar übereinstimmte.
»Warum hielt sich Idwal zu dieser Zeit in Llanpadern auf?« wollte sie wissen.
»Der Junge ist ein umherziehender Schafhirte und wandert häufig über die Berge.«
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