Es dauerte volle vier Tage, ehe er eine direkte Passage nach Cincinnati und noch weiter den Ohio hinauf bekommen konnte, von wo aus stündlich Züge in den Osten fuhren, nach Boston und Philadelphia, nach Washington, nach New York. Er hätte als Lotse natürlich eine Freifahrt gehabt, aber er zahlte lieber mit dem letzten Geld aus Eileen Clairbornes Gabe, weil er spürte, dass nach seinen Seejahren auch seine Flussjahre hinter ihm lagen.
Er jagte nun in der Wildnis der großen Städte.
164.
Der Isthmus von Auckland war geologisch gesehen eine der interessantesten Stellen nicht nur Neuseelands, sondern der gesamten südlichen Hemisphäre. Zahllose hohe Vulkankegel, Kraterseen, mächtige, weit eingeschnittene, immer weiter verlandende Fjorde zeugten von den ewig jungen Gewalten im Erdinnern, die die schmale Landenge hochgetrieben hatten, die den Pazifischen Ozean von der Tasmansee trennte. Zwei natürliche Häfen waren auf diese Weise entstanden; Manukau Harbour im Westen und Waitemata oder Auckland Harbour im Osten, und die beiden Siedlungen, die an ihren Rändern wuchsen, hatten noch nicht zu einer Stadt zusammengefunden.
Der bärtige, verwildert aussehende Weiße, der bei Epsom auf die Kyberpass Road stieß, sah beide unter sich liegen: das weiße Auckland im Osten, das vorwiegend von Maori bewohnte Onehunga im Westen. Er selbst war aus dem Süden gekommen, die Great South Road hinauf, zu Fuß und ohne Gepäck, und niemand kannte seinen Namen. Er dachte über die beiden Möglichkeiten nach, die er jetzt hatte. Manukau Harbour und irgendeine Arbeit, in einem Kontor, auf einem Küstenleichter, bis er genug Geld für die Passage nach Australien aufbringen könnte. Seine Wohnung. Seine Bücher. Sein altes Leben. Oder Waitemata Harbour und die dort überall ankernden Walfangschiffe auf ihrem Weg in den endlosen Südpazifik.
Die Sonne ging unter, und der Westen blieb noch lange hell, aber auch in der Dunkelheit auf der anderen Seite glomm rot und nah ein seltsames Licht. Das war der Gipfelkrater von Rangitoto, einer großen Vulkaninsel, die neunhundert Fuß hoch direkt aus dem Golf von Hauraki stieg. Die Eingeborenen nannten sie: blutiger Himmel. Beide Möglichkeiten schienen nur einen Katzensprung entfernt, und John Gowers brauchte lange für seine Entscheidung.
Aber er gehörte, hatte man ihm gesagt, zu den Tangata Whenua, die einst aus dem Meer gekommen waren, also wandte er sich irgendwann nach Osten und verschwand in der Dunkelheit.
165.
Die beiden großen Rebellen, der Prophet des Ringatu und der Häuptling der Ngaruahine, wurden für viele Jahre von keinem Weißen mehr gesehen, aber das Wissen, dass beide noch lebten, versetzte Regierung und Bewohner der jungen Nation noch lange in Angst. Kein anderer als Tawhiao, der kluge Politiker, König des Waikato-Beckens, gewährte ihnen Schutz und Asyl, weil er genau diese Angst brauchte und wollte. In kleinen versteckten Dörfern praktizierten Te Kooti und Titokowaru unabhängig voneinander einen religiös geprägten Kommunismus und wurden zu alten Männern, die manche weise nannten.
Erst als der König gestorben und auch die Macht der Waikato-Stämme durch den immer dreisteren Landraub gebrochen war, erinnerte sich das weiße Neuseeland Te Kootis und Titokowarus, ließ sie gefangen setzen und machte ihnen den Prozess. Und wohl nur, um einer nachwachsenden Generation von Maori zu zeigen, wie bedeutungslos sie und all ihre Taten waren, wurden beide nach kurzen Gefängnisstrafen wieder freigelassen.
Der Prophet starb am 17. April 1893 inmitten einer kleinen Schar seiner Anhänger und wurde an einem geheimen Ort begraben. Sein Ringatu ist heute eine der anerkannten Religionsgemeinschaften Neuseelands und zählt einige Tausend Mitglieder.
Titokowarus Abgang war glänzender. Bei seinem letzten öffentlichen Auftreten hielt er plötzlich das lange verborgene, bei Te Ngutu erbeutete Schwert Manu-Raus in die Höhe, zerbrach es auf seinem Knie und sagte: »Ich zerbreche dieses Schwert und will es begraben. Ich gebe den Krieg zurück an die großen Nationen der Erde.« Wenn die zweitausend Maori, die schließlich hinter seinem Sarg gingen, ihm auch im Leben gefolgt wären, hätte die Geschichte Neuseelands anders verlaufen können.
Thomas McDonnell verbrachte den Rest seiner Tage damit, durch Lobbyarbeit irgendeine Art Dank des Vaterlandes zu erringen. Es langte allerdings nicht zu einer halbwegs erträglich besoldeten Stellung, einer Pension oder auch nur einem klangvollen Titel, und achtzehn Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Armee erhielt er lediglich einen Orden, wenn auch nicht das Viktoriakreuz.
Emilia von Tempsky verließ mit ihren Kindern Neuseeland, aber nicht den Pazifik, und ihr Ältester, Louis, hinterließ sogar eine ganz eigenartige Spur in der Welt: Als Rancher auf Hawaii lernte er 1907 den Schriftsteller Jack London kennen, der die Südsee bereiste und ihm in einigen Geschichten als »Von« ein bescheidenes literarisches Denkmal setzte.
Omahura, der kleine Junge, den von Tempsky am Tag seines Todes gefangen genommen hatte, wurde von Sir William und Lady Fox adoptiert und wie ein Pakeha aufgezogen. Er starb 1918, ein geachteter Anwalt, Übersetzer und Mittler zwischen den beiden Völkern Aotearoas.
Der Einzige, der wirklich uralt wurde, war der Papagei, der Puarauranga entflogen und mit Titokowaru gegangen war; den Manu-Rau in jenem grausamen Winter Takiora geschenkt und der bis zu ihrem Tod im Jahr 1893 auf ihrer Schulter gesessen hatte. Ihr Nachlassverwalter vermachte das Tier dem Zoo von New Plymouth, und lange nachdem die Männer und Frauen und die Kinder der Männer und Frauen, die in Taranaki gekämpft hatten, in ihre Gräber gesunken waren, rief dieser traurige kleine Veteran in seinem Käfig noch immer nach der Aufmerksamkeit eines Jahrhunderts, das nichts mehr von den anderen wissen wollte: »Whakarongo, whakarongo! – Hört mir zu.«
AM MISSISSIPPI, 1857–1859
Gabriel Beale – alias Mr. Dorset, Dobbington, Doughty und Professor Files – Detektiv Desmond Bonneterre – Sklavenhalter und Verhörspezialist Marie-Therese Helisena Milisande Bonneterre – seine Mutter Eileen Clairborne – verwitwete Gattin des ehemaligen Gouverneurs von Louisiana Darioleta – Sklavin der Bonneterres
Deborah – Fluchthelferin
Gandalod – Sklave der Bonneterres
John Gowers – Lotse auf dem Mississippi Gringoire – Fluchthelfer
Henry Hunter – Kommandant der Louisiana-Miliz, Regiment Denham Parish Jason – Fluchthelfer
John Lafflin – Schießpulverfabrikant mit Vergangenheit Emma Lafflin – seine Frau
Abraham Lincoln – Rechtsanwalt mit politischen Ambitionen Lucius – Hausdiener der Lafflins
Samuel Madsen – Sheriff in St. Louis
Margret-Ann, gen. Maggie – Bordellbesitzerin in New Orleans Molly – ihr Mädchen
Mr. Phineas – Fluchthelfer
Miss Pringle – Schriftführerin der Literarischen Gesellschaft von St. Louis Isaiah Sellers – Lotsenlegende
Mrs. Sheperd – 2. Vorsitzende der Literarischen Gesellschaft von St. Louis William T. Sherman – US-General im Bürgerkrieg Dorothy Simpson – Anwaltstochter aus St. Louis Dean Stanton – Stellvertreter aller bestohlenen Sklavenhalter Syrah – Gringoires Frau
Lemuel Willard – Arzt und Redner
Joseph B. Williams – Telegrafist
General Willoughby – Sklavenhalter in Denham Parish Richard (Dick) und Michael Willoughby – seine Söhne
AUSSERDEM:
Lotsen und Kapitäne auf dem Mississippi
Sklaven und Sklavenhalter in Louisiana und anderen Südstaaten der USA Politiker, Polizisten, Prostituierte und Kulturbeflissene in St. Louis und New Orleans
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