Die Soldaten wussten selbstverständlich, was für ein Blutbad sie am nächsten Morgen bei ihrem Sturmlauf erwartete, und um sich Mut zu machen, sangen sie Kriegslieder wie etwa »Marching through Georgia«.
Die Verteidiger applaudierten ihnen und verlangten nach Zugaben. Einer rief: »Kommt näher, Pakeha, denn wir wollen euch fressen! Die Dicken nach vorn! Die Dicken nach vorn!« Alle lachten, aber den Weißen sträubten sich die Haare, als kurz darauf einige Salven die furchtbare Feuerkraft der Palisade eindrucksvoll unter Beweis stellten. Wer sollte, um Himmels willen, als Erster aus seinem Graben springen und in dieses Feuer laufen? Vereinzelte Schüsse der Verteidiger steigerten sich gegen drei Uhr morgens noch einmal zu einem Crescendo, dem eine tödliche Stille folgte.
Grau und kalt kroch der Morgen aus den Wäldern im Osten, und noch immer kein Laut, keine Bewegung, auf keiner Seite. Ein Konstabler namens Ben Biddle hielt das Warten irgendwann nicht mehr aus, steckte seine Mütze auf den Lauf seines Gewehrs und schwenkte beides über dem Graben. Nichts. Er hatte noch in der Nacht ein kleines Gebüsch entdeckt, nahe der Stelle, an der er lag, und ehe noch der Befehl dazu kam, sprang er aus seinem Loch, lief hinüber und warf sich hinter dieser jämmerlichen Deckung auf den Bauch. Kein Schuss fiel.
Ein Kamerad namens Black folgte Biddle, und die ganze Armee hielt den Atem an, als die beiden Männer nach einer Weile aufsprangen und auf die Palisade zurannten. Sie erreichten sie unbehelligt und verharrten erneut, die Gewehre abwechselnd nach oben und auf beide Seiten gerichtet. Einige der Pakeha hatten schon bei Te Ngutu und Moturoa gegen Titokowaru gekämpft und erwarteten in jeder Sekunde das Losbrechen einer neuen, unerhörten Teufelei. Aber nichts geschah.
Die beiden todesmutigen Männer verständigten sich mit Blicken und erkletterten dann mit umgehängten Gewehren die zweieinhalb Meter hohe Palisade, wobei sie die Schießscharten als Tritthilfen nutzten. Sie fanden den Hauptschützengraben, der rund um die Festung lief, leer und bestiegen, immer noch unruhig, sich gegenseitig nach allen Seiten sichernd, den Wall dahinter und die auf ihm errichtete zweite Palisade. Erst danach sahen sie die eigentliche Festungslandschaft im Innern mit ihren gewaltigen Erdaufschüttungen unter sich – aber nicht einen Verteidiger.
Nur ein einsamer alter Hund lief schwanzwedelnd auf die schwer bewaffneten Ankömmlinge zu. Tauranga Ika war leer.
161.
Der neue Mann kam mit einer Empfehlung von Doktor Lemuel Willard, datiert auf den Februar 1856, und man sah dem Papier die vier Jahre an, die es im Reisebündel des Mannes verbracht haben musste.
»Warum kommen Sie damit erst jetzt, Mr. Williams? « , fragte der Verwalter misstrauisch, denn es hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass Doktor Willard spurlos verschwunden war.
»Ich war lange nicht in der Gegend, Sir«, antwortete Benjamin Williams. »Bin damals erst rauf in den Norden gegangen. Aber die Fabrikarbeit ist nichts für mich. Brauche frische Luft, wissen Sie.«
Der Verwalter der Bonneterre-Plantage fasste den Bewerber noch einmal scharf ins Auge: die hagere Gestalt, die mühsam sauber gebürstete Kleidung, die schweren, verdreckten Stiefel, die mehr als einen Fußmarsch hinter sich hatten, und das merkwürdig abgezehrte Gesicht, den kurzen, dunklen Bart, der Wangen und Hals bis weit in den Kragen hinein bedeckte. Ben Williams hatte offenbar schwere Zeiten durchgemacht.
»Nun, frische Luft können Sie bei uns reichlich bekommen«, sagte der Verwalter. »Außerdem fünf Dollar die Woche und Kost und Logis in der Aufseherbaracke. Und treiben Sie sich nicht zu oft in der Nähe des Hauses herum. Die Herrschaft sieht das nicht gern.«
John Gowers hatte nicht vor, »der Herrschaft« allzu oft zu begegnen, denn es gab immerhin die vage Möglichkeit, dass Desmond Bonneterre ihn trotz seines veränderten Äußeren wiedererkennen würde. Er selbst sah den Mann in den nächsten drei Wochen nur ein einziges Mal. In einer Kutsche kam der Kreole auf die Felder gefahren, begleitet von einer schwarzen Frau, die anzusehen die Feldsklaven ängstlich vermieden. Das musste Darioleta sein; das Mädchen, das Bonneterre in jener schrecklichen Nacht in New Orleans fast zu Tode gefoltert hatte und das nun selbst Folterwerkzeug seines Meisters geworden war. Gowers fiel wieder die Entrüstung ein, mit der selbst Doktor Willard davon gesprochen hatte. Gleichzeitig dachte er bei Darioletas Anblick an alles, was ihm Deborah über Gandalod erzählt hatte. Eine Weile sahen die beiden »Besucher« der Feldarbeit zu, konzentrierten ihre Aufmerksamkeit aber bald auf eine der jungen Sklavinnen, die Bonneterre schließlich zu sich an den Wagen rief.
»Wie heißt du, Mädchen? « , fragte er.
»Brisena«, murmelte sie mit niedergeschlagenen Augen. Bonneterre lachte leise. Immer wieder dieser Spleen seiner Mutter! Es würde noch mindestens zwei Generationen brauchen, bis Amadis von Gallien sich auf der Bonneterre-Plantage verwachsen würde.
»Wie alt bist du?«
»Zwölf, Massa.« Sie war nicht sonderlich hübsch, ein zu runder Kopf auf einem zu schmächtigen Körper, hatte aber immerhin eine bereits deutlich ausgeprägte Brust und den Ansatz zu einem üppigen Hintern wie viele der früh ausgereiften farbigen Mädchen. Außerdem würde ihn der Spaß überhaupt nichts kosten.
»Melde dich heute Abend im Haus, Brisena«, befahl Bonneterre. »Und bring deine Sachen mit!«
Gowers, der dem Kreolen offenbar gar nicht aufgefallen war, den aber Darioleta umso aufmerksamer gemustert hatte, nahm das kurze Gespräch als Gelegenheit, in der Aufseherbaracke den Ahnungslosen zu spielen und nach »der Herrschaft« zu fragen.
»Was sollte das denn?« Die Männer, ein halbes Dutzend vom white trash , der Hefe der Südstaatengesellschaft, lachten hämisch.
»Massa Bonneterre ist der König der Coalminer«, sagte einer von ihnen. »Fickt gerne schwarze Weiber. Hat einen ganzen Stall voll hinter dem Haus.«
»Wenn du’s geschickt anstellst«, ergänzte ein anderer, »lässt er dich vielleicht auch mal rein. Aber«, die Augen des Mannes funkelten gierig, »er guckt dabei zu.« Wieder lachten alle über das dumme Gesicht des Neuen, und wohl um ihre Überlegenheit noch ein wenig auszuspielen, fügte ein Dritter hinzu: »Er lässt sich aber auch selbst zugucken. Diese zahnlose Niggerhexe ist in seinem Schlafzimmer angeblich die ganze Zeit dabei!« Daraufhin sagte einer der jüngeren Aufseher irgendwann: »Also, das wär mir nichts!«
»Klar«, sagte wieder sein erfahrener Genosse. »Du bist ja auch hässlich.« Das jetzt nahezu donnernde Gelächter fasste er als Ermutigung auf, um hinzuzufügen: »Und um deinen Schwanz zu sehen, braucht man sowieso eine Lupe!«
Bonneterre benutzte keine Lupe, sah sich Brisena aber ausführlich und überall an, ohne sie zu berühren. Das Mädchen weinte trotzdem, und das machte ihn irgendwann wütend. Verwundert registrierte er einmal mehr, dass diese Wut seine Lust größer machte als die vorangegangenen Blicke.
Brutal drängte er sich zwischen ihre mageren Schenkel und genoss ihre Schmerzensschreie, als er wieder und wieder in sie eindrang. Anschließend warf er sie nackt und blutend aus seinem Schlafzimmer, verriegelte die Tür und ließ sich von seiner stummen Dienerin Blut, Rotz und Samen abwaschen. Dann kettete er Darioleta an die Säule neben ihrem Schlafplatz an der Tür und legte den Schlüssel wie immer auf seinen Nachttisch. Als er endlich erschöpft auf sein Bett fiel, seufzte er wohlig, lachte aber auch und sagte laut: »Die ersten Kinder werden die besten!« Er würde das noch Tausende Male tun, mit Hunderten schwarzer Frauen, und irgendwann, hoffte er, sogar mit seinen eigenen Töchtern. Das Leben im Süden war herrlich!
Читать дальше