»Also wollt Ihr mir dabei auch helfen?«
Gerardo konnte den Unmut in seiner Stimme nicht verbergen. Er war natürlich froh, dass der Arzt ihn dabei unterstützen wollte, die Leiche verschwinden zu lassen, aber er schätzte es gar nicht, dass ihn jemand bei der Suche nach dem Täter behinderte.
Mondino stand hinter ihm, vor dem Trog, in dem er seine chirurgischen Instrumente aufbewahrte. Als er sich umdrehte, hielt er in der einen Hand eine Spule mit Seidenfaden und in der anderen eine dicke Nadel.
»Hör mir jetzt gut zu«, sagte er, und sein Blick war hart. »Ich habe den Inquisitor belogen. Ich habe dir geholfen und damit gegen das Gesetz verstoßen - jetzt bin ich genauso in Gefahr wie du. Und ich habe nicht die Absicht, einem jungen, unerfahrenen Mann zuzusehen, wie er einen Fehler begeht, sich verhaften lässt und uns beide in den Abgrund reißt. Du hast meine Hilfe gewollt, und jetzt ist es zu spät für einen Rückzieher. Ich werde über jeden Schritt entscheiden, den wir tun. Ist das klar?«
»Keineswegs«, antwortete Gerardo wütend. »Ich schätze Euch als Arzt und Lehrer und danke Euch dafür, dass Ihr mich nicht verraten habt, aber ich habe keineswegs die Absicht, mich in dem, was ich tun muss, von Euch führen zu lassen.«
Ihm hatte missfallen, dass Mondino ihn als jungen unerfahrenen Mann bezeichnet hatte, und er glaubte nicht im mindesten, dass ein Laie, zudem noch ein Gegner der Kirche, der über keinerlei soldatische Ausbildung verfügte, ihm helfen könnte, einen Mörder zu finden. Außerdem musste er ja auch noch die Interessen der Tempelritter verteidigen.
Mondino näherte sich der Leiche und begann wortlos, den Brustkorb zuzunähen. Er durchbohrte das Fleisch und zog den Faden mit schnellen, geschickten Bewegungen hindurch, eine Kunststopferin hätte es nicht besser machen können. Als er fertig war, ließ er sich von Gerardo helfen, dem Toten wieder das Gewand anzuziehen. Schließlich teilte er ihm seine Überlegungen mit.
»Meine Mitarbeit ist nicht verhandelbar«, sagte er und richtete seine grünen, entschlossenen Augen auf seinen ehemaligen Schüler. »Du willst den Mörder finden, und ich will dieses Rätsel der Alchimie lösen. Also müssen wir uns verbünden, und du solltest das besser nicht ablehnen.«
»Weil Ihr mich sonst anzeigen würdet?«, erwiderte Gerardo aufgebracht.
»Nein, weil wir schneller an unser Ziel gelangen können, wenn wir zwei parallele Strategien verfolgen. Je mehr Zeit wir verlieren, desto leichter könnten wir entdeckt werden.«
»Ihr sprecht, als hättet Ihr schon eine Idee.«
»So ist es. Aber bevor ich weiterspreche, musst du meine Hilfe vorbehaltlos annehmen.«
Gerardo überlegte. Selbst wenn Mondino keine militärische Ausbildung durchlaufen hatte, wirkte er stark und entschlossen, wie ein Mann, den man in einem Kampf nicht unterschätzen sollte. Außerdem hatte er bewiesen, dass er in unvorhergesehenen Situationen schnell und tatkräftig handeln konnte. Und der Gedanke, in zwei Richtungen Nachforschungen anzustellen, war keineswegs dumm. Blieb nur noch der Umstand, dass er nicht wusste, ob er Mondino vertrauen konnte, wenn sie die Leiche erst einmal beseitigt hatten.
»Werdet Ihr mich auch nicht verraten?«, fragte er.
»Jetzt kann ich das nicht mehr, aber so langsam bereue ich meinen Entschluss. Also entscheide dich, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
»Na gut, aber wir treffen alle Entscheidungen gemeinsam.«
Mondino überdachte noch einmal alles kurz, dann nickte er. »Nun erkläre ich dir meinen Plan, dann sagst du mir, was du vorhast, und wir werden uns schon einigen.«
Wahrscheinlich wurde sein Handeln von seiner Arbeit als Lehrer bestimmt. Obwohl er gerade eine gleichberechtigte Zusammenarbeit akzeptiert hatte, verhielt er sich, als dozierte er vom Pult aus. Sie begannen von neuem zu streiten, wurden jedoch von einem hastigen Türklopfen unterbrochen. Es waren die Totengräber, die sich, genau, wie Mondino es prophezeit hatte, mit ihrem Karren und der Frauenleiche in einem Hauseingang versteckt und sich erst wieder hervorgewagt hatten, als es auf der Straße wieder ruhig geworden war. Gerardo zog sich eilig in das Nebenzimmer zurück, während Mondino sie hereinließ. Von seinem Lauschposten hinter der Tür hörte Gerardo ihre Entschuldigungen: Sie hätten sich erschreckt, als der Inquisitor aus dem Dominikanerorden zusammen mit drei Sbirren in nächster Nähe an ihnen vorbeigekommen sei, und hätten die Leiche deshalb in einen Abwassergraben geworfen. Mondino empörte sich und sagte, es sei unmöglich, an einem mit Schmutz und unaussprechlichen Stoffen bedeckten Körper anatomische Versuche durchzuführen. Die Totengräber forderten jedoch trotzdem ihren Lohn, und wenn es nur dafür sei, beharrten sie, dass sie die Leiche wieder fortbrächten. Der Arzt handelte mit ihnen eine Summe aus und verdoppelte diese schließlich, damit sie auch den toten Mann vom Seziertisch mitnahmen. Mondino gab an, dass es sich dabei um eine Leiche handele, an der er seine Versuche bereits durchgeführt habe, und wies die Totengräber an, ihn in einem gewöhnlichen Massengrab zu beerdigen. Die beiden nickten und legten Angelo über die Frauenleiche auf ihren Holzkarren, strichen die vereinbarte Summe ein und gingen zufrieden ihrer Wege.
Als die Totengräber außer Hörweite waren, kehrte Gerardo in den Hörsaal zurück. Endlich konnten sie in Ruhe miteinander reden.
»Wie ich schon gesagt habe, gilt es zwei Spuren zu verfolgen«, nahm der Arzt seinen Plan wieder auf und lehnte sich gegen eine Bank. »Zuerst gilt es herauszufinden, wen Angelo heute Abend treffen sollte und wem er seit seiner Ankunft in der Stadt begegnet ist. Die zweite Frage, die wir lösen müssen, ist die mit der Alchimie.«
»Ich begreife Euer Interesse für das Geheimnis, menschliches Blut in Eisen zu verwandeln«, erwiderte Gerardo. Obwohl er vollkommen erschöpft war und sich gern hingesetzt hätte, blieb er respektvoll stehen. »Doch ich sehe nicht, wie uns dies helfen könnte, den Mörder zu finden.«
»Ich habe die Alchimie ein wenig als Teil meiner medizinischen Ausbildung studiert, dennoch habe ich nie etwas Ähnliches gehört«, erklärte Mondino, und seine Augen starrten ins Leere, als versuchte er, in einem einzigen Augenblick alle Bücher, die er jemals gelesen hatte, durchzugehen. »Ein Geheimnis wie dieses kann nur ganz wenigen Menschen bekannt sein. Wenn wir herausfinden, wer es kennt, werden wir dem Mörder sehr nah gekommen sein.«
Gerardo war vom Scharfsinn des Arztes überrascht. Sie hatten keinen Augenblick Ruhe gehabt, seit er an seine Tür geklopft hatte, und trotzdem hatte Mondino die Zeit gefunden, einen Plan auszuarbeiten, dem außer ein paar Einzelheiten nichts hinzuzufügen war. Spontan entschloss er sich, sein Wissen mit ihm zu teilen. Er griff in die kleine Ledertasche, die er am Gürtel trug, und holte ein zerknittertes Stück Papier hervor.
»Das fiel aus Angelos Gewand, als ich ihn angezogen habe. Vielleicht ist es ja nicht wichtig, aber andere Hinweise habe ich nicht.«
Mondino begutachtete den Zettel. Er schien hastig von einem größeren Blatt abgerissen worden zu sein und enthielt nur wenige Worte, die jemand mit einem Griffel ohne Tinte oder vielleicht mit einem Fingernagel eingeritzt haben musste.
»Filomena, Schwemme, Markt«, las Mondino laut. »Das ist die Adresse einer Frau. Eine Dirne?«
»Das habe ich ebenfalls vermutet, Magister. Es könnte sein, dass Angelo sein Keuschheitsgelübde nicht immer eingehalten hat.«
Mondino verzog die Lippen zu einem sarkastischen Lächeln, und Gerardo machte sich schon darauf gefasst, einem Kommentar über Mönche, die das Leben allzu sehr genossen, widersprechen zu müssen, doch der Arzt schwieg und sah wieder auf den Zettel.
»Es gibt in der Stadt viele Schwemmen, an denen man Tiere waschen und tränken kann. Und einige Märkte«, sagte er dann. »Doch ich möchte wetten, dass es sich um den auf der Piazza Campo del Mercato handelt.«
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