»Angelo hat mir gesagt, dass ihn dieses Treffen nicht lange aufhalten würde und ich nach dem Komplet zurückkehren könne«, fuhr Gerardo fort, wandte sich kurz um und ließ seine Augen über den Toten gleiten. »Als ich in die Wohnung zurückkam, habe ich ihn dort tot auf meinem Bett gefunden. Doch mir blieb nicht einmal die Zeit, Grauen über den Frevel zu empfinden, den man seinem Körper angetan hatte, denn die Schergen der Inquisition klopften bereits an meine Tür. Wahrscheinlich waren sie von der gleichen Person gerufen worden, die Angelo getötet hatte. In diesem Moment wusste ich nur eines: Sie durften ihn nicht in diesem Zustand finden. Also habe ich Feuer gelegt, um sie abzulenken, habe ihn gepackt und bin mit ihm über die Dächer geflohen.«
»Und dann ist dir nichts Besseres eingefallen, als hierherzukommen und mich mit solchen Schwierigkeiten zu beglücken«, meinte Mondino ironisch; er konnte seine Wut kaum zügeln.
Gerardo hatte also den Brand gelegt. Auch dafür würde er sich verantworten müssen. Inzwischen hörte man nur noch vereinzelte Schreie, ein Zeichen, dass die Flammen besiegt waren. Das bedeutete, dass auch die Totengräber gleich kommen mussten.
»Ich dachte eigentlich nicht, Euch zu dieser Stunde hier anzutreffen, Meister«, sagte der Tempelritter. »Aber als ich das Licht unter der Tür sah, beschloss ich anzuklopfen.«
»Du lügst! Jeder meiner Studenten weiß, dass ich oft nachts hierherkomme, um ohne großes Aufsehen meine anatomischen Versuche durchzuführen.«
Der junge Mann nickte und gestand damit ein, dass er gerade gelogen hatte. »Die Häscher der Inquisition suchen nach mir und hätten wohl nicht lange gebraucht, um mich zu finden, wenn ich durch die Leiche meines Freundes behindert durch die Straßen geirrt wäre. Ich brauchte Hilfe.«
Mondino musste an seinen Onkel Liuzzo denken, der ihm seit langem prophezeite, dass ihn seine Gewohnheit, nachts in ihre Medizinschule zu gehen, um dort Leichen zu sezieren, früher oder später ins Unglück stürzen würde. Doch Liuzzo hatte dabei vor allem an die Möglichkeit gedacht, dass ihn irgendein Schurke auf dem Weg dorthin überfallen könnte, weil Mondino darauf beharrte, allein aus dem Haus zu gehen, ohne den roten Talar der Ärzte als Schutz zu tragen oder sich von einem Diener begleiten zu lassen. Dass sein Neffe jedoch in eine solche Situation kommen würde, wäre ihm nie in den Sinn gekommen.
»Warum hast du ihn nicht dort liegen gelassen, als du die Wohnung in Brand gesteckt hast?«, fragte Mondino misstrauisch. »Dann hätte der Inquisitor nur eine verkohlte unkenntliche Leiche gefunden und du wärst nicht unglaubliche Risiken eingegangen, um ihn mit dir herumzuschleppen.«
Gerardo wandte ihm den Rücken zu und starrte stumm auf den Toten auf dem Marmortisch. Ein Windhauch ließ die Flammen der Lampen flackern, und einen kurzen Moment wirkte es durch die tanzenden Schatten, als hätte Angelo da Piczanos Körper sich bewegt. Unwillkürlich wich Mondino einen Schritt zurück.
»Antworte mir, Templer«, rief er, wütend darüber, dass er sich so erschreckt hatte. Es fiel ihm immer noch schwer, seinen Schüler Gerardo zu nennen. Das Gesicht, die langen Haare, die blauen Augen, der kräftige, gut proportionierte Körperbau, all das verband er in seinem Kopf mit einem Bild, dem er dem Namen Francesco Salimbene aus Imola gegeben hatte. Und nun wehrte er sich gegen die Vorstellung, ihn anders nennen zu müssen.
»Möglicherweise wäre er nicht vollständig verbrannt«, antwortete Gerardo, ohne sich umzudrehen. »Und seine Überreste hätten unserem Orden schweren Schaden zufügen können. Denn durch sie wäre die Beschuldigung, wir würden den Teufel anbeten, die man gegen uns erhebt, gestärkt worden.«
Gerardo deutete zum zweiten Mal an, dass schwarze Magie im Spiel gewesen sein könnte, doch an dem Toten auf dem Tisch fiel bis auf die abgeschnittenen Hände nichts Seltsames auf. Das Gesicht zeigte eher Erstaunen als Todesangst. Ein wenig getrocknetes Blut im Nacken zwischen den kurzen Haaren verriet, dass man ihn von hinten niedergeschlagen hatte.
»Also«, meinte Mondino, »du hast diesen Mann nackt und tot in deiner Wohnung gefunden. Du hast ihm etwas übergezogen, hast Feuer gelegt und bist geflohen. Wie wolltest du dich seiner entledigen?«
Gerardo riss verblüfft den Mund auf. »Woher könnt Ihr wissen, dass er nackt war?« Dann nickte er. »Ach natürlich. Das Gewand.«
Der Umstand, dass der andere sich so schnell von seiner Überraschung erholte, verärgerte den Arzt ein wenig. Doch das war nicht der richtige Zeitpunkt, um über solche Nichtigkeiten nachzudenken. Er musste weiter mit Gerardo reden und darauf hoffen, dass die Totengräber bald kamen.
»Ja, genau, das Gewand«, sagte Mondino. »Es ist zwar blutbefleckt, aber nicht zerrissen, ein Zeichen dafür, dass man ihm die Wunde an der Brust zugefügt hat, nachdem man ihn entkleidet hatte. Und vielleicht«, fuhr er fort und trat ein wenig zur Seite, um die Leiche genauer zu betrachten, »auch nachdem er schon tot oder zumindest durch den Schlag auf den Kopf bewusstlos war.«
»Euer Scharfblick wird Eurem Ruf gerecht«, sagte Gerardo. »Ihr wisst alles, obwohl Ihr selbst nicht dabei wart.«
Gegen seinen Willen empfand Mondino Genugtuung über dieses Kompliment, denn er spürte, dass es ehrlich gemeint war, und tadelte sich gleich darauf stumm. Eitelkeit gehörte zu seinen größten Fehlern.
»Du hast auf einen Pakt mit dem Teufel angespielt«, sagte er. »Was ist so merkwürdig an dieser Verletzung?«
Gerardo drehte sich um und sah ihn an. Sein Blick schwankte zwischen Angst und Entschlossenheit. »Seht selbst, Magister.«
Mit schnellen, aber respektvollen Bewegungen hob er den Oberkörper des Toten an und zog ihm die Tunika über den Kopf. Sobald Mondino die Wunde an der Brust sah, steigerte sich sein Interesse ins Unermessliche. Er bat Gerardo, sich zwischen die Bänke des Hörsaals zurückzuziehen und näherte sich, ihn stets im Auge behaltend, dem Tisch. Über den Toten gebeugt zog er mit dem Finger die Ränder der Wunde auf der kalten Haut nach.
»Wer dies getan hat, weiß genau, wie er Knochen und Fleisch zerteilen muss«, sagte er dann mit Bestimmtheit. »Ich habe tagelange Versuche benötigt, bis mir ein so sauberer Schnitt gelang.«
Das Brustbein war der Länge nach durchgesägt und die Rippen unter der schwarz verfärbten Haut an den Seiten gebrochen. Links befand sich ein kleines dreieckiges Loch. Nachdem er sein Opfer durch den Schlag auf den Kopf betäubt hatte, musste der Mörder ihm mit einem Pfriem oder einem Stilett das Herz durchbohrt haben, bevor er sich ans Werk gemacht hatte. Der Oberkörper des Mannes wirkte wie ein kleiner Schrein, bei dem man nur die Türflügel öffnen musste, um zu sehen, was er enthielt.
»Ich habe seinen Brustkorb geschlossen«, sagte Gerardo und bestätigte damit Mondinos Überlegungen. »Als ich ihn ausgestreckt auf meinem Bett gefunden habe, war er geöffnet und wirkte wie ein obszöner Schlund. Und da drinnen …«
Er verstummte, überwältigt von einem Gefühl, das ebenso gut Schrecken oder Schmerz sein konnte. Mondino vergaß die Totengräber, die gleich kommen mussten und den Umstand, dass Gerardo gefährlich war und gesucht wurde. Jetzt wollte er nur noch eines: das Geheimnis dieses toten Tempelritters ergründen. Er schob die Ärmel seines Gewandes bis zu den Ellenbogen hinauf und zog mit den Fingern die Ränder der Wunde auseinander. In seinem Kopf erschien das Bild eines Tabernakels. Entschieden verjagte er jedoch diesen blasphemischen Gedanken, obwohl ihn eine Eingebung durchzuckte, dass dies genau die Absicht des Mörders gewesen sein könnte: Indem er aus der Brust seines Opfers ein Tabernakel aus Fleisch und Knochen errichtete, wollte er den Glauben an Gott verhöhnen.
Das genügte. Er durfte nicht länger zögern. In diesem unnatürlichen Schweigen, in dem jedes Rascheln der Gewänder so laut wie ein Peitschenhieb zu klingen schien, drückte Mondino die Ränder der Wunde auseinander und öffnete die beiden Flügel aus Fleisch an der Brust.
Читать дальше