»Ja … erzähl uns, wie du das Feuer erlebt hast«, forderte ihn Wulfoald auf und lehnte sich an einen Baum. »Du hast gewusst, dass jemand absichtlich Feuer gelegt hat, sonst hättest du dich nicht auf uns stürzen wollen.«
Niedergeschlagen schaute Odo zu ihm hoch, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
»Irgendetwas hat mich in der Nacht wach gemacht. Die Tiere waren unruhig, und Vögel kreischten, das Feuer muss sie alle aufgeschreckt haben. Ich wohne nicht weit weg von hier, hinter der Kuppe von dem Hügel da. Aber ich konnte von dort nicht gleich sehen, weshalb die Tiere aus dem Waldstück flohen. Dann hörte ich das Knacken und Zischen des Feuers, noch ehe ich die Flammen sah, und wusste, aus welcher Richtung sie hochschlugen. Was sollte ich tun? Das Feuer loderte so heftig, dass ich da hindurch unmöglich zur Hütte meiner Tante gelangen konnte. Ich musste die Tiere und mich selbst in Sicherheit bringen. Auf dem Hügel ist überall felsiger Boden, und dann ist da noch ein Teich, fast so groß wie ein See. Deshalb habe ich die Herde dorthin getrieben, habe gehofft, der steinige Untergrund und das Wasser würden dem Feuer eine Schranke setzen.«
Er schwieg, musste heftig schlucken und redete weiter. »Das Feuer hat lange richtig gewütet. Ich bin bis zum Morgen dort geblieben, bis ich glaubte, die kräftigen Regenschauer müssten alle Flammen gelöscht haben, so dass sie nicht wieder aufleben konnten. Erst dann dachte ich, jetzt bin ich sicher und kann die Herde zurücktreiben. Als ich endlich dorthin gelangte, wo der Wald gebrannt hatte, war es zu spät. Meine Tante …« Der junge Bursche fing wieder an zu schluchzen. Beruhigend legte ihm Fidelma eine Hand auf die Schulter.
»Wie es aussieht, hat es nur unmittelbar um die Hütte hier gebrannt«, überlegte Wulfoald laut. »Könnte es sein, dass deiner Tante ein Missgeschick passiert ist, dass das Feuer auf der Herdstelle plötzlich hochgeschlagen ist?«
»Du bist aber der Auffassung, es ist mit Vorsatz geschehen«, ging Fidelma dazwischen. »Wer kann das Feuer gelegt haben? Oder besser gefragt, warum glaubst du, es war Brandstiftung?«
»Als ich loszog, um meine Herde in Sicherheit zu bringen, habe ich noch mal hochgeschaut zur Hütte meiner Tante«, erzählte ihr Odo. »Viel konnte ich nicht erkennen bei dem Qualm und Hochzüngeln der Flammen, aber ich habe gerade noch gesehen, wie ein Reiter von dort wegritt.«
»Ich denke, man kann die Hütte nur zu Fuß erreichen?«
»Ein geübter Reiter und ein gutes Pferd schaffen das schon«, bestätigte Wulfoald.
»Ich habe ihn wirklich gesehen«, beharrte Odo, »er ist den Berg hinuntergeritten und in dem Rauch verschwunden. Das war der Mann, der das gemacht hat, da bin ich sicher.«
»Kannst du ihn beschreiben?«, fragte Fidelma und lehnte sich vor, damit ihr kein Wort entging.
Odo verneinte. »Er war ja nichts weiter als eine Gestalt im Dunkeln. Ich kann mich nur erinnern, dass sein Pferd fahl war, irgendwas zwischen weiß und grau.« Er warf einen Seitenblick auf Wulfoalds Pferd und runzelte die Stirn. »Es sah ziemlich genauso aus wie das da.«
»Mit Absicht also wurde das Feuer gelegt …«, sagte der Krieger nachdenklich. »Ein Glück, dass es nicht weiter um sich gegriffen hat.«
»Es hat kräftig geregnet um den Gipfel herum. Auch andere Leute, die am Berg wohnen, sind gekommen und haben nach den Brandschneisen gesehen, waren sich nicht sicher, ob der Wind das Feuer wieder entfacht. Jetzt sind alle nach Hause gezogen und sind froh, dass ihren Herden nichts passiert ist. Als ich losgehen wollte, fielen mir Leute auf, die zur Bergkapelle hochwanderten.«
»Das muss Bruder Bladulf mit seinen Mitbrüdern gewesen sein«, meinte Wulfoald.
»Sie waren zu Fuß auf der Bergstraße unterwegs. Ich wollte erst warten und sehen, ob sie zurückkommen, doch dann tauchtet ihr plötzlich auf, und als ich merkte, ihr geht auf Hawisas Hütte zu, da habe ich gedacht, ihr habt das alles angerichtet.«
»Wenn wirklich einer das Feuer gelegt und den Tod der alten Frau verursacht hat, dann wirft das eine Menge Fragen auf«, grübelte Fidelma. »Hat deine Tante eigentlich an dem Tag, als Wamba tot aufgefunden wurde, mit dir über ihn gesprochen,?«
»Seit der Beerdigung hat sie von nichts anderem geredet«, beteuerte der Ziegenhirt. »Mein Vetter war ihr einziges Kind. Warum fragst du danach?«
»Was hat sie gesagt? Wie hat sie dir die Umstände geschildert?«
»An dem Tag ist sie zu meiner Hütte gekommen, die weiter unten am Berg steht, wie ich ja schon sagte. Sie hat mir erzählt, ein Krieger hat Wamba da gefunden, wo er vermutlich von der Felswand gestürzt ist. Er war schon tot. Sie bat mich, ihre Ziegen zu versorgen, weil sie zur Abtei hinunter musste, wohin die Leiche zur Bestattung gebracht werden sollte.«
»Woher wusste sie, dass ein Krieger ihren Jungen gefunden hatte?«
Odo schaute sie verwundert an. »Weil der Krieger ihr das so erzählt hat.«
»Dann war sie also noch nicht zur Abtei gegangen, als sie mit dir gesprochen hat. Wann hat der Krieger ihr gesagt, wie und wo er den Jungen gefunden hat?«
Der junge Mann war nun vollends verwirrt. »Ich verstehe nicht, was du willst. Er hat ihr das natürlich erzählt, als er den Toten zu ihrer Hütte brachte.«
Fidelma überhörte Wulfoalds befriedigtes Grunzen.
»Hat sie dir gesagt, wer der Krieger war? Wie er hieß?«
»Nur, dass er zur Truppe von Seigneur Radoald gehörte, mehr weiß ich nicht. Seltsam war das schon. Abt Servillius war auch gerade bei ihr gewesen. Er war gekommen, um Wamba einen Gegenwert für eine alte Münze zu bringen, die Wamba von irgendwem erhalten hatte. Soviel ich weiß, hatte er das Geldstück zur Abtei gebracht.«
»Zu Wambas Bestattung bist du wohl nicht gegangen?«
»Ich konnte nicht. Hawisa hatte mich gebeten, mich um die Ziegen zu kümmern. Sie war ohne mich dort.«
Fidelma lehnte sich zurück, ihre Gedanken überschlugen sich. Das war das Gegenteil von dem, was Hawisa ihr bei ihrem Besuch erzählt hatte. Odos Aussagen bestätigten Wulfoalds Darstellung der Vorgänge voll und ganz. Wie war das möglich?
Wulfoald lächelte beinahe triumphierend. »Da hast du es; was ich dir erzählt habe, stimmt also.«
»Noch etwas, Odo. Hast du gewusst, dass deine Tante ein Kästchen, das Wamba gehörte, in den Steinhaufen gestellt hat, den sie ihm zum Gedenken aufgeschichtet hatte?«
Der Bursche nickte traurig. »Es wurde beinahe gleich danach gestohlen. Einer der Hirten hat sogar gesehen, wie es entwendet wurde. Er hat gesehen, wie ein Mann in einer Mönchskutte von der Gedenkstelle heruntergeklettert ist und das Kästchen in der Hand hatte. Er wollte ihm den Weg abschneiden, ist heruntergekraxelt, doch als er unten ankam, war der Dieb auf seinem Pferd schon weg. Noch merkwürdiger ist, dass meine Tante gestern früh das Kistchen wiederfand, zwar ein bisschen beschädigt, aber ordentlich in den Steinhaufen zurückgestellt.«
Fidelma hielt es nicht für nötig, ihm den Sachverhalt zu erklären, wollte aber wissen: »Hat der Hirt vielleicht die Farbe von dem Pferd erwähnt?«
Odo überlegte einen Moment und begriff dann, weshalb sie fragte. »Es war ebenfalls fahlgrau.«
»Wo könnte dieser Zeuge jetzt sein?«
»Er ist nicht hier, Schwester. Er ist nach Travo gegangen, bald nachdem der Gedenksteinhaufen zerstört war, und ist noch nicht zurück.«
Fidelma blieb unschlüssig sitzen. Nachdenklich schaute sie auf das strudelnde Wasser des Gebirgsbachs. Oft schon hatte sie erlebt, dass Fragen wie eine Kaskade auf sie einstürzten. Warum hatte Hawisa ihr und Bruder Eolann eine Geschichte aufgetischt, die so völlig anders klang? Warum hatte sie so unverschämt gelogen? Plötzlich ging ihr auf, dass sie die Frage falsch stellte. Das hatte sie sich vorher nie richtig klargemacht. Woher wusste sie eigentlich, was Hawisa erzählt hatte? Nur über die Übersetzung hatte sie erfahren, was die Alte sagte. Fidelma hatte sich voll und ganz auf ihren Dolmetscher verlassen, und das war Bruder Eolann. Aber warum sollte der junge Mönch falsch wiedergegeben haben, was er gehört hatte? Falls Hawisa nicht gelogen hatte, warum sollte der scriptor ihre Worte vorsätzlich verdreht haben? Auch andere Fragen standen im Raum. Warum war Abt Servillius den ganzen beschwerlichen Weg bis zu Hawisas Hütte hinaufgestiegen, um sie für eine Münze zu entschädigen, die nicht einmal viel wert war? Und warum hatte Bruder Ruadán behauptet, Wamba sei getötet worden, nur weil er die Münzen hatte?
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