Container, und schließlich behauptete der aufdringliche dicke Mann das Feld allein, wandte sich rasch um und blickte Ken scharf an.
»Sind Sie Ken McClure?«
Ken bejahte.
Carey Hewett kam dem dicken Mann zuvor, als dieser gerade Luft holte und zu einer Tirade ansetzen wollte, und stellte ihn Ken vor: »Das ist der Besitzer der Stute, Wynn Lees.«
Wynn Lees.
Wieder wurden ferne Erinnerungen in mir wach. Ich wußte eine Menge über Wynn Lees, wenn es sich um den gleichen handelte. Den Wynn Lees von vor fünfundzwanzig Jahren hatte meine Mutter oft und gern als abschreckendes Beispiel herangezogen, um zu erreichen, daß ich mich besser benahm.
»Wenn du dich weiter mit dieser Gribble-Bande herumtreibst, wirst du mir noch so wie Wynn Lees.«
»Wenn du so jung schon rauchst . wenn du Insekten quälst ... wenn du klaust ... wenn du die Schule schwänzt ... wenn du Züge mit Steinen bewirfst [denn all das hatte ich getan] ... wirst du mal so werden wie Wynn Lees.«
Der Wynn Lees von heute hatte einen starrsinnigen verstockten Ausdruck in dem fleischigen Gesicht, die Backen geädert von Wind und Wetter, den Kopf auf dem dicken Hals leicht nach vorn geschoben. Ein Bulle von einem Mann, mit nicht allzu scharfem Verstand. Gerade sagte er angriffslustig zu Ken: »Sie hatten kein Recht, die Stute ohne mein Einverständnis zu operieren, und ich habe keineswegs mein Okay dazu gegeben.«
Carey Hewett sagte geduldig: »Ohne Ken wäre sie jetzt tot.« »Er hatte die Erlaubnis nicht«, beharrte Lees hartnäckig.
»Doch«, sagte Ken.
»Von wem denn?« wollte Lees wissen.
»Von Ihrer Frau.«
Lees fiel die Kinnlade herunter. »Das würde meine Frau nicht machen.«
»Der Futtermeister hatte Ihre Telefonnummer«, erklärte Ken.
»Er stand neben mir, während ich anrief. Ihre Frau hat sich gemeldet.«
»Wann war das?« unterbrach Lees.
»Heute früh gegen Viertel nach drei.«
»Sie kann nicht drangegangen sein. Sie nimmt Schlaftabletten.«
»Nun, sie war am Apparat. Der Futtermeister wird es Ihnen bestätigen. Sie sagte, Sie seien nicht zu Hause und sie wüßte nicht, wo Sie wären. Ich erklärte ihr, daß die Stute eine Kolik hätte und daß eine Notoperation erforderlich sei. Sie fragte, wie teuer das wäre, und ich sagte es ihr, und der Futtermeister sagte ihr, das sei die einzige Möglichkeit, das Leben der Stute und auch das des Fohlens zu retten. Sie sagte, dann sollten wir operieren.«
Wynn Lees sah aus, als hätte ihn das Wachsein seiner Frau über Gebühr erschüttert, und rang sich verspätet dazu durch, seine Dankesschuld gegenüber Ken einzugestehen.
»Na, wenn es meine Frau gesagt hat . und wenn die Stute, wie es scheint, in Ordnung ist, na ja, dann ... nichts für ungut.«
Ich hielt die halbherzige Entschuldigung nicht entfernt für ausreichend und spürte, daß Ken genauso empfand, aber aus beruflichen Rücksichten ließ er es hingehen. Carey Hewett entspannte sich innerlich ganz eindeutig und sagte, die Operation sei offenbar außerordentlich gut verlaufen.
»Woher wissen Sie denn das?« fragte Lees scharf, und seine Angriffslust kam wieder hoch wie ein Reflex, als gäbe ihm selbst die einfachste Feststellung noch Grund zu Mißtrauen und Widerspruch.
»Ich habe das Protokoll gelesen«, sagte Carey.
»Welches Protokoll?«
»Ken hat vorsichtshalber seinen Bekannten hier gebeten, dabeizubleiben und die ganze Prozedur im einzelnen schriftlich festzuhalten. Die Operation war ohne Zweifel von Anfang bis Ende tadellos.«
»Oh.« Er hatte Lees sichtlich den Wind aus den Segeln genommen. »Also, ich möchte mein Eigentum mal sehen.«
»Natürlich«, sagte Carey begütigend. »Bitte hier entlang.«
Er ging mit dem Besitzer zur Vordertür hinaus auf den Parkplatz und wandte sich nach links, den Ställen zu. Ken und ich folgten, doch auf halbem Weg legte ich ihm kurz die Hand auf den Arm, damit er etwas langsamer ging und wir weit genug zurückfielen, um uns ungestört unterhalten zu können.
»Was ist?« fragte Ken.
»Trauen Sie Wynn Lees nicht!«
»Wieso nicht? Ich meine, er ist unangenehm, aber das ist auch schon alles.«
»Nein. Trauen Sie ihm nicht. Und sagen Sie ihm nicht, was Sie im Darm des Pferdes gefunden haben.«
»Warum denn nicht?«
»Für den Fall, daß er es schon weiß.«
Ken starrte mich verblüfft an, doch da näherten wir uns bereits der Box der Stute und kamen in Hörweite von Lees
selbst.
Lees war über den Anblick der Stute so bestürzt, wie Ken es vorausgesagt hatte, aber Carey versuchte ihn zu beruhigen, und Belinda, die noch da war, schlug der Stute kräftig aufs Hinterteil und sagte ihm, das alte Mädchen erhole sich bestens. Lees zuckte ein paarmal die Achseln und ließ nichts von der Freude erkennen, die er über die Lebensrettung hätte empfinden müssen. Kein guter Heuchler, dachte ich. Ungeeignet für das Auswärtige Amt.
»Kommt das Fohlen normal zur Welt?« fragte er.
Carey sagte: »Ken?«, und Ken äußerte die Ansicht, daß nichts dagegen spreche.
»Nur ein sehr geschickter Chirurg«, sagte Carey, »konnte so spät in der Trächtigkeit mit Erfolg eine solche Operation durchführen.«
Ken war nicht verlegen über das Lob. Er kannte seinen Wert. Falsche Bescheidenheit wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Zuvor hatte ihn die Furcht geplagt, er könnte irgendwie seine Fähigkeit verloren haben, und ich nahm an, er hatte Carey und auch sich selbst zufriedenstellend demonstriert, daß das nicht der Fall war. Mir hatte seine eindrucksvolle Leistung zwar etwas ganz anderes gezeigt, aber ich war auf Grund meiner Ausbildung auch ein äußerst mißtrauischer Kopf.
»Ich nehme an, die Stute ist versichert?« fragte ich harmlos.
Alle drei Männer warfen mir rasche Blicke zu, doch Lees war es, der sich auf meine Anwesenheit konzentrierte.
»Was sagten Sie, wer Sie sind?« fragte er scharf. »Es geht Sie doch nichts an, ob die versichert ist.«
»Nein, natürlich nicht«, gab ich zu. »War nur so ein Gedanke.«
Carey sagte mit leichtem Tadel zu mir: »Ein Fohlen von Rainbow Quest läßt sich nicht mit Geld aufwiegen«, und Lees machte den Mund auf, besann sich eines Besseren und schloß ihn wieder.
Statt dessen sagte er zu Ken: »Haben Sie einen Grund für die Kolik entdeckt?«
Ich sah Ken nicht an. Nach einem winzigen Zögern sagte er: »Koliken werden meistens durch eine Darmdrehung hervorgerufen. Hält die an, muß man operieren, um den Darm zu richten. Manchmal ist, wie bei Ihrer Stute, der Darm so bös verschlungen, daß das verdrehte Stück regelrecht abstirbt, und man muß es herausschneiden.«
»Im Protokoll steht«, nickte Carey, »»Verdrehter Darmabschnitt entfernte.«:
Die Niederschrift hatte mit dem Aufwachen der Stute geendet. Ich hatte die Entdeckung der Nadel und des Fadens nicht gleich festgehalten, sondern sie später nachtragen wollen, und als die Stute dann über dem Berg war, hatte ich gedacht, das Protokoll sei ohnehin nicht mehr so wichtig.
»Was haben Sie mit dem herausgeschnittenen Stück gemacht?« fragte Carey.
»Es ist in der Kühlung«, sagte Ken, »für den Fall, daß es jemand sehen möchte.«
»Ekelhaft!« rief Wynn Lees aus. »Werfen Sie’s weg.«
Carey nickte zustimmend, und Ken brummelte etwas, was weder ein Ja noch ein Nein war.
Wynn Lees wandte sich von der Box ab und bat Carey auf eine Weise, als hätte er sich mit den Tatsachen abgefunden, die Genesung der Stute zu überwachen.
Ken sagte nichts. Carey warf ihm einen bangen Blick zu und schien dankbar für seine Zurückhaltung. Er sagte
Lees, daß selbstverständlich Ken für die Stute verantwortlich sei, aber daß er, Carey, jederzeit als Berater zur Verfügung stehe. Lees bedachte Ken trotzdem mit einem ausgesprochen grimmigen Funkeln, das er zum Schluß noch auf mich übertrug. Ich zeigte ihm dafür mein verbindliches Gutwettergesicht ersten Grades und sah mit Genugtuung, wie er die Achseln zuckte und mich als bedeutungslos abtat.
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