Die Krämpfe, die ich im Film so einfallsreich dargestellt hatte, befielen mich jetzt wirklich, als die Hitze des Tages abklang und meine Muskeln steif wurden.
Zuerst wärmte ich mich durch ein Dutzend weitere Versuche auf, das Steuer von der Lenkradsäule abzureißen, und wieder überstand der Wagen die Kraftprobe glänzend. Danach versuchte ich ein gezieltes Programm von isometrischen Übungen zu absolvieren, die den Körper warm und leistungsfähig halten sollten, doch ich wurde nur halb fertig damit.
Gegen alle Wahrscheinlichkeit schlief ich ein.
Der Alptraum war noch da, als ich aufwachte.
Ich zitterte vor Kälte, war steif bis ins Mark und mehr als nur ein bißchen hungrig.
Ich hatte nichts zu essen als vier Streichhölzer, ein Taschentuch und einen stumpfen Bleistift.
Nach kurzem Nachdenken kramte ich den Bleistift aus und knabberte daran herum. Weniger wegen des Nährwerts, sondern um das Blei freizulegen. Mit diesem Bleistift, entschied ich, konnte ich Danilo zu Fall bringen.
Vor Tagesanbruch kam mir nach und nach die Erkenntnis, daß Danilo mich nicht ohne Hilfe in dem Wagen ausgesetzt haben konnte. Er mußte jemanden gehabt haben, der ihn wegbrachte, nachdem er mich eingesperrt hatte. Er war bestimmt nicht zu Fuß durch das Wildreservat gegangen, nicht nur wegen der gefährlichen Tiere, sondern auch, weil ein zu Fuß Gehender so auffällig gewesen wäre wie ein Rittersmann in voller Rüstung. Also hatte ihm jemand geholfen. Wer?
Arknold.
Er hatte die Augen vor Danilos Betrug verschlossen, als er dahintergekommen war; hatte geschwiegen, weil er durch mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen seine Lizenz aufs Spiel gesetzt hatte. Aber würde er sich auf Mord einlassen, damit ihm die Lizenz erhalten blieb?
Nein. Würde er nicht.
Barty, für Geld?
Ich wußte es nicht.
Einer — irgendeiner — von den van Horens, aus irgendeinem Grund?
Nein.
Roderick, für die Schlagzeilen? Oder Katya, oder Melanie? Nein.
Clifford Wenkins, der Reklame wegen?
Wenn er es war, war ich außer Gefahr, denn er würde mich nicht mehr lange hierlassen. Das würde er nicht wagen. Schon weil Worldic bestimmt nichts daran lag, daß ihre Ware in beschädigtem Zustand wieder auftauchte. Ich wünschte, ich hätte glauben können, daß es Wenkins war, aber ich tat es nicht.
Evan? Conrad?
Davor graute mir.
Sie waren beide da gewesen. An Ort und Stelle. Hatten nebenan geschlafen. Sehr praktisch, um in der Nacht einzudringen und mich mit Äther zu betäuben.
Einer von ihnen konnte es getan haben, während der andere schlief. Aber welcher? Und warum?
Wenn es Evan oder Conrad war, würde ich sterben, denn nur sie konnten mich retten.
Mit diesen trüben Gedanken brach der Tag an, und das Morgenlicht zeigte mir, daß meine Theorie über den Wasserdampf stimmte. Ich konnte vom Krüger-Nationalpark nichts sehen, denn alle Fenster waren angelaufen und mit perlendem Kondenswasser beschlagen.
Ich konnte die Scheibe neben mir erreichen und leckte daran. Ein tolles Gefühl. Die Trockenheit auf meiner Zunge und in meinem Hals wurde sofort gelindert, obwohl ich immer noch ein Halbes vom Faß hätte gebrauchen können.
Ich schaute durch die freigeleckte Stelle. Der gleiche alte Busch. Immer noch niemand da.
Mein Löffel voll Wasser hatte sich tatsächlich in der nun kalten Plastiktüte gebildet. Behutsam knotete ich sie auf, ohne sie aus dem Gummiring zu nehmen, und drückte die Luft heraus, um zu verhindern, daß sie sich nachher in der Hitze ausdehnte und das kostbare Naß wieder absorbierte. Ich würde erst später trinken, beschloß ich. Wenn es schlimmer wurde.
Bei all der kostbaren Feuchtigkeit, die innen an den Fenstern haftete, war es ungefährlich, eine Luftveränderung zu wagen. Ich zog einen Socken aus, drehte den Griff mit den Zehen und öffnete das linke Fenster knapp zwei Zentimeter weit. Durfte nicht riskieren, es nicht wieder schließen zu können; aber als die Sonne aufging, bekam ich es ohne große Mühe zu. Als die zunehmende Hitze die Scheiben freimachte, indem sie das Wasser wieder verdunsten ließ, konnte ich mich wenigstens mit der Gewißheit trösten, daß es ja noch im Auto war und sein Bestes tat.
Der Bleistift, den ich in der Nacht beknabbert (und zur sicheren Aufbewahrung unter mein Uhrarmband gesteckt) hatte, sah allmählich schon brauchbar aus. Noch eine Sitzung mit den Schneidezähnen, dann hatte er genügend blankes Blei zum Schreiben an der Spitze.
Das einzige in meinen Taschen, worauf ich schreiben konnte, waren die Innenseiten des Streichholzbriefchens, und das reichte gerade für» Danilo war es«, aber nicht für mein ganzes Vorhaben. Im Handschuhfach lagen jedoch Karten und Wagenpapiere, und nach einem langen Gerak-ker, bei dem ich mir die Zehen verrenkte und viel zuviel wertvolle Energie verbrauchte, bekam ich einen großen braunen Umschlag zu fassen und ein Kartenset mit schönen freien Rückseiten.
Es gab viel zu schreiben.
Danilo hatte Nerissa vorgeschlagen, daß ich nach Südafrika fahren sollte, weil er dort, fern von zu Hause, jede sich bietende Gelegenheit ergreifen konnte, mich so um die Ecke zu bringen, daß es wie ein Unfall aussah. Er hatte mich mit einem Köder an die Hinrichtungsstätte gelockt, von dem er wußte, ich würde ihn annehmen — der Wunsch einer sterbenskranken Frau, die ich mochte und der ich dankbar war.
Ein offensichtlicher Mord hätte ihn allzu leicht in Verdacht geraten lassen. Ein scheinbarer Unfall — wie etwa ein Stromschlag durch ein Mikrofon — würde mit weniger Mißtrauen untersucht werden.
Danilo war nicht in Randfontein House gewesen.
Roderick war dort gewesen und Clifford Wenkins und Conrad. Und fünfzig andere außerdem. Wenn Danilo das stromführende Mikro besorgt hatte, mußte es mir bei der Pressekonferenz jemand in die Hände gespielt haben. Nur durch einen glücklichen Zufall wurde es mir wieder abgenommen.
Und in der Mine unten, als sich die nächste Chance bot — kracks.
Wäre nicht die Beharrlichkeit eines Kontrolleurs namens Nyembezi gewesen, hätte der Versuch damals geklappt.
Das hier würde hingegen nicht nach einem Unfall aussehen. Die Handschellen konnten nicht zufällig dasein.
Vielleicht hatte Danilo vor, nach meinem Tod wiederzukommen und sie mir abzunehmen. Dann würde man vielleicht glauben, ich hätte mich im Park verfahren und sei lieber in dem Wagen gestorben, als einen Fußmarsch zu riskieren.
Aber die Zeit war knapp bemessen. Er konnte keine Woche warten, um sicherzugehen, daß ich tot war, bevor er wiederkam, denn bis dahin würden alle nach mir suchen, und jemand konnte vor ihm zu mir gelangen.
Ich seufzte entmutigt. Nichts davon ergab einen Sinn.
Der Tag erwies sich als Inferno im Vergleich zu dem davor. Viel schlimmer noch als Spanien. Die sengende Hitze setzte mir derart zu, daß Denken unmöglich wurde und Krämpfe meine Schultern, meine Arme, meinen Magen schüttelten.
Ich steckte meine Hände in die Ärmel, bog den Kopf aus dem direkt angestrahlten Bereich zurück und saß einfach da und hielt es aus, weil mir nichts anderes übrigblieb.
Soviel zu meinen läppischen kleinen Versuchen, den Wasserhaushalt zu regeln. Die brutale Sonne dörrte mich mit jeder Minute mehr aus, und ich wußte jetzt, daß eine Woche heillos optimistisch war. Bei dieser Hitze genügten ein bis zwei Tage.
Meine Kehle brannte vor Durst, und Speichel war ein Ding der Vergangenheit.
Vier Liter Wasser unter der Kühlerhaube… so unerreichbar wie eine Fata Morgana.
Als ich nicht mehr schlucken konnte, ohne vor Schmerz zusammenzuzucken, und nicht mehr atmen, ohne die Luft zu spüren wie ein Messer, band ich die Plastiktüte los und schüttete mir ihren Inhalt in den Mund. Ich kostete das himmlische H 2O so lange wie möglich aus, spülte es um Zähne und Gaumen und unter meine Zunge. Zum Schluk-ken war kaum noch etwas übrig, und als es weg war, fühlte ich mich elend. Jetzt war nichts mehr zwischen mir und dem Dunkelwerden.
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