«Sie vermacht dir ihren Anteil an etwas, das sich Rojedda nennt, und mir einen Diamantanhänger und ein paar Ohrringe. Die hat sie mir gezeigt. Sie sind einfach wunderschön, und ich sagte ihr, das sei viel zuviel, aber ich mußte sie anlegen, damit sie sehen konnte, wie sie mir stehen. Sie schien richtig froh, richtig glücklich zu sein. Ist sie nicht unglaublich? Ich kann es kaum ertragen — o je — o je…«:
«Weine nicht, Liebes«, sagte ich.
Es kamen ein paar Schluckgeräusche.
«Ich — ich kann nichts — dafür. Es geht ihr schon viel schlechter als bei unserem letzten Besuch, und sie fühlt sich sehr unwohl. Eine von ihren geschwollenen Lymph-drüsen drückt ihr die Brust zusammen.«
«Wir besuchen sie, sobald ich zurückkomme.«
«Ja. «Sie schnüffelte die Tränen weg.»Gott, was fehlst du mir.«
«Du mir auch«, sagte ich.»Nur noch eine Woche. Heute in acht Tagen bin ich zu Hause, und wir fahren mit den Kindern nach Cornwall.«
Nach dem Anruf ging ich hinaus und wanderte langsam über das unebene, grasige Gelände hinter den Rondavels. Die afrikanische Nacht war sehr still. Kein Verkehrslärm von irgendeiner fernen Stadt, nur das leise, stetige Summen des Generators, der Skukusa mit Strom versorgte, und das nimmermüde Zirpen der Zikaden.
Nerissa hatte mir meine Antworten geliefert.
Ich begriff, was sie bedeuteten, und wollte es nicht glauben.
Ein Spiel. Nicht mehr, nicht weniger.
Mit meinem Leben als Einsatz.
Ich ging zurück zum Telefon und tätigte noch einen Anruf. Van Horens Butler sagte, er wolle einmal nachsehen, und Quentin kam an den Apparat. Ich sagte, ich hätte ein etwas merkwürdiges Anliegen, das ich ihm erklären würde, wenn ich ihn das nächste Mal sah, aber könnte er mir vielleicht sagen, wie groß ungefähr Nerissas Anteil an Rojedda sei?
«So groß wie meiner«, erwiderte er ohne Zögern.»Sie hat den Anteil meines Bruders von Portia geerbt.«
Ich dankte ihm benommen.
«Bis zur Premiere«, sagte er.»Wir freuen uns sehr darauf.«
Stundenlang konnte ich nicht schlafen. Und doch, wo hätte ich sicherer sein können als in einem bewachten Camp, wo Evan und Conrad in den Nachbarhütten schnarchten, daß sich die Wände bogen?
Aber als ich aufwachte, lag ich nicht mehr im Bett.
Ich war in dem Wagen, den ich in Johannesburg gemietet hatte.
Der Wagen stand im frühen Tageslicht im KrügerNationalpark. Bäume, Gestrüpp und dürres Gras. Kein Rondavel weit und breit.
Leichter Äthergeruch benebelte mir die Sinne, aber eine Tatsache war klar und augenfällig.
Einer meiner Arme ging durch die Speichen des Lenkrads, und meine Handgelenke waren mit einem Paar Handschellen aneinandergefesselt.
Das mußte irgendein abscheulicher Streich sein. Evan auf die linke Tour.
Es mußte ein besonders fauler Werbetrick sein, auf den Clifford Wenkins verfallen war.
Es durfte alles, nur nicht wahr sein.
Aber tief drinnen, im Eis gewordenen Innersten, wußte ich, daß diesmal kein Mädchen namens Jill kommen würde, um mich zu befreien.
Diesmal stand Sterben auf dem Plan. Der Tod starrte mir ins Gesicht. Griff bereits nach meinen Schultern, zog mich an den Armen.
Danilo spielte um seine Goldmine.
Ich fühlte mich benommen und krank. Was immer für ein Betäubungsmittel ich auch bekommen hatte, ich hatte es dicke bekommen. Wahrscheinlich viel zuviel für den Zweck. Wenn das außer mir wohl auch kaum jemanden kümmerte.
Weiter konnte ich eine Ewigkeit nicht denken. Die Benommenheit kam in feuchtkalten, erbsengrünen Wellen immer wieder. Mein körperliches Elend blockierte jeden anderen Gedanken, nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Auf Dämmerzustände folgte jedesmal ein neues Erwachen, das erneute Erkennen meiner Zwangslage, dann Übelkeit und Jammer.
Die erste objektive Beobachtung, die den Nebel durchdrang, war die, daß ich in Unterhosen ins Bett gegangen war und jetzt Kleider anhatte. Die Hose vom Tag zuvor und das Hemd. Ebenso, als ich nachschaute, Socken und Slipper.
Die nächste Entdeckung — sie hatte schon einige Zeit an die Tür des Bewußtseins geklopft, war aber als unwillkommen ausgesperrt worden — war die, daß ich mit dem Sicherheitsgurt angeschnallt war. Er ging quer über meine Brust und über meinen Schoß, wie in dem Sportwagen.
Er saß nicht straff, aber ich kam nicht an den Verschluß heran.
Ich versuchte es. Der erste von vielen Versuchen mit vielen Dingen. Die erste von vielen Enttäuschungen.
Ich versuchte meine Hand aus den Handschellen zu ziehen; aber wie gehabt war es das Standardmodell der britischen Polizei, eigens so konstruiert, daß man die Hände nicht herauszwängen konnte. Meine Knochen, wie gehabt, waren zu stark.
Ich versuchte mit aller Kraft, das Steuer durchzubrechen, doch obwohl es im Vergleich zu dem des Sportwagens zerbrechlich aussah, schaffte ich es nicht.
Ich konnte mich ein wenig mehr bewegen als im Film. Der Gurt saß nicht so stramm, und ich hatte mehr Platz für die Beine. Davon abgesehen bestand wenig Unterschied.
Zum ersten Mal von vielen Malen fragte ich mich, wie lange es dauern würde, bis man nach mir suchte.
Evan und Conrad würden, wenn sie mein Fehlen bemerkten, sicher eine Suchaktion starten. Haagner würde sicher jeden Wildhüter im Park alarmieren. Es würde schon bald jemand kommen. Natürlich würden sie kommen. Sie würden mich befreien.
Es begann wärmer zu werden, und die Sonne am wolkenlosen Himmel schien hell durch das Fenster zu meiner
Rechten. Der Wagen stand folglich mit der Schnauze nach Norden, und bei dem Gedanken stöhnte ich, denn in der südlichen Hemisphäre scheint die Sonne mittags von Norden, und ich würde ihre Hitze und ihr Licht voll ins Gesicht bekommen.
Vielleicht kam jemand vor dem Mittag.
Vielleicht.
Die schlimmste Übelkeit ging nach ein bis zwei Stunden vorbei, wenn auch die Wellen des Unbehagens noch viel länger hin und her schwappten. Allmählich aber fing ich wieder an zu denken und hatte nicht mehr das Gefühl, es ginge mir so schlecht, daß es mir egal sein könne, ob der Tod mir im Nacken saß.
Der klare Gedanke Nummer eins war, daß Danilo mich in diesen Wagen gesperrt hatte, damit ich starb und er Nerissas Hälfte von der van-Horen-Goldmine erbte.
Nerissa vermachte mir ihren Anteil an Rojedda in ihrem Testament, und Danilo, der das Testament gelesen hatte, wußte es.
Danilo sollte den Reinnachlaß erben. Starb ich vor Nerissa, war das Rojedda-Legat frei, und der Anteil wurde dem Restnachlaß zugerechnet. Blieb ich am Leben, entging Danilo nicht nur ein Anteil an der Goldmine, er büßte auch noch Hunderttausende von Pfund ein.
Nach dem derzeit geltenden Recht, das noch gelten würde, wenn Nerissa starb, war die Erbschaftssteuer für alles, was sie besaß, aus dem Reinnachlaß zu bezahlen. Jeder für das Erbe, das Nerissa mir hinterließ, bezahlte Pfennig ging also Danilo verloren.
Hätte sie mir doch nur erzählt, was sie vorhatte, dachte ich unnützerweise; ich hätte ihr sagen können, warum sie es anders machen sollte. Vielleicht war sie sich nicht darüber im klaren gewesen, wie ungeheuer wertvoll der
Rojedda-Anteil war; sie hatte ihn erst kürzlich von ihrer Schwester erhalten. Vielleicht hatte sie nicht gewußt, wie die Erbschaftssteuer geregelt war. Bedachte man, welche Freude sie an ihrem fast schon vergessenen Neffen gefunden hatte, dann hatte sie bestimmt nicht gewollt, daß ich auf Kosten Danilos unermeßlich reich wurde.
Jeder Steuerberater hätte ihr das gesagt, aber ein Testament wurde normalerweise vom Notar, nicht von Steuerberatern aufgesetzt, und finanzielle Beratung war nicht Sache eines Notars.
Danilo mit seinem mathematischen Verstand hatte das Testament gelesen und die Haken darin gesehen, wie ich sie auch gesehen hätte. Danilo mußte genau in diesem Moment angefangen haben, meinen Tod zu planen.
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