«Olifant ist das gefährlichste von allen Tieren«, sagte er ernst, und Conrad versicherte ihm ebenso ernst, daß er, Conrad, um nichts auf der Welt den Rangerover verlassen werde. Haagner erlaubte nicht einmal ein offenes Fenster und wollte sofort wegfahren. Anscheinend brachten Olifanten, wenn sie auf diese Weise mit den Ohren wedelten, ihren Unmut zum Ausdruck, und da sie sieben Tonnen wogen und mit 25 Meilen in der Stunde Sturm laufen konnten, war Herumlungern nicht ratsam.
Evan glaubte nicht, daß irgendein Tier sich unterstehen würde, so wichtige menschliche Wesen wie E. Pentelow, Regisseur, und E. Lincoln, Schauspieler, zu attackieren. Er überredete Conrad, die Kamera einzuschalten, und Haag-ner saß da bei laufendem Motor, den Fuß auf dem Gaspedal. Als der Elefant schließlich einen Schritt in unsere Richtung machte, schossen wir in einem solchen Ruck davon, daß es Conrad samt Kamera und allem auf den Wagenboden warf.
Ich half ihm auf, und Evan beschwerte sich bei Haagner. Der Wildhüter, dessen Geduld sich dem Ende näherte, hielt mit einem nicht minder scharfen Blick den Wagen an und zog die Handbremse.
«Also schön«, sagte er.»Wir warten.«
Der Elefant kam hundert Meter hinter uns auf die Straße. Die großen Ohren flatterten wie Fahnen.
Conrad schaute sich um.»Fahren Sie doch, lieber Junge«, sagte er mit Angst in der Stimme.
Haagner kniff die Lippen zusammen. Der Elefant beschloß uns zu folgen. Außerdem beschleunigte er zum Trab.
Es dauerte länger, als mir lieb war, bis Evan nachgab. Er sagte gerade:»Herrgott noch mal, wo ist die Arriflex?«zu Conrad, als ihm endlich zu dämmern schien, daß echte Gefahr bestehen könnte.
«Fahren Sie los«, sagte er drängend zu Haagner.»Sehen Sie nicht, daß das Tier angreift?«
Und Stoßzähne hatte es auch, stellte ich fest.
Haagner fand ebenfalls, daß es reichte. Mit einer einzigen flotten Bewegung hatte er die Handbremse gelöst und den Gang eingelegt, und der Elefant kriegte den Rüssel voll Staub.
«Was ist mit dem nächsten Wagen, der kommt?«fragte ich.
«Die fahren direkt auf ihn drauf.«
Haagner schüttelte den Kopf.»Heute kommen hier keine Autos mehr lang. Es ist zu spät. Jetzt dürften alle bei den Camps sein. Und dieser Olifant, der läuft gleich wieder in den Busch. Er bleibt nicht auf der Straße.«
Conrad sah auf die Uhr.»Wie lange brauchen wir noch bis Skukusa?«
«Wenn wir nicht mehr anhalten«, sagte Haagner bissig,»ungefähr eine halbe Stunde.«
«Aber es ist doch schon Viertel nach sechs!«rief Conrad.
Haagner macht eine unverbindliche Bewegung mit dem Kopf und antwortete nicht. Evan schien es die Sprache verschlagen zu haben, und ein Ausdruck ruhiger Befriedigung breitete sich über das Gesicht des Afrikaanders. Der Ausdruck blieb dort während der restlichen Fahrt, zuerst in der kurzen Dämmerung, dann im zurückgeworfenen Licht der Scheinwerfer. Bevor wir Skukusa erreichten, lenkte Haagner den Rangerover plötzlich auf eine der für den Verkehr gesperrten Nebenstraßen, ein Abstecher, der uns nach ein oder zwei Meilen unverhofft in ein Dorf mit modernen Bungalows, kleinen Blumengärten und Straßenbeleuchtung brachte.
Wir bekamen große Augen. Ein Vorort, nichts Geringeres, erhob sich da grün aus dem staubtrockenen Veld.
«Das ist ein Wildhüterdorf«, sagte Haagner.»Mein Haus steht da drüben, das dritte in der Straße. Alle Weißen, die im Camp arbeiten, und die weißen Wildhüter wohnen hier. Die Bantu-Ranger und — Arbeiter haben auch Dörfer im Park.«
«Aber die Löwen«, sagte ich.»Ist so ein Dorf denn sicher, bei der Abgeschiedenheit?«
Er lächelte.»Es liegt nicht abgeschieden. «Der Rangerover kam ans Ende der Häuserreihe, fuhr etwa fünfzig Meter unbeleuchtete Straße entlang und schnurrte geradewegs in die Randzone von Camp Skukusa hinein.»Aber völlig sicher ist es auch nicht. Man darf sich abends nicht weit von den Häusern entfernen. Löwen halten normalerweise Abstand von den Gärten — und wir haben sie eingezäunt —, aber einmal wurde nachts ein junger Bantu von einem Löwen geholt, auf dem kurzen Stück Weg zwischen unserem Dorf und dem Camp. Ich kannte ihn gut. Man hatte ihm gesagt, er solle nie zu Fuß gehen… Es war wirklich traurig.«
«Werden oft Leute von Löwen — geholt?«fragte ich, als er bei unseren Rondavels anhielt und wir mit den Kameras und der roten Kühlbox ausstiegen.
«Nein. Manchmal. Nicht oft. Leute, die im Park arbeiten. Besucher nie. Im Auto ist man sicher. «Er warf Evan einen letzten bedeutungsvollen Blick zu.»Verlassen Sie Ihr Fahrzeug nicht. Das ist gefährlich.«
Vor dem Abendessen im Camp-Restaurant meldete ich ein Gespräch nach England an. Zwei Stunden Wartezeit, hieß es, aber um neun sprach ich mit Charlie.
Alles sei in Ordnung, sagte sie; die Kinder seien kleine Rabauken, und sie habe Nerissa besucht.
«Ich war gestern den ganzen Tag bei ihr. Die meiste Zeit haben wir bloß dagesessen, weil sie furchtbar müde war, aber sie wollte anscheinend nicht, daß ich gehe. Ich habe sie gefragt, was du wissen wolltest — nicht alles auf einmal, sondern so nach und nach.«
«Was hat sie gesagt?«
«Nun, mit einigem lagst du richtig. Sie hat Danilo erzählt, daß sie die Hodgkinsche Krankheit hat. Sie sagt, damals hat sie selbst noch nicht gewußt, daß es unheilbar ist, aber sie meint nicht, daß er besonders Notiz davon genommen hat; er sagte lediglich, er habe geglaubt, nur junge Leute bekämen die Krankheit.«
Wenn er das wußte, dachte ich, dann wußte er noch viel mehr.
«Anscheinend war er so etwa zehn Tage bei ihr, und sie wurden gute Freunde. So hat sie das bezeichnet. Bevor er nach Amerika zurückfuhr, sagte sie ihm also, daß sie ihm die Pferde als persönliches Geschenk vermachen wollte und, da er ihr einziger Verwandter sei, außerdem alles, was nach Verteilung der anderen Legate von ihrem Vermögen übrigbliebe.«
«Glücklicher Danilo.«
«Ja. Nun, er hat sie noch einmal besucht, vor ein paar Wochen, Ende Juli oder Anfang August. Als du in Spanien warst, jedenfalls. Da wußte sie inzwischen, daß sie sterben muß, hat aber Danilo nichts davon gesagt. Allerdings hat sie ihm ihr Testament gezeigt, da es ihn zu interessieren schien. Nachdem er es gelesen hatte, sei er sehr lieb gewesen und habe gesagt, er erbe hoffentlich erst in zwanzig Jahren.«
«Der kleine Heuchler.«
«Ich weiß nicht«, meinte Charlie zweifelnd,»obwohl du in vielem recht hast, ist nämlich doch ein dickes Haar in der Suppe.«
«Was für eins?«
«Danilo kann nichts dafür, wenn die Pferde verlieren. Das haut nicht hin.«
«Doch«, sagte ich,»wieso denn nicht?«
«Als Nerissa ihm erzählte, daß sie über das schlechte Abschneiden der Pferde besorgt sei und gern herausfinden würde, woran es liegt, hat Danilo selbst den Einfall gehabt, dich zu schicken.«
«Das ist doch nicht möglich«, rief ich.
«Hundertprozentig«, sagte Charlie.»Sie ist ganz sicher. Es war Danilos Vorschlag.«
«Verdammt«, sagte ich.
«Er hätte wohl nicht vorgeschlagen, daß jemand mal nach dem Rechten sieht, wenn er sie selber dopt.«
«Nein, wahrscheinlich nicht.«
«Du hörst dich deprimiert an«, sagte sie.
«Ich habe sonst keine Antworten für Nerissa.«
«Mach dir nichts draus. Du hättest ihr sowieso nicht gesagt, daß ihr Neffe krumme Touren abzieht.«
«Stimmt auch wieder«, gab ich zu.
«Und es war nicht schwer für Danilo, das Testament zu lesen. Sie läßt es immer auf dem Intarsientisch in der Wohnzimmerecke herumliegen. Sie hat es mir gleich gezeigt, als ich darauf zu sprechen kam, weil es sie sehr beschäftigt. Und ich habe gesehen, was sie uns zum Andenken hinterläßt, falls es dich interessiert.«
«Was denn?«fragte ich nebenher, während ich an Danilo dachte.
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