Wir kauften unsere Tickets und stellten fest, daß wir entweder gegen Mittag direkt oder in knapp einer halben Stunde über Sydney nach Auckland fliegen konnten.
«Über Sydney«, meinte Sarah entschieden, als schöpfe sie Kraft aus der Vorstellung, daheim zwischenzulanden.
Ich schüttelte den Kopf.»Auckland direkt. Schauen wir mal, ob es im Restaurant noch Frühstück gibt.«
Wir drängten uns an der betont auf Wand- und Armbanduhr blickenden Bedienung vorbei und bestellten einen Berg Eier mit Speck.
«Was wollen wir in Neuseeland?«fragte Sarah.
«Mit dem Besitzer eines Bildes sprechen und ihm raten, eine Zusatzversicherung abzuschließen.«
«Und das soll der Grund sein?«
«Ein sehr guter«, sagte ich.
«Ich sehe nicht ein, warum wir so weit reisen müssen, wenn Jik sagt, ihr habt in der Galerie genug gefunden, um die ganze Sache auffliegen zu lassen.«
«Hm…«, sagte ich.»Weil wir sie nicht auffliegen lassen wollen. Der Laden soll intakt sein, wenn wir ihn der Polizei übergeben.«
Sie musterte mein Gesicht.»Du sprichst in Rätseln.«
«Nicht auf der Leinwand«, warf Jik ein.
Nach dem Frühstück schlenderten wir durch die Geschäfte auf dem Flughafen, kauften einmal mehr Zahnputzzeug und dergleichen für Jik und Sarah und eine weitere Flugtasche. Keine Spur von Wexford, Greene, dem Jungen, dem Schrank, Renbo oder unserem Beschatter aus Alice Springs. Wenn sie uns hier entdeckt hatten, war uns das entgangen.
«Ich werde mal im Hilton anrufen«, sagte ich.
Jik nickte. Ich telefonierte in Sicht- und Hörweite von ihm und Sarah.
«Sie hatten um eine Nachsendeadresse gebeten«, sagte ich der Frau am Empfang.»Leider habe ich noch keine. Ich bin auf dem Weg nach Neuseeland. In ein paar Stunden fliege ich nach Auckland.«
Sie fragte, was mit dem Brief geschehen solle.
«Ehm… würden Sie ihn öffnen und mir vorlesen?«
Aber gern, sagte sie. Der Brief war von Hudson Taylor, der bedauerte, mich auf der Rennbahn nicht gesehen zu haben, und sich erbot, mir sein Weingut zu zeigen, falls ich Interesse hätte, so etwas in Australien zu besichtigen.
Vielen Dank, sagte ich. Nichts zu danken, sagte die Empfangsdame. Ich bat sie, falls nach mir gefragt würde, mein Reiseziel anzugeben. Aber gern, selbstverständlich.
In der nächsten Stunde rief Jik die Autovermietung an, um die Rechnung zu begleichen und Bescheid zu sagen, daß der Wagen auf dem Flughafenparkplatz abgestellt sei, und ich gab meinen Koffer bei der Air New Zealand auf. Pässe waren kein Problem, da der Reiseverkehr zwischen Australien und Neuseeland ebenso frei war wie zwischen England und Irland.
Von Wexford und Greene immer noch keine Spur. Wir saßen in der Abflughalle, und jeder hing seinen Gedanken nach.
Wieder entdeckte ich den Beobachter erst, als unser Flug aufgerufen wurde. Wieder lief es mir kalt über den Rücken. Ich war blind gewesen. Blind und blöd.
Nicht Wexford, nicht Greene, weder Renbo noch der Junge noch irgendein ruppiger Kraftmensch. Ein hübsches Tageskleid, hübsche Frisur, unauffällige Handtasche, einfache Schuhe. Ein ruhiges, konzentriertes Gesicht. Ich bemerkte sie, weil sie Sarah anstarrte. Sie stand vor der Abflughalle und schaute hinein. Die Frau, die mich bei Yarra River Fine Arts empfangen, mir einen Katalog in die Hand gedrückt und mich nachher auch hinausgelassen hatte.
Als fühlte sie sich beobachtet, richtete sie plötzlich den Blick auf mein Gesicht. Ich sah mit Pokermiene sofort weg und hoffte, sie wußte jetzt nicht, daß ich sie gesehen, oder zumindest nicht, daß ich sie erkannt hatte.
Jik, Sarah und ich standen auf und zogen mit allen anderen zum Ausgang. In den Scheiben spiegelte sich die Frau: Regungslos sah sie uns nach. Ohne mich umzudrehen, ging ich hinaus zum Flugzeug.
Mrs. Norman Updike stand in der Tür, schüttelte den Kopf und sagte, ihr Mann werde nicht vor sechs zu Hause sein.
Sie war dünn, hatte ein verkniffenes Gesicht und redete mit stark neuseeländischem Einschlag. Wenn wir ihren Mann sprechen wollten, müßten wir noch einmal herkommen.
Sie musterte uns: Jik mit seinem verwegenen blonden Bart, Sarah mit ihrem etwas verknitterten hellen Safarikleid und mich mit dem Arm in der Schlinge unterm Hemd, die Jacke lose über der Schulter. Ein Trio, das man so leicht nicht vergaß. Mit steil herabgezogenen Mundwinkeln beobachtete sie unseren Rückmarsch zur Straße.
«Eine Seele von Mensch«, meinte Jik leise.
Wir fuhren mit dem am Flughafen gemieteten Wagen davon.
«Wohin jetzt?«fragte Jik.
«Ich brauche was zum Anziehen. «Sarahs Machtwort.
Die Läden waren in der Queen Street, wie sich herausstellte, und noch eine halbe Stunde geöffnet. Jik und ich blieben im Auto, warteten und sahen die Welt an uns vorbeiziehen.
«Das ist jetzt die Zeit, wo all die Vöglein aus ihren Bürokäfigen kommen«, sagte Jik gutgelaunt.
«Na und?«
«Ich zähle immer die ohne Büstenhalter.«
«Und dabei bist du verheiratet.«
«Alte Gewohnheiten wird man schwer los.«
Wir zählten acht klare Fälle und ein Vielleicht, bis Sarah zurückkam. Sie trug einen hell olivgrünen Rock mit einer rosa Bluse und erinnerte mich an Pistazieneis.
«So ist es besser«, sagte sie und warf zwei prall gefüllte Tragetüten auf den Rücksitz.»Jetzt können wir.«
Die therapeutische Wirkung der neuen Kleider hielt während unseres ganzen Aufenthalts in Neuseeland an und erstaunte mich maßlos. Sie fühlte sich offenbar sicherer, wenn sie frisch und sauber aussah, und damit besserte sich auch ihre Gemütsverfassung. Baumwollpanzer, dachte ich. Bügelfrei und kugelsicher. Selbstschutz von der Stange.
Ohne Eile kehrten wir zu der Anhöhe über der Bucht zurück und zu der dichtbebauten Vorortstraße, in der Norman Updike wohnte. Das Haus der Updikes war groß, aber eingezwängt zwischen den Nachbarn, und den Grund für das Gedränge erkannte man erst, wenn man hineinging. Wegen der schönen Aussicht nämlich waren so viele Häuser wie irgend möglich hier aufgestellt worden. Die Stadt selbst dehnte sich offenbar meilenweit entlang der zerklüfteten Küste aus, und die Grundstücke erschienen winzig klein.
Norman Updike entpuppte sich als so aufgeschlossen, wie seine Frau zugeknöpft war. Sein runder, blanker Glatzkopf saß auf einem rundlichen kleinen Körper, und er nannte seine bessere Hälfte ganz ohne Sarkasmus Zuckerl.
Jik und ich sagten, wir seien Maler, würden uns sehr für das bekannte Bild interessieren, das er kürzlich erworben habe, und wären sehr dankbar, wenn wir es einen Augenblick bewundern dürften.
«Kommen Sie auf Empfehlung der Galerie?«fragte er und strahlte vor Freude über das indirekte Kompliment an seinen Kunstverstand und seinen Reichtum.
«Sozusagen«, antworteten wir, und Jik fügte hinzu:»Mein Freund hier ist in England ein bekannter Pferdemaler und mit seinen Bildern in vielen führenden Galerien vertreten; auch die Royal Academy hat ihn schon öfter ausgestellt…«
Ich fand, er trug ein bißchen dick auf, aber Norman Updike war beeindruckt und öffnete seine Tür weit.
«Bitte sehr. Kommen Sie rein. Das Bild hängt im Wohnzimmer. Hier entlang, Fräulein, hier entlang.«
Er führte uns in einen großen, vollgestopften Raum mit dunklem, samtweichem Teppichboden, großen dunklen Schränken und der herrlichen Aussicht auf sonnenbeschienenes Wasser.
Zuckerl saß stur vor dem Fernseher, in dem eine hirnrissige britische Klamotte lief, und warf uns zur Begrüßung einen säuerlichen Blick zu.
«Hier drüben. «Norman Updike strahlte und schob sich an einer Abteilung dicker Polstersessel vorbei.»Na, was sagen Sie jetzt?«Mit Besitzerstolz deutete er auf das Ölbild an seiner Wand. Ein eher kleines Bild, 35 mal 45 Zentimeter. Ein schwarzes Pferd, dessen überlanger Hals sich vor dem blauweißen Himmel wölbte, ein gestutzter Schweif, im Vordergrund gelbes Gras, und das Ganze mit einem alt anmutenden Firnis überzogen.
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