«Sarah!«
«Ja… in Ordnung.«
Wir platzten in die Halle, die sich mit heimkehrenden Rennbahnbesuchern gefüllt hatte. Sie unterhielten sich in Gruppen, waren in Bewegung, und man konnte nur schwer den Raum überblicken. Um so besser, dachte ich.
Mein Koffer und die Maltasche standen in der Nähe des Haupteingangs, bewacht von einem jungen Mann in Hausdiener-Uniform.
Ich gab ihm die zehn Dollar.»Vielen Dank«, sagte ich.
«Kein Problem«, meinte er vergnügt.»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
Ich schüttelte den Kopf. Sarah nahm die Malertasche, ich den Koffer, und wir gingen zur Tür hinaus.
Wandten uns nach rechts. Legten einen Schritt zu. Wandten uns noch einmal nach rechts und waren dort, wo Jik uns abholen sollte.
«Er ist nicht da!«rief Sarah, der Panik nahe.
«Er kommt schon noch«, sagte ich beruhigend.»Gehen wir ihm ein Stück entgegen.«
Wir gingen. Ich sah mich immer wieder nervös nach Verfolgern um, aber wir waren allein. Jik kam auf zwei Reifen um die Ecke gefegt und schliff ein paar Millimeter Profil, als er neben uns anhielt. Sarah stieg vorn ein, ich zwängte mich mit meinem Koffer auf den Rücksitz. Jik vollführte ein haarsträubendes Wendemanöver und brachte uns mit unerlaubt hoher Geschwindigkeit vom Hilton weg.
«Menschenskind«, lachte er, von übergroßer Anspannung befreit,»wie bist du bloß auf die Idee gekommen?«
«Durch die Marx Brothers.«
Er nickte.»Der reinste Slapstick.«
«Wo fahren wir hin?«fragte Sarah.
«Ist dir schon aufgefallen«, sagte Jik,»daß meine Frau immer das Wesentliche im Auge behält?«
Melbourne zieht sich weit hin.
Wir fuhren aufs Geratewohl nach Nordosten, durch schier endlose Vorstadtsiedlungen mit Läden, Autowerkstätten und kleinen Betrieben, die alle wohlhabend, improvisiert und für meine Begriffe amerikanisch aussahen.
«Wo sind wir?«fragte Jik.
«Box Hill nennt sich das«, sagte ich, denn so stand es in den Schaufenstern zu lesen.
«Soll mir recht sein.«
Wir fuhren noch einige Meilen weiter und hielten an einem modernen Mittelklasse-Motel, dessen Vorplatz mit zahlreichen Wimpeln geflaggt war. Kein Vergleich mit dem Hilton, aber doch Zimmer, die sauberer waren als von der Natur vorgesehen.
Die Einrichtung bestand aus schlichten Liegen, einem dünnen, an den Rändern festgenagelten Teppichviereck, einer Tischlampe, die an einen unverrückbaren Tisch geschraubt war, einem an die Wand geleimten Spiegel und einem am Boden festgeschraubten Drehsessel. Aber die Vorhänge waren hübsch, und aus dem Heißwasserhahn in der Dusche kam heißes Wasser.
«Die wollen nicht, daß man sie beklaut«, sagte Jik.»Vielleicht sollten wir ihnen ein Wandbild malen.«
«Nein!«rief Sarah entsetzt.
«Es gibt ein berühmtes australisches Sprichwort«, sagte Jik.»Wenn es sich bewegt, knall es ab, wenn es wächst, schneid es ab.«
«Was hat denn das damit zu tun?«fragte Sarah.
«Nichts. Ich dachte nur, es könnte Todd gefallen.«
«Herr, gib mir Kraft.«
Genau das versuchten ihr Mann und ich mit unseren bescheidenen Mitteln.
Jik drehte sich auf dem Drehsessel in meinem Zimmer. Sarah setzte sich auf die eine Liege, ich auf die andere. Mein Koffer und die Malertasche standen auf dem Fußboden.
«Ist euch klar, daß wir ohne zu zahlen aus dem Hilton verduftet sind?«fragte Sarah.
«Sind wir nicht«, widersprach Jik.»Solange unsere Klamotten noch da sind, wohnen wir auch dort. Ich rufe nachher an.«
«Aber Todd…«
«Ich habe bezahlt«, sagte ich.»Bevor ihr wiedergekommen seid.«
Sie schien etwas beruhigt.
«Wie hat Greene euch gefunden?«fragte ich.
«Weiß der Geier«, meinte Jik düster.
Sarah staunte.»Woher weißt du, daß Greene da war? Woher hast du überhaupt gewußt, daß außer Jik und mir noch jemand in unserem Zimmer war? Daß wir so in der Bredouille steckten?«
«Von Jik.«
«Unmöglich. Er konnte dich doch gar nicht warnen. Er durfte nur sagen, daß du kommen sollst. Er hat wirklich…«Ihre Stimme wurde zittrig. Sie war den Tränen nah.»Er mußte…«
«Jik hat’s mir gesagt«, erklärte ich nüchtern.»Erstens hat er mich Charles genannt, was er sonst nie tut, daher wußte ich, daß was nicht stimmt. Zweitens war er grob zu mir, und auch wenn du meinst, das sei er immer, auf diese Art ist er es nicht. Und drittens hat er mir den Namen des Mannes gesagt, der euch in der Gewalt hatte und wollte, daß ihr mich nach unten in die böse kleine Falle lockt. Sein Wort dafür war >Chromoxid<, und das ist der Stoff, der grüne Farbe grün macht.«
«Grün!«Die Tränen vergingen ihr.»Ihr seid wirklich unbeschreiblich.«
«Lange Übung«, meinte Jik aufgeräumt.
«Erzählt mir, was los war«, sagte ich.
«Wir sind vor dem letzten Rennen weg, um nicht in den Stoßverkehr zu geraten, und bis zum Hilton lief alles glatt. Ich habe den Wagen geparkt, und wir sind auf unser Zimmer gegangen. Nach kaum einer Minute klopft es an der Tür, ich mache auf, und rums stürmen sie rein…«
«Sie?«
«Drei Mann. Einer war Greene. Wir haben ihn nach deiner Zeichnung sofort erkannt. Der zweite war der Junge aus dem Arts Centre. Der dritte war so ein Schrank mit buschigen Augenbrauen, der mit den Fäusten denkt.«
Geistesabwesend rieb er sich die Herzgegend.
«Hat er dir eine verpaßt?«fragte ich.
«Es ging alles so schnell…«, sagte er, als müßte er sich verteidigen.»Sie sind einfach reingeplatzt, und paff! Im nächsten Moment hatten sie auch schon Sarah gepackt, und sie verdrehten ihr den Arm und sagten, ihr würden sie nicht bloß Terpentin in die Augen schütten, wenn ich dich nicht sofort herbeihole.«
«Waren sie bewaffnet?«
«Sie hatten… ein Feuerzeug. Tut mir leid, Partner, das hört sich bestimmt schwach an, aber der Schrank drückte ihr die Luft ab, und der Junge hielt ihr ein Stichflammen produzierendes Monstrum von Feuerzeug ans Gesicht… und ich war etwas angeschlagen, und Greene sagte, sie würden sie rösten, wenn ich dich nicht hole… und gegen alle drei kam ich ja nicht an…«
«Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte ich.
«Ja, gut… also habe ich dich angerufen. Ich sagte Greene, du kämst in zehn Minuten, weil du noch nicht angezogen seist, aber ich glaube, er hat dich sowieso gehört, denn er stand direkt neben mir und war ganz Ohr. Ich wußte nicht genau, ob du begriffen hattest, ich konnte es nur hoffen… und du hättest mal ihre Gesichter sehen sollen, als der Kellner den Servierwagen reinschob. Der Schrank ließ Sarah los, der Junge glotzte mit offenem Mund, in der Hand den MiniFlammenwerfer… «
«Greene sagte, der Champagner sei nicht erwünscht und solle wieder mitgenommen werden«, ergänzte Sarah.»Aber Jik und ich sagten, wir wollten ihn doch, und Jik bat den Kellner, ihn auch gleich zu öffnen.«
«Bevor er den ersten Korken raushatte, schneiten auf einmal die anderen rein… und es wurde voll im Zimmer… und schon hieß es, hoch die Gläser… und weil Greene, der Jüngling und der Schrank durch den Servierwagen und die vielen Leute quasi auf der Fensterseite eingepfercht waren, habe ich mir Sarah geschnappt und bin mit ihr raus. Ich habe noch gesehen, wie Greene und die anderen hinter uns herwollten, aber das war bei dem trinklustigen Gedränge nicht einfach… und ich glaube, mit dem Wäschewagen haben wir uns dann endgültig den nötigen Vorsprung bis zum Fahrstuhl verschafft.«
«Wie lange wohl die Party gedauert hat?«fragte ich.
«Bis kein Schampus mehr da war.«
«Die müssen dich für verrückt gehalten haben«, meinte Sarah.
«Am Cup-Tag ist alles erlaubt«, sagte ich.»Und im Hilton wird das Personal an exzentrische Gäste gewöhnt sein.«
«Was wäre denn gewesen, wenn Greene eine Pistole gehabt hätte?«fragte Sarah.
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