Wir waren in der Luft und schon weit südlich von Doncaster, als Kris mich wach rüttelte.
«Entschuldige«, sagte ich gähnend und griff nach der Karte,»wo sind wir?«Es war eben noch hell genug, um die Verkehrswege zu sehen, Straßen, Flüsse und Bahnlinien.
«Ist doch alles in Ordnung«, sagte ich. Er flog sein Ziel immer direkt an.
Aber Kris sagte, seine Sorge sei nicht, er könnte sich verflogen haben, sondern das Öl auf der Windschutzscheibe.
«Was?«fragte ich verständnislos.
«Öl. Auf der Windschutzscheibe. Perry, wach auf!«
Die Intensität der Aufforderung war es, die scharf zu mir durchdrang. Ich wachte auf. Mein Herz machte einen Satz.
Dunkle goldgelbe Fäden liefen über die Windschutzscheibe, es wurden zusehends mehr, und sie breiteten sich von unten nach oben auf dem Glas aus.
Entsetzt begriffen wir beide, was los war. Das heiße Öl, das als Schmiere für die vier dröhnenden Kolben im Motorgehäuse hätte kreisen sollen, kam irgendwie aus dem Motorraum und lief an den Kanten der Motorhaube tropfenweise nach oben und nach hinten, schlug gegen die Windschutzscheibe — und verteilte sich langsam darauf, so daß es dem Piloten effektiv die Sicht nahm.
Das Öl selbst war nicht die schwarzbraune, schmutzige alte Soße, zu der es wird, wenn es viele Flugstunden lang durch den Motor läuft. Kris pflegte sein Prachtstück, und er wechselte das Öl regelmäßig. Die Bescherung auf der Windschutzscheibe stammte von dem Öl, das er erst vor dem Lunchausflug nach Newmarket frisch eingefüllt hatte.
«Allmächtiger«, sagte Kris,»was zum Teufel machen wir jetzt?«
«Genau auf Kurs bleiben«, sagte ich automatisch,»damit wir wissen, wo wir sind.«
«Das ist das wenigste. Aber wenn nun das ganze Öl ausläuft? Dann frißt sich der Motor fest. «Kris hörte sich plötzlich auf komische Weise unbesorgt an.»Und wie sollen wir landen, wenn wir nicht sehen, wo’s langgeht?«
«Können wir die Scheibe einschlagen?«tippte ich an.
«Mach halblang, Perry.«
Er war sarkastisch, aber auch resigniert.»Das ist gehärtetes Glas, es hält anprallenden Vögeln stand. Und wenn wir es einschlagen könnten — aber womit? — , würde es uns hier die Haut vom Gesicht ziehen, wir bräuchten Schutzbrillen wie die Flieger der alten Tigermotte und wären immer noch zu schnell. Wir hätten einen Hurrikan der Kategorie 3 gegen uns, das geht nicht.«
«Vergiß es«, sagte ich.»Halten wir Kurs und Höhe. Wir brauchen einen großen Verkehrsflughafen, der samstags um die Zeit geöffnet hat.«
«Na toll. «Er warf mir einen Blick zu.»Wo nehmen wir den denn her?«
«Kinderspiel. «Ungeheuer erleichtert stellte ich fest, daß wir diesmal in geregeltem Funkkontakt mit der Außenwelt standen, und wir hatten eine Radiokarte, auf der die Funkfrequenzen der Flughäfen angegeben waren. Fallschirme und Schleudersitze besaßen wir nicht — man kann nicht alles haben.
«Bleib auf Kurs«, sagte ich Kris.»Ich bringe uns auf ein Flugfeld runter.«
«Du bringst uns runter«, wiederholte er flapsig,»und ich mache Bruch.«
Verdammt blöd, so zu sterben, dachte ich. Von Öl geblendet… Die Scheibenwischer einzuschalten hätte nur alles schlimmer gemacht, die hätten nur das Öl endgültig zu einem dicken, durchgehenden Film verschmiert, während wir jetzt durch die Fäden immerhin noch den Boden tief unter uns sehen konnten.
Tief … Kris erlag der Versuchung, tiefer zu gehen, um den Boden besser sehen zu können, aber in der Höhe hatten wir bessere Aussichten auf einen klaren Funkkontakt mit einem Flugplatz.
«Geh wieder hoch«, bat ich ihn.
«Es ist mein verdammtes Flugzeug.«
«Es ist mein verdammtes Leben.«
Wir brauchten so schnell wie möglich einen großen Flughafen, und diesmal war das Glück uns hold. Ich fragte Kris trocken, ob er etwas gegen Luton habe, das fast genau auf unserem Kurs lag.
«Das ist nicht dein Ernst! Ein richtiger Flughafen? Den schauen wir uns mal an!«
Ich gab der Kontrollstelle wegen des Öls Bescheid und sagte, wir würden Luton anfliegen, etwa fünfzig Kilometer entfernt. In Luton vernahm man mit ungläubigem Schweigen, daß wir nur Funk, aber keine Funknavigation hatten, und über unsere (geringen) Chancen wollte sich der Mann in Lutons Tower nicht weiter auslassen, er sagte nur, er könne uns über die Landebahn dirigieren und sie für uns freihalten, alles andere liege bei uns.
Er gab uns eine eigene Frequenz, auf der wir ihn direkt erreichen konnten, ohne den übrigen Funkverkehr zu belasten.
«Wer braucht sich da noch unter einen Zug zu werfen!«rief Kris mir grinsend zu, dessen manische Seite angesichts der tödlichen Gefahr wieder Oberhand gewann.
«Ein lebensmüder Pilot hat mir jetzt gerade noch gefehlt!«
«Es ist vielleicht das letzte, was du kriegst.«
«Das verzeih ich dir nie.«
Der Mann in Luton sagte uns in die Ohren:»Wir haben hier einen alten Funkpeiler. Wissen Sie, wie man ein QDM fliegt?«
Kris sagte:»Klar«, und ich sagte:»Ja«, dabei hätte es korrekterweise heißen müssen:»Positiv«, aber auch das hätte in meinem Fall nicht ganz gestimmt. Funkpeiler ermittelten die Richtung, in der sich ein Sender befand, und QDM stand für» Welche Richtung soll ich fliegen?«, und das war auch schon alles, was ich darüber wußte. Gott sei Dank aber meinte Kris, er habe vor Jahren einmal, als er sich verflogen hatte, einen QDM-Anflug gemacht.
Wußte er noch, wie es ging?
Nicht genau, sagte er. Das sollte ein Scherz sein. Er vergaß so etwas nicht.
Unser Helfer in Luton wies Kris resigniert an, die Sprechtaste zu drücken und still zu sein, nach links zu gehen und nach zwei Minuten wieder zu sprechen, worauf er uns mitteilte, er wisse nun, welcher Punkt wir seien auf seinem Schirm und wie wir steuern müßten, könne jedoch nicht sagen, wie weit wir von ihm entfernt seien, das wisse er erst, wenn er uns direkt vor sich sehe.
Er könne vielleicht uns sehen, antworteten wir, aber wir ihn nicht. Das Öl schien jetzt schneller auszulaufen. Die Sicht nach vorn war praktisch auf Null reduziert, und auf den Seitenfenstern bildeten nach hinten sprühende Tropfen streifige Schleier.
Unter der fachkundigen Anleitung des Helfers steuerten wir direkt den Flughafen Luton an, und Kris, an den Instrumenten wieder so sicher, als hätte er es im Blut, riß einen müden Scherz nach dem anderen. Durch die noch un-verschmierten unteren Ränder der Seitenfenster waren die ersten Lichter am Boden zu sehen. Kris gingen die Witze aus, als der Lotse ihn vorsichtig eine birnenförmige Schleife fliegen ließ, die seine Cherokee genau vor die große, breite Rollbahn brachte, die jetzt noch eine Meile entfernt lag.
Die Rollbahn verlief von West nach Ost. Wir sollten nach Westen landen, gegen den herrschenden Wind.
Zu meiner heimlichen Bestürzung hieß nach Westen landen aber auch, gegen die untergehende Sonne. Die letzten Sonnenstrahlen trafen das Öl und verwandelten die Windschutzscheibe in einen undurchdringlichen, goldglühenden Lichterglanz von aufregender Schönheit und Todesgefahr.
«Himmel«, sagte Kris,»das gibt ein Gedicht.«
«Aber nicht jetzt.«
«Sprich deine Gebete.«
«Konzentrier du dich darauf, uns runterzubringen.«
«Runter kommen wir sowieso.«
«Mit heiler Haut«, sagte ich.
Er grinste.
Die Stimme vom Kontrollturm sagte uns in die Ohren:
«Ich sehe Sie deutlich. Fahren Sie die Landeklappen aus… gehen Sie auf zweihundert Fuß runter… bleiben Sie auf Kurs… Rechnen Sie mit zehn Knoten Seitenwind von Westen.«
Kris vergewisserte sich, daß ich den Höhenmesser auf Lutons Höhe über dem Meeresspiegel eingestellt hatte, und fuhr die Landeklappen aus — an den Tragflächen angebrachte Klappen, die bei niedriger Fluggeschwindigkeit den Auftrieb erhöhten.
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