«Soll das heißen«, fragte ich rundheraus,»als Glenda in Newmarket in ihrer Küche saß und Jett und mir erzählt hat, wie die Stute durch sie strahlenkrank geworden war, lag George tot im oberen Stockwerk?«
«Ja. «In Bells Kummer schwang eine gehörige Portion Entsetzen mit.»Es sieht ganz so aus. Als du und Jett zu dem Forschungsinstitut gefahren seid und ich nach Hause bin, um zu packen, hatten sie eine Mordswut aufeinander… In der Zeit, als wir nicht da waren, muß sie ihn umgebracht haben. Dann hat sie ein paar Sachen gepackt, ist runter und hat auf uns gewartet. «Bell bekam ihre Stimme noch immer nicht ganz unter Kontrolle.»Kris nimmt an, sie habe George gesagt, sie würde nach oben gehen und ihre Sachen packen, denn sie werde ihn verlassen und seine Urangeschäfte publik machen, und er ist dann hinter ihr her, um sie aufzuhalten.«
Man konnte sich vorstellen, wie sich George wutentbrannt über Glendas Koffer beugte, um ihn auszuräumen… und man konnte sich vorstellen, wie Glenda nach einem schweren Gegenstand griff…
«Womit hat sie ihn erschlagen?«fragte ich.
«Das weiß ich nicht. Mensch, Perry, was liegt daran? Ich kenn ihr Schlafzimmer kaum… sie haben eine schwere Messinguhr… modern…«Ihre Stimme versagte, und Jett wäre sicher der Meinung gewesen, sie brauche ein Beruhigungsmittel, oder besser noch jemanden, der sie in den Arm nahm.
«Ist Kris jetzt bei dir?«fragte ich.
«Er kauft was zu essen.«
«Dann iß auch was.«
«Glenda!«sagte sie unglücklich.»Und George!«
Sie kam nicht darüber weg, und sie litt mehr Kummer um die Toten, als sie Zuneigung für die Lebenden empfunden hatte.
Ihr zu sagen, sie solle aufhören, daran zu denken, wäre sinnlos gewesen. Sie hatte die beiden fast ihr Leben lang gekannt.
Ich dachte selbst an sie zurück, wie ich sie bei Caspar Harveys Lunch kennengelernt hatte, nicht seltsamer als andere verzankte Ehepaare, und ich stellte mir vor, wie der innere Kern, der sie zusammenhielt, seitdem immer mehr geschmolzen war, bis in beiden der Grundcharakter zutage trat.
Der Schurke in George hatte den ehrbaren Trainer soweit verdrängt, daß er imstande war, einen Mordanschlag mit blindmachendem Öl zu begehen. Glenda mit ihren unbegründeten Seitensprungverdächtigungen hatte nicht den Ehebrecher, sondern den Verräter in ihrem Haus entlarvt und aus Scham und Ernüchterung ihn und sich selbst getötet.
Ich dachte an den lebhaften Zerstörungswillen, der mir dort in der Küche an ihnen aufgefallen war. Nichts anderes als der blutige Urtrieb der Natur hatte sich an jenem Mittwochmorgen gezeigt — mit Zähnen und Klauen.
Ob tief in uns allen ein Mörder steckte?
Gegen Mittag holte ich die liebe arglose Melanie ans andere Ende der Leitung und fragte, ob ich meinen Ghostwriter wegen des Unwetterbuchs sprechen könne.
«Klar«, meinte sie fröhlich, und schon sagte Geist selbst zu mir:»Ich dachte, Sie hätten den Grind.«
«Vom Grind wird man nicht stumm.«
«Dann nehme ich an, Sie wollen reden.«
«Über aktuelle und kommende Unwetter«, sagte ich.»Es gibt einiges, das Sie wissen sollten.«
«Schon unterwegs.«
Sie kamen beide, der lange John Rupert und der schmächtige Geist. Ich lud sie ein, Platz zu nehmen, und entschuldigte mich für die imitierten Masern, auf die ich gern verzichtet hätte. Ravi Chand nahm an, der Ausschlag würde bis Sonntag weggehen, aber bis Sonntag schien es lange hin. Ich sah schlimm aus.
«Was haben Sie?«fragte John Rupert.
«Mycobacterium-paratuberculosis-Infektion Variante X.«
«Aha«, sagte der eine und» Ah ja «der andere. Beide hatten so etwas noch nie gesehen, aber das galt auch für den Rest der Menschheit.
«Vergangene Nacht«, sagte ich, bemüht, es möglichst sachlich vorzubringen,»hat Glenda, die Frau von George Loricroft, sich vor eine U-Bahn geworfen. «Sprachlos rissen sie den Mund auf.»Anscheinend hatte sie am Mittwoch morgen ihrem Mann den Schädel eingeschlagen. Er lag unentdeckt in seinem Schlafzimmer, bis die Polizei heute früh zu ihm nach Hause kam, um ihm mitzuteilen, daß seine Frau sich umgebracht hatte.«
John Rupert und Geist atmeten wieder, und ich sagte:
«Ehe Sie fragen — die Belegschaft seines Rennstalls hat ihn nicht weiter vermißt, da er ständig ins Ausland reiste, ohne zu sagen, wohin. Mittwoch früh hat er noch ein Training geleitet; ich war selbst dabei. Ebenso Belladonna Harvey, seine Assistentin, aber als gestern und heute weder sie noch George noch Georges Frau erschienen, hat der Futtermeister einfach wie schon bei früheren Gelegenheiten alles nach Schema F gemacht.«
Sie hörten aufmerksam zu, während ich ihnen von Glenda, der Stute, dem radioaktiven Pulver und dem Bleikasten erzählte. Danach fragte ich sie, ob sie befugt seien, bei Loricroft eine Haussuchung vorzunehmen. Die Antwort lag offenbar irgendwo zwischen» Nein«,»Kommt drauf an «und» Das ist eine Sache der Polizei von Newmarket«. Es gab kein schlichtes Ja.
«Von allen Unified Tradern«, bemerkte ich,»war George Loricroft am ehesten der Mann für die Bearbeitung von Auslandsaufträgen, aber er ist schon zwei Tage tot.«
John Rupert nickte.»Seine Kollegen haben die Leiche sicherlich gesäubert. Aber was hätten Sie sich denn von einer Haussuchung erhofft? Er war bestimmt vorsichtig. Das sind sie immer. Die wichtigste Frage ist, wer nimmt jetzt seinen Platz ein?«
Ein nachdenkliches Schweigen folgte. Glendas falsche Schneefälle, meinte Geist, hätten nicht nur ihren Mann außer Gefecht gesetzt. Die Trader müßten sich jetzt neu gruppieren. Das seien unsichere Zeiten für sie.
John Rupert fragte mich noch einmal:»Was sollte eine Haussuchung bei Loricroft denn bringen?«
«Namen und Adressen dürfte man sich vielleicht noch erhoffen«, sagte ich.»Vielleicht hat sogar Glenda schon alles offensichtlich Belastende vernichtet. Zeit dazu hatte sie. Aber wie wär’s zum Beispiel mit einem Ölmeßstab im Kofferraum seines Autos und Ölspuren daran, die dem Öl aus dem ramponierten Flugzeug entsprechen? Was ist mit Bankauszügen, Telefonrechnungen… einer Papierspur?«
Sie schüttelten die Köpfe, nachdenklich und bedrückt. John Rupert sagte:»Das sind zwar keine hundertprozentigen Profis, aber Loricroft wird schon so schlau gewesen sein, keinen belastenden Papierkram herumliegen zu lassen.«
Geist stimmte zu.»Wissen Sie, was ich denke?«sagte er.
«Ich könnte mir wirklich vorstellen, daß sie im Moment unentschlossen sind und nicht wissen, wie es weitergehen soll, aber das wird nicht lange dauern. Wir brauchen also ein paar zündende Ideen. Fruchtbare Ideen. Genie ist gefragt.«
John Rupert lächelte schief.»Wir brauchen jemanden, bei dem sie nie auf den Gedanken kämen, daß er gegen sie arbeitet.«
Ich sah, wie beide Besucher die Köpfe drehten, bis ihre Augen auf mein Gesicht gerichtet waren, und ich dachte, wenn es ihnen um Einfälle ging, dann waren sie bei mir an der falschen Adresse.
«Ich bin doch derjenige, der sich hilfesuchend an Sie gewandt hat«, stellte ich klar.»Ich verdiene mein Brot mit der Vorhersage von Wind, Regen und Sonnenschein, nicht als Ideengeber für die Terrorabwehr. Sie müssen besser als ich wissen, wie man sich den Tod eines Traders zunutze machen kann.«
Ich wartete eine ganze Weile vergebens auf Vorschläge auch nur der fruchtbaren Art, von genialen nicht zu reden, und erkannte mit Besorgnis, daß sie inzwischen eher geneigt waren, sich bei mir Rat zu holen, als mir welchen zu geben.
«Ich brauche ein paar Antworten«, sagte ich zögernd. Es war schon verrückt, auf was ich mich da eingelassen hatte, aber bevor ich wußte, wohin die Reise ging, war ich nicht bereit, noch einen Schritt zu tun. Nur ein Idiot zog ohne Karte los.
«Vor allem«, sagte ich,»möchte ich eine Antwort auf die Frage, was Sie eigentlich von mir erwarten. Und ich wüßte gern… ob Sie einer größeren Organisation angehören. Geben Sie an Dritte weiter, was ich Ihnen erzähle? Wer ist >wir