Seine Stimme lebte ein wenig auf.»Danach habe ich gestern abend meine Kinder gefragt, und Sie hatten ganz recht, die haben Radioaktivität in der Schule durchgenommen.«
«Mhm«, sagte ich,»aber die rund dreißig Bewohner von Trox wußten nicht, daß man einen Geigerzähler gefahrlos dazu bringen kann, wie verrückt überzuticken. Sie hörten nur das Rattern, und dazu wurde ihnen die passende Geschichte erzählt… O weh, Leute, die ganzen schönen Pilze sind verstrahlt, und aus dem Boden unter den Häusern tritt Radon aus, aber wir, eure Wohltäter, die Unified Trading Company, stehen dafür ein, daß ihr selbst nicht von Strahlen verseucht seid, sondern nur die Gebäude und die Pilze, und wir werden ein tolles Schiff kommen lassen, das euch alle in Sicherheit bringt.«
«Wollen Sie damit sagen, Unified Trading hat die Leute vorsätzlich dazu gebracht, die Insel zu verlassen?«
Ich lächelte.»Die kamen gar nicht schnell genug weg. Radioaktivität macht angst, weil man sie weder sieht noch spürt. Deshalb wird sie leicht für gefährlicher gehalten, als sie wirklich ist. In unserem Fall werden sich die Gemüter aber wieder beruhigen, denn bei keinem der Betroffenen wird man Anzeichen von Strahlenkrankheit feststellen.«
John Rupert dankte mir nach wie vor zurückhaltend für die Geiger-Müller-Info.»Aber Sie wissen wohl auch«, sagte er,»welches große Fragezeichen damit immer noch bleibt?«
Ich nickte am Telefon.»Warum«, sagte ich,»wollten die Trader die Insel für sich allein?«
Der anstrengende Abend endete schließlich mit aufklarendem Wetter, und die ausdauerndsten, überzeugtesten Freunde des Feuerwerks ließen dann doch noch knallkrachbunte Funkenschauer aus ihren vermatschten Gärten steigen.
Ich wußte, daß meine Großmutter und Jett schon schliefen, als ich endlich Feierabend hatte. Und noch mal konnte ich das Sofa ohnehin nicht in Anspruch nehmen. Die eine Übernachtung ging klar; noch eine wäre Hätschelei. Von allzu langem Wundenlecken hatte meine Großmutter noch nie etwas gehalten. Ich ging den knappen Kilometer von der BBC zu Fuß heim zu meiner Mansarde, meinem Teleskop, meiner Weltuhr und meinem Futon, atmete tief die feuchte Nachtluft ein und schwor mir, den 5. November künftig von meinem Terminkalender zu streichen.
Als ich zur Wohnungstür kam, Mitternacht hin, Mitternacht her, ging mein Piepser los, den ich in der hinteren Hosentasche trug; ein Vibrieren eher als ein Ton, da ich mich viel an Orten, wo Ruhe geboten war, aufhielt. Belladonna reagierte auf meinen Rückruf erleichtert, und auf meine Frage, wo sie sei, mit einem Kichern.
«Im Schlafzimmer von George Loricroft. Sag Kris nichts davon.«
«Ist Mrs. Loricroft vielleicht auch da?«
«Perry, du bist ein Spielverderber«, murrte Bell.»Sie heißt Glenda und möchte mit dir reden.«
Glenda Loricroft, die mir von dem schicksalhaften Sonntagsessen her dunkel in Erinnerung war als leuchtende Blondine mit einem über dem Busen spannenden hellblauen Pullover, sprach ein Englisch, das bei Leuten von Lancashire heimatliche Gefühle geweckt hätte. Ihr George, sagte sie, sei angeblich nach Baden-Baden gereist, und nun wüßte sie gern, wie dort das Wetter sei, bitte schön.
«Geben Sie mir Bell noch mal«, sagte ich und war neugierig zu erfahren, warum ich wegen eines solchen Ansinnens um diese Zeit noch einmal ins Wetterstudio gehen sollte.
«Sei kein Kindskopf, Perry«, antwortete Bell.»Glenda glaubt, daß sich George mit einem unbekannten Fräulein vergnügt. Wenn ich dir Datum, Zeit und Ort nenne, kannst du ihr dann sagen, ob die Fakten sich mit den Angaben ihres Liebsten decken?«
«Nein, Bell, kommt nicht in Frage. Ausgeschlossen. Er braucht doch nur zu sagen, er weiß es nicht mehr oder er hat fest geschlafen.«
«Glenda meint, er sagt nie, wo er wirklich ist. Heute abend mußte er angeblich zum Pferderennen nach Baden-Baden, und morgen weiß er dann nicht, ob es geschneit hat.«
«Bitte, Bell«, sagte ich.»Kris soll das machen. Ich schlafe schon im Stehen.«
«Kris rührt keinen Finger. Er schwadroniert nur von Zügen.«
Erschrocken sagte ich:»Wo ist er? Wieso redet er von Zügen?«
«Wegen irgendwelcher Schalthebel«, sagte Bell leichthin.
«Komm ich nicht mit. Du bist der einzige, der seinen Gedankensprüngen folgen kann.«
«Hm. such ihn.«
Die Dringlichkeit, mit der ich das sagte, kam plötzlich zu ihr durch.
«Er ist doch nicht verschollen!«rief sie.
«Wo ist er denn?«
«Er sagte, er sei bei dir auf dem Dach.«
Bestürzt ging ich nach unten, trat hinaus auf das kalte Fleckchen Wintergras hinterm Haus, schaute nach oben, und da saß er rittlings auf dem gewölbten Schieferdach, an einen bröckligen toten Schornstein gelehnt.
«Komm da runter«, rief ich.»Ich kann dich nicht auffangen.«
«Von hier oben kannst du überall in London Feuerwerke sehen«, rief er zurück.»Komm rauf.«
«Ich geh ins Bett.«
«George Loricroft ist nicht in Baden-Baden«, verkündete Kris,»und Oliver Quigley hat sich weder in Berlin noch in Hamburg blicken lassen, und bestimmt hat sich mein Schwiegervater um Köln herumgedrückt.«
«Wovon redest du?«rief ich ihm zu.
«Robin Darcy ist in Newmarket.«
Da ich Bells Stimme noch leise durchs Schnurlose hörte, drehte ich den Apparat zu mir und fragte sie, ob sie verstanden habe, was Kris gesagt hatte.
«Daß Robin Darcy in Newmarket ist; und das stimmt, er wohnt im Bedford Arms. Was ist denn dabei? Wenn er geschäftlich in England ist, kommt er Dad immer mal besuchen. Morgen fahren sie zum Pferderennen nach Doncaster. Das letzte große Meeting der Flachsaison. Da fährt halb Newmarket hin. George, mein Chef, läßt ein Pferd meines Vaters im November-Handicap laufen, dem Hauptrennen, und in Baden-Baden wird morgen überhaupt kein Rennen ausgetragen, das ist alles Quatsch.«
«Zum Frühstück ist er wieder daheim«, meinte ich beschwichtigend, worauf ein Jammerschrei von Glenda kam und Bell mich der Herzlosigkeit bezichtigte.
Genug, dachte ich. Ich sagte:»Bell und Glenda, legt jetzt bitte auf, Kris, komm bitte von meinem Dach runter, wir sprechen uns dann alle morgen.«
Unglaublicherweise wurde es still. Ich ging ins Haus und hinauf in meine Dachkammer, um ein paar Stunden durchzuschlafen, und als ich in der Frühe aufwachte, stand Kris gähnend in meiner Kochnische und übergoß Tofu mit thailändischer Currysauce, sein neuester widerlicher Tick.
«Morgen«, sagte er.
«Wie bist du reingekommen?«
Er sah mich genervt an.»Du hast mir Weihnachten einen Schlüssel gegeben.«
Ich dachte zurück.»Da solltest du auf den KühlschrankKundendienst warten.«
«Willst du ihn wiederhaben?«Kris las die Etiketten auf ein paar Flaschen Chili-Öl, die er aus einer Papiertüte nahm. Er habe gestern thailändisch eingekauft, sagte er — Zitronengras, Gewürze und eben das Öl.
Ich sagte, meinetwegen könne er den Schlüssel behalten.
Er könne auch bei mir duschen (hatte er schon — die Handtücher waren naß) und fernsehen (der Apparat war an, der Ton aus). Als ich wie üblich lossauste, um mein Tagewerk zu verrichten — samstag morgens gehörte dazu auch ein Wetterüberblick für den Sport am Wochenende (trocken, kalt und sonnig der Renntag in Doncaster, Schauer und Böen beim Fußball-Länderspiel in Wembley) — sah ich, wie Kris im Rennsportteil meiner Zeitung seine Tips ankreuzte und sich mein Kreuzworträtsel vornahm.
Achselzuckend schlüpfte ich in meine warme Steppjacke, übte mich in Zurückhaltung und Milde und bat ihn im Hinausgehen lediglich, abzuschließen, wenn er ging.
«Übrigens«, sagte er,»ich habe mir deinen Dienstplan angesehen. Nach dem Sportwetter hast du heute frei. Ich fliege zum Pferderennen nach Doncaster. Da ist ein Landeplatz neben der Rennbahn. Kommst du mit?«
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