Red Millbrook sah in seinem neuen Profistatus einen Schritt nach oben, nicht nach unten. Ängstlich bestrebt, in Sandown eine gute Figur zu machen, ging er mit grimmiger Entschlossenheit zur Startmaschine und entdeckte über dem ersten Hindernis eine unerwartete geistige Verbundenheit mit dem Pferd in sich. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas Ähnliches empfunden. Sein ganzer Körper reagierte. Er und das Pferd erhoben sich wie ein einziges Wesen über sämtliche Hindernisse, die dazu ersonnen und aufgestellt waren, den Schnellsten unter ihnen zu bestimmen. Red Millbrook, eins mit dem Pferd, flog um die letzte Kurve und reckte sich nach vorn über den letzten Hügel. Er teilte den Willen und die Entschlossenheit seines tierischen Partners. Als er siegte, war es nicht Staunen, das ihn erfüllte, sondern das Gefühl, sein gottgegebenes Königreich betreten zu haben.
Im Absattelring des Siegers lächelten Gypsy Joe und Red Millbrook einander leise zu, als seien sie einer privaten Bruderschaft beigetreten. Gypsy Joe wußte, daß er seinen Reiter gefunden hatte. Red Millbrook sah voller Freude seiner Zukunft entgegen.
Oben auf der Tribüne beobachteten die beiden übergangenen Stalljockeys mit wachsendem Zorn das Rennen und den Sieg. Normalerweise hätte einer von ihnen auf dem Pferd gesessen.
Davey Rockman fühlte sich in seiner Wut durch und durch gerechtfertigt. Mit Gypsy Joe war nicht gut Kirschen essen für jene, die für ihn arbeiteten (fand Davey Rockman), aber seine Pferde starteten häufig, waren gut trainiert und hatten ihn — Davey — während der letzten fünf Jahre mit Luxus und Mädchen versorgt. Davey Rockmans Appetit auf Frauen, einst der Skandal der Rennbahnen, war inzwischen lange als normal akzeptiert worden; man wußte eben, daß >Rock<, ein dunkler Typ, mit seinem guten Aussehen alles, was Röcke trug, in seinen Bann schlug. Davey Rockmans Ärger über das Geld, das der Sieg in diesem großen, angesehenen Rennen ihm eingetragen hätte, war eine Nichtigkeit im Vergleich zu der Kränkung seines sexuellen Egos.
Nicht ein einziges Mal kam ihm der Gedanke, daß das Pferd, wenn er es geritten hätte und nicht der Thronräuber Red Millbrook, vielleicht gar nicht gewonnen hätte.
Nigel Tape, der zweite Stalljockey, verzehrte sich in treuem Groll um Rocks willen. Nigel Tape, vom Schicksal nicht dazu auserkoren, selbst als Star zu glänzen, sonnte sich gewohnheitsmäßig in seiner Stellung als Kumpan von Rock. Er pflegte dieselben Enttäuschungen zu beklagen, dieselben Triumphe zu feiern, erging sich in denselben unrealistischen Nörgeleien. Als hätte es ihn selbst getroffen, war er wie Davey Rockman empört darüber, durch einen anderen ersetzt worden zu sein, und blähte das Ärgernis zu Dimensionen auf, die nach Rache verlangten. Davey the Rock fühlte sich geschmeichelt von Nigel Tapes geradezu fanatischer Hingabe und erkannte ihre Gefahren nicht.
Am Montag nach dem April Gold Cup betrachtete Gypsy Joe die finsteren Mienen seiner beiden langjährigen Jockeys, als diese zum Morgentraining in seinen Stallhof kamen.
Ungerührt und mit geschäftsmäßigem Tonfall erklärte er ihnen:»Wie ihr wahrscheinlich schon gemerkt habt, wird von jetzt an Red Millbrook mein erster Jockey sein. Sie, Davey, haben die Möglichkeit, als ausbildender Jockey hierzubleiben, ein Job, in dem Sie sehr gut sind, und gelegentlich ein Rennen zu reiten. Wenn es Ihnen lieber ist, können Sie natürlich versuchen, bei einem anderen Trainer wieder erster Jockey zu werden.«
Davey Rockman lauschte in erbittertem Schweigen. Sein Status als Gypsy Joes erster Jockey hatte ihm in der Jagdrennwelt zu angenehm hohem Ansehen verholfen. Die Degradierung, die ihm soeben durch den Trainer zuteil geworden war, bedeutete nicht nur einen ernsten Verlust, was Gesicht und Einkommen betraf, sondern auch das buchstäbliche Ende seiner Anziehungskraft auf die Damenwelt. Er war es gewohnt, die Macht seiner Stellung auszunutzen, um Frauen zu beherrschen. Es gefiel ihm, sie ein wenig herumzustoßen, bis sie um Gnade bettelten. Er fühlte sich überlegen. Er stolzierte häufig in seinen Jok-keystiefeln herum, die er als Symbol der Manneskraft betrachtete.
Sich einen Job mit vergleichbarem Ansehen zu suchen war kaum eine ernsthafte Möglichkeit: Es gab einfach nicht genug gute Anstellungen für Stalljockeys auf dem Markt. Davey Rockman sah Gypsy Joes unbekümmerter Entschlossenheit, ihn zu degradieren, direkt in die Augen und spürte das erste Aufwallen von mörderischem Haß.
Nigel Tape fragte mit aggressivem Unterton:»Und was ist mit mir?«
«Sie können weitermachen wie bisher«, antwortete der Trainer ihm.
«Und die Brosamen aufsammeln? Das ist nicht fair.«
«Das Leben ist niemals fair«, entgegnete Gypsy Joe.»Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«
Gypsy Joes archaische Instinkte erwiesen sich auf spektakuläre Weise als richtig. Red Millbrook und Gypsy Joes Pferde verschmolzen miteinander, elektrisierten einander auf einer Rennbahn nach der anderen, während sonst das Jagdrennprogramm gegen Sommer immer unspektakulärer wurde. Der Applaus für den einen Sieg war kaum ver-klungen, wenn schon der nächste anschwoll. Die Besitzer waren außer sich vor Begeisterung: Jeden Tag boten neue Besitzer ihre Pferde an. Als die nächste zehnmonatige Saison im August langsam anfing, hatte der Trainer etliche weitere Ställe angemietet, und der Jockey pfiff in glücklicher Selbsterfüllung vor sich hin, während er seinen Wagen von einem Erfolg zum anderen fuhr. Im September, im Oktober und im November sah es so aus, als könne er nichts falsch machen. Er war die Nummer eins auf der Jockeyliste.
Seine Eltern söhnten sich langsam mit seiner» Nutten-haftigkeit «aus und prahlten statt dessen mit ihm, aber seine beiden älteren, unverheirateten Schwestern neideten ihm seinen Ruhm. Er wohnte noch immer in seinem Elternhaus in London, das seine anspruchsvolle Mutter so sehr dem Dasein in einem feuchten alten Landhaus vorzog. Red begnügte sich mit ihrem Londoner Luxus, während er gleichzeitig plante, sich von seinen Sieggeldern ein eigenes Haus zu kaufen, das im übrigen nicht unbedingt auf Gypsy Joes Schwelle stehen mußte. Das Leben von Jockey und Trainer verlief in verschiedenen Bahnen, genauso wie es gewesen war, bevor ihre Partnerschaft in Sandown besiegelt worden war, aber die Schwingungen zwischen den beiden Männern blieben unverändert. Sie lächelten stets dasselbe verstehende Lächeln, setzten sich aber niemals auf ein Glas Wein zusammen.
Red Millbrook — freundlich, unkompliziert, von großzügigem Naturell — verkehrte kaum mit den anderen Jok-keys, die sein atemberaubendes Talent in der Regel mit Ehrfurcht erfüllte. Die Mißgunst, die er in Davey Rock-mans Augen brennen sah und die ihr Spiegelbild in der grollenden Miene Nigel Tapes fand, ignorierte er frohen Mutes. Da jetzt viel mehr Pferde im Stall waren als zuvor, ritt Davey Rockman, so überlegte Red Millbrook unbekümmert, immer noch ziemlich viele Rennen, auch wenn es sich dabei nicht um die siegverheißende Spitzenklasse handelte und auch wenn ihm nicht dieselbe staunende und kniefällige Aufmerksamkeit der Presse zuteil wurde. Es war nicht seine Schuld, beruhigte er sich, daß Gypsy Joe ihn auserkoren und ihm eine solch großartige und befriedigende Chance gegeben hatte.
Er hatte keine Ahnung, daß es der katastrophale Zusammenbruch seines ausgiebigen Sexuallebens war, der Rock am meisten erzürnte; und Rock seinerseits war blind gegen die Erkenntnis, daß es sein ständiges, verbittertes Murren war, das die Frauen abstieß. Zum ersten Mal in seinem Leben scharten sich die Mädchen um Red Millbrook, der ihre Annäherungsversuche eher komisch fand: Und seine Belustigung erzürnte seinen brodelnden, entthronten Rivalen nur um so mehr.
Als Davey Rockman im Dezember bei einem Rennen stürzte und sich einige kleine Knochen in seinem Fuß brach, schickte Red Millbrook ihm ein paar freundliche Zeilen, in denen er sein Mitleid bekundete. Rock betrachtete das als Beleidigung und antwortete ihm nicht.
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