Tricksy sah zu, wie Claypits das Zwei-Uhr-dreißig-Rennen mit beleidigender Leichtigkeit gewann, und spülte sein angeschlagenes Selbstbewußtsein mit dem letzten Bier herunter. In letzter Zeit ging aber auch verdammt noch mal alles, was er anfaßte, in die verdammte Hose, dachte er düster. Er war entschieden knapp bei Kasse und hatte sich sogar ein- oder zweimal beim Nötigsten wie Alkohol und Zigaretten einschränken müssen. Jetzt brauchte er einen netten kleinen Dreh, einen netten kleinen Kitzel, um ein paar arglose Trottel dazu zu bringen, ihre Brieftaschen zu öffnen. Zum Beispiel so was wie die Masche mit den knappen Eintrittskarten, auf die er jahrelang stolz gewesen war, bis die Bullen ihn in Wimbledon mit einem Stoß gefälschter Karten hoppgenommen hatten. Und die
Touristen waren heutzutage so gerissen wie nur was; man konnte ihnen keine Abos mehr für nichtexistente Pornozeitschriften andrehen, ganz zu schweigen von der London Bridge.
Er konnte hinterher selbst nicht mehr sagen, was ihn auf die großartige Idee mit der Trittbrettfahrerei gebracht hatte. Eben sah er sich noch friedlich das Drei-Uhr-Rennen in Kingdom Hill an, und im nächsten Augenblick raubte ihm eine wilde, überschwengliche und unheilige Ausgelassenheit schier den Atem.
Er lachte laut. Er klatschte sich auf die Schenkel. Er stand auf und tanzte durchs Zimmer, denn die Kühnheit seiner Gedanken war im Sitzen kaum zu ertragen.»O Moses«, sagte er und schnappte nach Luft.»So einfach geht das. Kingdom Hill, ich komme.«
Tricksy Wilcox gehörte nicht zu den hellsten Köpfen.
Am Freitagmorgen begab sich Major Kevin Cawdor-Jones, der Geschäftsführer der Rennbahn von Kingdom Hill, mit seiner Aktentasche zu der turnusmäßigen Sitzung seines Vorstands, dessen Mitglieder einander größtenteils verabscheuten. Die Rennbahn, deren Eigner und Betreiber eine kleine, ständig in Vorstandskriege verstrickte Privatgesellschaft war, litt unter den Konsequenzen von haßdiktierten, destruktiven Entscheidungen und warf daher nie den Profit ab, den sie hätte hergeben können.
Die Anstellung von Cawdor-Jones war ein typisches Beispiel der Mißwirtschaft. Als Nummer drei auf der Liste möglicher Kandidaten und mit weit geringeren Fähigkeiten als Nummer eins und zwei war er nur deswegen gewählt worden, weil irgendein Ausweg aus der Pattsituation gefunden werden mußte, in die sich die Parteien der Kandidaten eins und zwei gebracht hatten. So war Kingdom Hill zu einem nur mittelmäßigen Geschäftsführer gekom-men, dessen vernünftigere Vorschläge zudem gewöhnlich von den zerstrittenen Vorständen vereitelt wurden.
Als Soldat war Cawdor-Jones impulsiv, unbeschwert und von überstürzter Tapferkeit gewesen, Eigenschaften, die sichergestellt hatten, daß ihm die wichtige Beförderung zum Oberst versagt blieb. Als Mensch war er faul und liebenswert, als Geschäftsführer ein Weichling.
Bei der Freitagssitzung dauerte es für gewöhnlich nicht lange, bis der Schlagabtausch in vollem Gange war.
«Massiver Ausbau der Sicherheitsvorkehrungen«, wiederholte Bellamy rechthaberisch.»Allerhöchste Priorität. Muß sofort in Angriff genommen werden. Heute.«
Der dünne Bellamy mit den scharfen Gesichtszügen sah sich aggressiv in der Runde um, und wie gewöhnlich schickte Roskin sich mit gedehnter Stimme an, ihm zu widersprechen.
«Sicherheit kostet Geld, mein lieber Bellamy.«
Roskin bediente sich eines herablassenden Tonfalls, denn er wußte, daß nichts Bellamy mehr erzürnte. Bellamys Gesicht wurde dunkel vor Zorn, und die Sicherheit der Rennbahn wurde wie so vieles andere zum Spielball eines persönlichen Zwistes.
Bellamy ließ nicht locker:»Wir brauchen größere Absperrungen, zusätzliche Spezialschlösser an allen Innentüren und die doppelte Anzahl von Polizisten. Das muß sofort in Angriff genommen werden.«
«Die Besucher von Rennbahnen sind keine Hooligans, mein lieber Bellamy.«
Cawdor-Jones stöhnte innerlich auf. Ihm waren seine Inspektionsrundgänge an den rennfreien Tagen wahrlich schon lästig genug, und er neigte ohnehin dazu, sich nicht peinlich genau an die bereits bestehenden Sicherheitsvor-kehrungen zu halten. Größere Absperrungen zwischen den einzelnen Bereichen würden bedeuten, daß er nicht mehr darüb erklettern oder sich hindurchzwängen konnte, sondern einen langen Umweg in Kauf nehmen mußte. Mehr Schlösser bedeuteten mehr Schlüssel, mehr Zeitverschwendung, mehr lästigen Ballast. Und das alles wahrscheinlich nur, um den wenigen Schnorrern das Handwerk zu legen, die versuchten, auf bessere Plätze zu kommen, ohne dafür zu bezahlen. Er zog da den Status quo bei weitem vor.
Um ihn herum erhitzten sich die Gemüter, und die Stimmen wurden lauter. Resigniert wartete er darauf, einmal zu Wort zu kommen.»Ehm…«, sagte er und räusperte sich.
Sowohl die erhitzte Pro-Bellamy-Fraktion als auch die höhnische Pro-Roskin-Clique wandte sich ihm hoffnungsvoll zu. Cawdor-Jones war ihrer beider Ausweg — es sei denn, muß eingeschränkt werden, seine Lösungsvorschläge waren wirklich konstruktiv. In diesem Falle erhoben beide Gruppen Einspruch, weil sie wünschten, sie wären selbst auf die Idee gekommen.
«Viele zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen würden mehr Arbeit für unser Personal bedeuten«, sagte er zaghaft.»Sie müßten vielleicht ein oder zwei zusätzliche Leute einstellen, um damit fertig zu werden. und nach den großen Anschaffungskosten wäre da immer noch die Wartung zu bedenken. und. ehm. also, welchen echten Schaden kann man schon einer Rennbahn zufügen?«
Dieses dünne Öl glättete die Wogen immerhin so weit, daß beide Seiten den Rückzug antraten, ohne dabei ihre Positionen oder Meinungen aufzugeben.
«Sie haben da mit dem Personal nicht ganz unrecht«, räumte Bellamy widerwillig ein, denn er wußte, daß zwei zusätzliche Leute erheblich mehr kosten würden als Schlösser und daß die Rennbahn sie sich nicht leisten konnte.
«Aber ich bleibe dabei, daß strengere Sicherheitsmaßnahmen notwendig und mehr als überfällig sind.«
Cawdor-Jones war in seiner unbekümmerten Art insgeheim anderer Meinung. Bisher war nie etwas passiert. Warum sollte in Zukunft etwas passieren?
Die Diskussion grollte noch eine halbe Stunde aus, und es wurde nicht das Geringste unternommen.
Am Freitagnachmittag ging Tricksy Wilcox zum Rennen; er hatte die Ferienkasse seiner Frau — die sie in ihrer besten Teekanne aufbewahrte — halb leergeräumt. Es war eine Erkundungsfahrt mit dem Ziel, die Lage zu peilen, und Tricksy, der seine gierigen Augen weit aufgerissen hatte, kicherte unwillkürlich vor sich hin. Ein- oder zweimal ging es ihm durch den Sinn, daß sein unbekümmerter Alleingang reine Verschwendung war: Professionelle Gauner hätten alles gewiß minutiös geplant und auf ihre humorlose Art und Weise alle Eventualitäten bedacht. Aber Tricksy war ein Einzelgänger, der sich nie einer Bande angeschlossen hatte, weil das zu sehr nach harter Arbeit aussah; man wurde die ganze Zeit herumgeschubst und hatte obendrein nicht mal Pensionsansprüche.
Er gönnte sich an verschiedenen Theken ein kleines Bier und setzte unbedeutende Beträge am Toto. Er sah sich die Pferde im Führring an, erkannte Jockeys, deren Gesichter ihm vom Fernsehen vertraut waren, und beobachtete aufmerksam die Rennen. Gegen Ende des Nachmittags machte er sich kichernd und dank einiger bescheidener Gewinne immer noch flüssig auf den Heimweg.
Am Freitagnachmittag verkaufte Mrs. Angelisa Ludville zwei Totoscheine an Tricksy Wilcox — und an hundert andere Leute, die sie genausowenig kannte. Sie war in Gedanken nicht bei ihrer Arbeit, sondern bei dem beängstigenden Stapel unbezahlter Rechnungen auf ihrem Bücherregal zu Hause. Das Leben hatte sie seit ihrem fünfzigsten Geburtstag unfreundlich behandelt; die Sorgen hatten sie unansehnlich gemacht, und eine Blondine hatte sich ihren Ehemann geschnappt. Sitzengelassen, geschieden und kinderlos hätte sie sich trotzdem zufrieden an ein Leben allein gewöhnen können, wenn damit nicht drastische Einschränkungen verbunden gewesen wären. Der unablässige, aufreibende Kampf, den es bedeutete, jeden Pfennig umdrehen zu müssen, fraß ihren natürlichen Optimismus und ihre gute Laune allmählich auf.
Читать дальше