«Kennen Sie die Erben persönlich?«fragte ich, und beide nickten düster.»So schlimm, ja?«meinte ich.»Nun, tut mir leid, das werden sie schon unter sich ausmachen müssen.«
Die blonde junge Frau schlenderte aus der Küche, in der einen Hand ein Glas, in der anderen eine Saugflasche. Sie nickte uns unbestimmt zu und ging dann die Treppe hinauf in das gleiche Zimmer wie vorhin der Junge mit dem Baby. Meine Besucher schauten sich das wortlos an.
Ein Junge mit braunen Haaren kam auf dem Rad durch den Hausflur gefegt und drehte eine Runde durch die Örtlichkeit, wobei er hinter mir ein wenig abbremste und sagte:»Jaja, ich weiß, ich soll das nicht«, bevor er durch den Flur wieder der Außenwelt zustrebte. Das Rad war rot, sein Fahrer violett, rosa und phosphorgrün gekleidet. Die ganze Luft schien von Farben zu flimmern, bis er fort war und das ruhige Schiefergrau wieder die Oberhand gewann.
Aus Taktgefühl sagte niemand etwas von Gehorsam oder richtiger Kindererziehung.
Ich bot den Besuchern zu trinken an, doch sie waren nicht dazu aufgelegt und sagten nur, sie müßten noch weit fahren. Ich ging mit ihnen hinaus in das verblassende Sonnenlicht und bat sie höflich um Entschuldigung dafür, daß sie umsonst gekommen waren. Sie nickten unglücklich. Ich begleitete sie noch zu ihrem Wagen.
Die drei Piratenjäger waren aus der Eiche verschwunden. Das rote Fahrrad blitzte in der Ferne. Mein Besuch blickte sich nach dem langgezogenen, dunklen Scheunenbau um, und schließlich rückte Roger mit einer Frage heraus.
«Was für ein interessantes Haus«, meinte er höflich.»Wie haben Sie das entdeckt?«
«Ich habe es gebaut. Die Innenräume, meine ich. Die Scheune selbst natürlich nicht. Die ist alt. Steht unter Denkmalschutz. Ich mußte verhandeln, um Fenster einbauen zu dürfen.«
Sie schauten auf die schmalen dunklen Scheiben, die unauffällig in die Bretterschalung eingefügt waren, der einzige sichtbare Hinweis auf die Wohnung im Innern.
«Sie hatten einen guten Architekten«, bemerkte Roger.
«Danke.«
«Das ist übrigens auch ein Zankapfel zwischen den Strattons. Ein Teil von ihnen möchte die Tribünen abreißen und neue hochziehen, und sie haben einen Architekten mit der Planung beauftragt.«
Seine Stimme triefte vor Abscheu.
Ich sagte:»Neue Tribünen wären doch sicher gut? Mehr Komfort fürs Publikum und so?«
«Natürlich wären neue Tribünen gut!«Jetzt konnte er seinen Unmut nicht mehr zurückhalten.»Jahrelang habe ich den alten Herren beschworen, er solle umbauen. Immer hieß es, irgendwann, irgendwann, aber er wollte es von Anfang an nicht haben, nicht solang er lebte. Und sein Sohn Conrad, der neue Lord Stratton, hat jetzt einen unmöglichen Kerl gebeten, neue Tribünen zu entwerfen, und der stelzt da herum und erzählt mir, wir brauchen dies, wir brauchen das, und redet nichts als Unsinn. Der hat im Le-ben noch keine Tribüne entworfen und weiß einen Dreck vom Rennsport.«
Seine ehrliche Entrüstung interessierte mich viel mehr als ein Gerangel um Geschäftsanteile.
«Wenn die Tribüne verbaut wird, machen sie alle bankrott«, meinte ich nachdenklich.
Roger nickte.»Sie müssen einen Kredit dafür aufnehmen, und das Rennsportpublikum ist heikel. Die Wetter bleiben aus, wenn man die Bars falsch anlegt, und wenn die Besitzer und die Trainer sich nicht rundum verwöhnt fühlen, lassen sie ihre Pferde woanders laufen. Dieser übergeschnappte Architekt hat nur dumm geglotzt, als ich ihn fragte, was die Zuschauer seiner Ansicht nach zwischen den Rennen machen. Die sehen sich die Pferde an, meinte er. Ich bitte Sie! Und wenn es regnet? Wärme, Wein und Bier, das lockt die Besucher an, habe ich ihm gesagt. Ich sei altmodisch, meinte er. Und Stratton Park ist drauf und dran, eine ungeheuer kostspielige Geister bahn zu werden, wo kein Mensch hingeht. Und dann kommt, wie Sie sagen, die große Pleite.«
«Nur wenn die Sofort- oder Demnächstverkäufer nicht ihren Willen durchsetzen.«
«Aber wir brauchen neue Tribünen«, beharrte Roger.»Und zwar gute neue Tribünen. «Er schwieg.»Wer hat Ihr Haus entworfen? Vielleicht brauchen wir so jemanden.«
«Der hat noch nie Zuschauerbauten geplant. Nur Häuser… und Kneipen.«
«Kneipen«, Roger stürzte sich darauf.»Er würde zumindest einsehen, wie wichtig gute Bars sind.«
Ich lächelte.»Ganz bestimmt. Aber was Sie brauchen, sind Großbauspezialisten. Ingenieure. Klare eigene Vorstellungen. Ein Team.«
«Sagen Sie das Conrad. «Er zuckte niedergeschlagen die Achseln und glitt hinter das Steuer, drehte aber sein Fenster runter und schaute heraus, um eine letzte Frage zu stellen.»Dürfte ich Sie vielleicht bitten, mir Bescheid zu geben, wenn die Familie Stratton sich mit Ihnen in Verbindung setzt? Wahrscheinlich sollte ich Sie damit nicht behelligen, aber die Rennbahn liegt mir am Herzen, verstehen Sie? Ich weiß, daß der alte Baron geglaubt hat, sie würde weiterbestehen, und daß er es so gewollt hat — und vielleicht kann ich ja etwas dazu tun, nur weiß ich eben nicht, was.«
Er griff wieder in seine Jacke und zog eine Visitenkarte hervor. Ich nahm sie an und nickte, ohne irgend etwas zu versprechen, aber meine Geste war ihm schon Zusage genug.
«Vielen Dank«, sagte er.
Oliver Wells setzte sich ungerührt neben ihn, mit der steinernen Miene dessen, der von vornherein gewußt hat, daß ihre Mission unergiebig sein würde. Schuldgefühle weckte er bei mir trotzdem nicht. Alles, was ich über die Strattons wußte, warnte mich davor, mich mit ihnen einzulassen.
Roger verabschiedete sich traurig und fuhr los, und ich ging ins Haus zurück und hoffte, ich würde ihn nie wiedersehen.
«Wer waren die Leute?«fragte Amanda.»Was haben sie gewollt?«
Die junge Blonde, meine Frau, lag auf der anderen Seite unseres quadratischen Zweimeterbetts und unterstrich damit wie gewohnt den Abstand zwischen uns.
«Sie wollten einen edlen Ritter, der Stratton Park befreit.«
Sie knobelte es aus.»Krisenhilfe? Du? Mit deinen alten Geschäftsanteilen? Du hast hoffentlich nein gesagt.«
«Ich habe nein gesagt.«
«Liegst du deshalb jetzt im Mondschein wach und starrst auf den Baldachin?«
Der plissierte Seidenbaldachin wölbte sich über unserem großen Himmelbett wie ein mittelalterliches Schlafzelt, die einzige Möglichkeit, für sich zu sein, in jener Zeit, als man eigene Schlafzimmer noch nicht kannte. Freunde ließen sich vom dekorativen Prunk des Betthimmels, von all den Quasten an dem kuscheligen Lager täuschen; nur Amanda und ich wußten, warum es so groß war. Zwei Tage hatte ich daran gezimmert und geschneidert, und wir betrachteten es beide als das Ergebnis eines schwer erkämpften Kompromisses. Wir wohnten im selben Haus, schliefen im selben Bett, aber getrennt.
«Die Jungen bekommen diese Woche Ferien«, sagte Amanda.
«So?«
«Du hast gesagt, du wolltest über Ostern mit ihnen irgendwo hinfahren.«
«Hab ich das?«
«Das weißt du doch.«
Ich hatte es gesagt, um einen Streit zu entschärfen. Du sollst keine voreiligen Versprechungen abgeben, ermahnte ich mich nicht zum erstenmal. Es gab kein Kraut dagegen.
«Ich werde mir was einfallen lassen«, sagte ich.
«Und was das Haus hier angeht.«
«Wenn es dir gefällt, behalten wir’s«, sagte ich.
«Lee!«Das brachte sie erst einmal zum Schweigen. Ich wußte, daß sie tausend Argumente dafür parat hatte: Die zarten Winke und die Seufzer waren seit Wochen unverkennbar, schon seit der Kies auf der Einfahrt lag und die Baupolizei zuletzt hereingeschaut hatte. Das Haus war freier Grundbesitz, es war verkaufsfertig, und wir brauchten das Geld. Die Hälfte meines Betriebskapitals war in die Scheunenwände einbetoniert.
«Die Jungen brauchen endlich feste Wurzeln«, sagte Amanda, damit ihre Vernunftgründe nicht ganz vergeudet waren.
Читать дальше