»Immerhin, Corazón , hast du blonde Haare, auch auf den Beinen, aber so geht es trotzdem nicht. Und halte dich gerade, du hast einen schmalen, fein geschwungenen Hals, was man unter dieser furchtbaren Frisur nicht sehen kann, aber dazu kommen wir gleich. Halte dich gerade«, wiederholte er mit schneidender Stimme. Ich richtete mich zu voller Größe auf. Byrones polierte Schädeldecke reichte mir nicht einmal bis zum Kinn.
»Nun zu den Schuhen.«
Ich bin barfuß einen Meter achtundsiebzig groß. Viele Männer mögen keine Frauen, die größer sind als sie. Daher gehe ich seit der Pubertät gebeugt und trage niemals hohe Absätze.
Byrone ficht so etwas nicht an.
»Zu diesem Kostüm und dem Hintern musst du hohe Absätze tragen, du wirst schon lernen, darauf zu gehen.«
Er gab mir fünf Zentimeter mit dem Befehl, die Höhe durch fleißiges Üben um mindestens zwei Zentimeter zu steigern.
Die Schuhe waren schwarz, weil Byrone in Sondergrößen, wie er sich ausdrückte, eben nur schwarze Schuhe im Angebot hatte, aber sie ließen meine Füße zierlicher wirken. Die optische Verlängerung des unter dem Rock sichtbaren Unterschenkels über die Fesseln in die Stilettoabsätze der Schuhe ließ sogar besagtes Hinterteil kleiner wirken.
Ich sah toll aus.
Dachte ich.
Nicht so Byrone.
»Und jetzt, Corazón , lass uns über deine Frisur sprechen.«
Die Brünette fiel fast in Ohnmacht. Sie hauchte: »Aber sie hat doch so schönes, blondes Haar. Wie ein Engel.«
»Sie ist aber kein Engel, sondern eine Geschäftsfrau, und so sollte sie auch aussehen.« Byrones Hand wedelte wieder, obwohl definitiv keine Fliege im Raum war.
»Schau in die Kamera«, forderte er mich auf.
Ich vermisste nur noch das Schild mit der erkennungsdienstlichen Nummer, das ich mir unters Kinn halten musste, und blickte mit einem leicht gequälten Lächeln in das Objektiv des Apparates, den Byrone auf ein monströses Stativ montiert hatte. Sekunden später fand ich mein Konterfei auf dem übergroßen Flachbildschirm von Byrones Laptop wieder.
»Die Farbe ist okay, die können wir lassen«, sagte er huldvoll, »aber alles andere ist fürchterlich.«
Mir drängte sich die Vorstellung von kurzen, schwarz gefärbten Haaren auf, mit denen mich niemand mehr erkennen würde. Dann könnte ich untertauchen, meine Probleme einfach hinter mir lassen und ein neues Leben beginnen. Mit einer neuen Identität. Eine reizvolle Vorstellung. Byrone riss mich aus meinen Träumen.
»Schau genau zu, damit du den Unterschied siehst.«
Er setzte sich an den Computer, haute auf den Tasten herum und präsentierte nach einigen Sekunden mein Foto mit einer neuen Frisur. Ein Pagenschnitt.
»Wow«, war das erste Wort, das einer der beiden männlichen Teilnehmer von sich gab.
»Nicht schlecht«, gab Byrone zu, »aber mit dieser Frisur wirkst du wie ein skandinavisches Au-pair-Mädchen. Ein bisschen dumm und sexuell verfügbar.«
Ich fand keine Zeit, seine Vorurteile über skandinavische Au-pair-Mädchen zu überdenken, denn er tippte wieder, produzierte zwischendurch eine Art franseligen Wischmopp, dann eine Kurzhaarfrisur und kam letztlich auf den Pagenschnitt zurück.
»Im Grunde kommt nur das infrage«, murmelte er. Mit ein paar Mausklicks und Tastenkombinationen ließ er die Ponyfransen wachsen, stufte die Seiten ein bisschen durch und verlegte den Scheitel von der Kopfmitte auf die linke Seite.
»Das ist dein Look«, sagte er, fügte virtuelles Make-up hinzu, das farblich deutlich zurückhaltender war als meine aktuelle Wahl, meine hellen Augen betonte, die Lippen voller und das etwas runde Kinn feiner wirken ließ, druckte das Bild aus und sagte: »Mit dir sind wir fertig, Corazón . Jetzt kommen die schwierigen Fälle.«
Ich war erleichtert.
Die Brünette schnappte erst nach Luft, dann nach ihrer Tasche und verließ fluchtartig den Raum.
»Du hast doch heute Abend nichts vor?«, fragte Troll gegen fünf Uhr dreißig telefonisch an, als ich Schotts Wohnung mit einem schriftlichen Auftrag in der Tasche verließ.
Meine Antwort kam schnell und unmissverständlich.
»Doch«, erwiderte ich. »Erkältung auskurieren und schlafen.«
Mein wichtigstes Vorhaben – Sie wissen schon –, wollte ich lieber nicht erwähnen.
»Falsch«, entgegnete sie. »Du hast eine Werbeveranstaltung. Ich hole dich um halb acht ab.«
»Werbeveranstaltung?«, fragte ich zurück, jetzt doch ziemlich entgeistert. Dieses Wort war niemals zwischen uns gefallen. Ich war davon ausgegangen, dass die Werbung mit den Handzetteln, der Website und Trolls Guerilla-Marketing fürs Erste erledigt war. Erst recht, da sie Wirkung zeigte. Im Laufe des Tages waren zwölf neue Anfragen per Telefon eingegangen, die E-Mails hatte ich seit morgens nicht mehr gecheckt.
»Zieh dir Ausgehklamotten an. Kein Business-Outfit.«
»Troll, es geht wirklich nicht«, protestierte ich. »Ich bin krank, überarbeitet, völlig fertig mit den Nerven und muss noch fünf Angebote und zwei Auftragsbestätigungen schreiben. Ich gehe nirgendwohin.«
»Doch«, sagte sie. »Es ist die einzige Veranstaltung dieser Art, und ich konnte nur deshalb noch eine Karte bekommen, weil ich einen der Organisatoren kenne. Also keine Ausreden, ich bin um halb acht da.«
Ich hatte gerade noch Zeit für die wichtigsten Schreibarbeiten und zum Umziehen, bevor Troll kam, um mich zu dieser geheimnisvollen Werbeveranstaltung zu schleppen.
»Wir nehmen dein Auto«, sagte sie.
Natürlich.
Im Autoradio lief gerade die Wettervorhersage, und ich freute mich über Temperaturen bis minus sieben Grad für die Nacht, stellte aber schnell fest, dass eine Autofahrt ohne Heizung unter diesen Bedingungen nicht angenehm ist. Troll fand das wohl auch, denn sie fummelte bereits eine Minute nach dem Start am Heizungsregler herum.
»Die Heizung bleibt aus«, sagte ich und schob den Regler zurück auf Null.
»Es friert«, entgegnete sie. »Und du bist erkältet.«
»Wenn du um meine Gesundheit besorgt bist, hättest du mich ins Bett gehen lassen sollen.«
»Du wirst den Abend schon überstehen, vorausgesetzt, du nutzt die Errungenschaften modernster Technik und drehst das Gebläse auf.«
»Keine Heizung.«
»Was ist los mit dir?«
Ich zuckte mit den Schultern. Zum Diskutieren fehlte mir die Kraft – und die Argumente. Den wahren Grund konnte ich ja schlecht sagen.
»Wohin fahren wir denn?«, fragte ich stattdessen, aber nun stellte Troll sich stur. Das Einzige, was sie von sich gab, waren die Richtungsanweisungen. Ich ließ mich von ihr leiten, ohne darauf zu achten, wohin wir fuhren. Es interessierte mich nicht. Ich wollte es hinter mich bringen, was immer »es« war, und dann mein Frachtgut loswerden.
»Da sind wir«, sagte Troll mitten in meine Überlegungen hinein. »Such dir einen Parkplatz.«
Tolle Idee. Die Straße war eng und komplett zugeparkt.
»Hier ist bestimmt Anwohnerparkzone«, gab ich zu bedenken und fuhr weiter.
»Hier«, rief Troll.
Ich fuhr weiter.
»Hier ist einer!«
Tatsächlich, ein Parkplatz. Da war doch bestimmt ein Haken dabei. Ich fuhr ein paar Meter vor, setzte den Blinker und parkte ein. Ich stieg aus und begutachtete alle Verkehrsschilder im Umkreis von zehn Metern.
»Was hast du denn?«, fragte Troll genervt.
»Heute Morgen hatte ein Abschlepper meinen Wagen schon am Haken«, sagte ich. »Das brauche ich nicht noch mal.«
Ich konnte kein Schild entdecken, das das Parken auf diesem Platz verboten hätte, also ließ ich mein Auto dort stehen. Troll schob mich ungeduldig auf die andere Straßenseite und in eine hip ausgestattete Kneipe hinein. Schlichte Holztische mit Designerhockern drum herum, Raumteiler in dunklem Holz mit Messing, vereinzelte Skulpturen im Raum verteilt.
Читать дальше