Zu Hause hatte ich in den mir zur Verfügung stehenden fünfeinhalb Minuten versucht, aus meinem Kleiderschrank ein Outfit in den zu mir passenden Farben zu zerren, und kam mir nun in meiner hellblauen Jeans und dem weißblauen Pullover vollkommen fehl am Platz vor. Alle anderen trugen mindestens ein Kleidungsstück in – natürlich – Schwarz.
»Wir müssen hinten durch in den Saal.«
Am Eingang des Saals befand sich ein Tisch, an dem bereits einige Leute standen, die sich offenbar anmeldeten. Sie sagten ihre Namen, wurden auf einer Liste abgehakt, bekamen ein Schildchen zum Anstecken und gingen weiter in den Saal, in dem viele kleine Tische mit je zwei Hockern in einem großen Kreis aufgestellt waren. Alle Tische blieben leer, niemand setzte sich. Stattdessen strebten alle Besucherinnen und Besucher zur Bar. Endlich waren wir dran.
Troll regelte die Anmeldung und ich bekam ein Namensschildchen. Dann gingen wir in den Saal.
»Was ist das für eine komische Party?«, fragte ich.
»Speed-Dating.«
»Was?« Ich blieb stehen.
»Nun komm schon.« Troll zog mich am Arm vorwärts. »Du sollst hier keinen Mann finden, sondern Werbung machen. Es ist die größte Speed-Dating-Veranstaltung diesen Monat und die mit der gehobensten Klientel. Hier triffst du fünfzig alleinstehende Männer an einem Abend. Fünfzig potenzielle Kunden. Und ein persönlicher Kundenkontakt wiegt zwanzig ganzseitige Anzeigen im ›Playboy‹ auf, die du dir sowieso nicht leisten kannst. Also los, mach Werbung.«
Ich machte erst mal gar nichts, sondern stand stocksteif neben Troll, die sich ein leuchtend blaues Getränk an der Bar holte und mir ungefragt ein Bier mitbrachte. Sie schaute einigen Gästen anerkennend hinterher. Frauen, wie mir schien.
»Ich bin erkältet«, sagte ich.
»Das sind alle anderen zu dieser Jahreszeit auch. Kein zukünftiger Kunde wird wissen, von welcher der Damen er sich den Bakterienbefall geholt hat.«
»Ja, aber meine Stimme wird das hier nicht durchhalten. Ich habe Halsweh und spüre bereits, wie ich heiser werde.«
»Dann trink viel.« Sie deutete mit dem Kopf auf das Glas in meiner Hand.
»Soll ich vielleicht mit einem Bier in der Hand Werbung machen?«, fragte ich.
»Du hast noch eine Viertelstunde Zeit, bevor es losgeht. Trink es vorher, das entspannt.«
»Mit einer Bierfahne komme ich auch nicht sehr seriös rüber«, hielt ich ihr entgegen. Sie hätte mir auch ein Glas Milch reichen können und ich hätte etwas daran auszusetzen gefunden. Diese Veranstaltung war die Hölle. Wie konnte sie mir das antun? Fünfzig fremde Männer, die auf der Suche nach einer Frau waren, mit meiner Werbung zutexten? »Und warum sollte ich nicht mein Businesskostüm anziehen, wenn ich hier als Unternehmerin auftreten muss?«, maulte ich.
»Es geht um zwei Dinge«, erklärte Troll in einem Tonfall und einer Deutlichkeit, als spräche sie zu einem kleinen Kind. »Erstens ist diese Art der Werbung echt wirkungsvoll, ich habe das schon mal ausprobiert.«
Ich erwiderte nichts.
»Zweitens kann dir ein bisschen Übung im Umgang mit fremden Menschen nicht schaden. Du bist schüchtern und zurückhaltend, das geht nicht für eine Geschäftsfrau, die ihre Dienstleistung glaubwürdig vertreten und teuer verkaufen will.«
Die Tatsache, dass sie recht hatte und dass ich wusste, dass sie recht hatte und dass auch sie wusste, dass ich es wusste, machte es nicht besser. Ich war sauer.
»Ich gebe dir mein Namensschild und du machst die Werbung«, sagte ich nach einer Weile, in der ich geschmollt hatte. »Du kannst das sowieso viel besser.«
»Stimmt«, sagte Troll, »das ist ja das Problem. Du musst es lernen. Es ist wirklich nicht schwer. Du musst ja nichts über dich sagen, sondern nur über dein Unternehmen. Gib eine kurze Erklärung, was die Schmutzengel bieten, dann gibst du jedem einen Flyer und das ist schon alles.«
»Ich muss erst einmal sehen, wie das geht«, sagte ich. Ich hatte wirklich Schiss. Ich hatte noch nie fremde Männer angesprochen. Ich traute mich ja noch nicht einmal, Greg anzurufen, obwohl ich jahrelang mit ihm zusammengelebt hatte. Ich bin überhaupt eher der stille Typ.
Troll hatte ein Einsehen. Sie nahm mein Namensschild an sich, steckte es an ihr Hemd, holte ihr Handy aus der Tasche und rief mich an.
»Lass dein Handy an, hör ein paarmal zu, dann wird getauscht«, sagte sie.
Ich nickte. Sollte sie doch die fünfzig Gespräche führen, ich hörte gern zu. Weitere Diskussionen waren nicht möglich, denn ein Gong ertönte und die umwerfende Schönheit, die vorhin am Tisch die Namen abgehakt hatte, erklärte die Vorgehensweise. Alle Frauen in den Innenkreis, die Männer außen um die Tische herum. Auf Gongschlag setzen sich alle auf den vor ihnen stehenden Hocker und reden mit ihrem Gegenüber. Beim nächsten Gongschlag rücken die Herren einen Hocker weiter nach rechts, die Damen bleiben sitzen.
Jeder Mann und jede Frau suchte sich einen Platz und endlich standen alle in zwei Kreisen um die Tische herum. Ich hatte während des Gewusels die Zeit gehabt, mir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwas genauer anzusehen und war ängstlicher denn je. Die Frauen sahen in meinen Augen alle bezaubernd aus. Überhaupt waren fast alle Menschen in diesem Raum auffallend gut aussehend. Bis auf mich. Und Troll, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Kategorien wie gut aussehend greifen bei ihr nicht, weil sie einfach immer schrill aussieht. Die meisten Männer waren sehr modisch gekleidet und gestylt. Enge, schräg gestreifte Hemden dominierten, fast alle trugen das Haar modisch lang, die Hosen entsprachen dem aktuellen Hüftschnitt, viele Männer trugen Schmuck. Silberne Ringe, Halsketten in schwarzem Kautschuk mit silbernen Anhängern, schicke Uhren. Mein Mut sank ins Bodenlose.
Ich entdeckte Troll in der Menge und starrte den Typen an, der ihr gegenübersaß und sie mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck betrachtete. Er sah nett aus. Vielleicht ein bisschen jung, aber sympathisch. Lässige Klamotten, lange Haare, einen Haifischzahn am Lederband um den Hals. Wahrscheinlich Taucher oder Surfer oder so etwas. Ich glaubte nicht, dass er in meine Kundenzielgruppe passte.
Gong. Ich drückte mein Handy fest ans Ohr.
Mann: »Äh, hallo, ich heiße Stefan.«
Troll: »Ich kann lesen, Stefan. Du auch?«
Stefan: »Na klar, was ist das denn…« Ich hörte Papier rascheln und konnte sein Stirnrunzeln bis hierher erkennen.
Troll: »Also dann wirf mal einen Blick hier in diesen Flyer. Der könnte dir helfen, in Zukunft mit einem vernünftig gebügelten Hemd ohne Deoflecken unter den Achseln herumzulaufen. Saubere Männer sind attraktiver, weißt du?«
Stefan: »Wie bist du denn drauf? Guck dich doch selber mal an.«
Troll: »Ist bestimmt besser, als weiterhin dich anzusehen.«
Dabei sah er so nett aus, zumindest aus der Entfernung. Ich wollte im Boden versinken vor Scham.
Stefan: »Du hast so eine Scheißfrisur, die hast du doch nur, um aufzufallen. Damit sich wenigstens ein paar Köpfe nach dir umdrehen.«
Oho, er konnte aber gut zurückgeben. So lässig, wie er aussah, war er wohl doch nicht.
Troll: »Und du hast diese Frisur gewählt, damit sich ein paar Mägen umdrehen, richtig?«
Stefan: »Eh, wenn du Leute beleidigen willst, bist du hier falsch.«
Ja, lieber Stefan, da bin ich ganz deiner Meinung! Ich hatte mir unter einer Werbeveranstaltung für mein Unternehmen auch etwas anderes vorgestellt!
Troll: »Überhaupt nicht, hier kann ich fünfzig Männer in einer Stunde zur Sau machen, den Schnitt schaff ich sonst nicht.«
Gong.
Mir war heiß, mein Gesicht brannte wie Feuer, die Luft war zu dick, als dass sie durch meine Bronchien gepasst hätte. Troll machte mich und mein Unternehmen unmöglich. Ich kippte das Bier fast auf ex.
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