Byrone legte mir einen breiten Schal in Schwarz wie ein Lätzchen unter das Kinn.
Niemand reagierte. Ich hatte vorher Schwarz getragen, daher hatte dieser Schal keine offensichtliche Wirkung. Hinter mir hörte ich ein Gähnen.
Byrone legte mir erst einen rehbraunen, dann einen anthrazitgrauen Schal um und jetzt hörte ich ein überraschtes »Ach«.
»Ja, ja, ach«, sagte Byrone und fand kein R, das er hätte rollen können. Nacheinander legte er mir Schals in schreiendem Pink, in knalligem Rot, in warmem Maisgelb um. Danach kamen diverse Ockertöne, Olivgrün, Erdbraun. Meine Augen wurden, nachdem sie mit dem grauen Schal frisch geleuchtet hatten, wieder stumpf, meine Haut blass und teigig. Selten hatte ich so schlecht ausgesehen.
Das Gähnen hinter mir setzte wieder ein, Byrone griff nach den nächsten Schals.
Bei Kiwigrün sah ich aus, als müsse ich mich gleich übergeben, Beige machte mich hohlwangig, Orange billig. Meine Überzeugung, dass jede beliebige Farbe für mich eine Katastrophe war und ich doch mein Leben in Schwarz verbringen würde, festigte sich mit jedem Schal, den Byrone mir unter das Kinn legte – bis er zu Puderrosa kam. Ich konnte es nicht fassen, wie gesund meine winterlich blasse Haut wirkte, wie fröhlich meine übermüdeten Augen strahlten. Die Ringe unter den Augen und der deutlich erkennbare Ansatz eines Doppelkinns waren fast verschwunden. Dabei hasste ich Puderrosa, seit meine Mutter mir zu meinem fünfzehnten Geburtstag ein Blümchenkleid in dieser Farbe geschenkt hatte. Ich machte den Mund auf, aber Byrone legte den Finger auf seine zu einem feinen Lächeln verzogenen Lippen. Er legte mir einen Schal in Pastellblau um, danach graue, fliederfarbene und zitronengelbe Tücher.
Die anderen Teilnehmer hatten erst gelangweilt, dann aber immer interessierter zugesehen.
»Du bist ein Sommertyp, Corazón , die Pastelltöne von Blau, Rosa und Violett sind deine Farben.«
Eigentlich war ich begeistert, aber ich konnte als Geschäftsfrau meinen Kunden doch schlecht von Kopf bis Fuß in Puderrosa gegenübertreten. Byrone zerstreute meine Bedenken. Er legte mir einen marineblauen Schal um und faltete den rosafarbenen dazu.
»Natürlich gehst du nicht ganz in Rosa, Corazón , willst du dich lächerlich machen?« Er schüttelte den Kopf so heftig, dass ich befürchtete, er könne sich vom Hals losrütteln. »Du trägst ein Kostüm in Marine mit einer Bluse in Rosa oder Hellblau.«
Das Wort »Kostüm« versetzte mich kurz in Panik, aber immerhin farblich war ich glücklich, als Byrone mir die drei Farbkärtchen zusteckte. »Meide Erdtöne, Orange und Schwarz«, murmelte er noch, bevor er sich den anderen Teilnehmern zuwandte.
Die rissen sich inzwischen um die Schals.
Den anderen Teilnehmern des Seminars erging es schlechter als mir, denn sie erhielten nur jeweils zwei Farbkarten, eine kleine Brünette sogar nur eine.
»Sie haben sich die Haare falsch gefärbt«, erklärte Byrone ihr in vorwurfsvollem Tonfall. »Ihre Haut ist Winter aber Ihre künstliche Haarfarbe ist Herbst, daher passt Ihre Kleidung zur Haut oder zum Haar, aber nie zu beidem. So, wie Sie jetzt aussehen, können Sie ausschließlich ein schmutziges Graubraun tragen. Wenn Sie sich schon die Haare färben wollen, dann färben Sie sie schwarz.«
Sie tat mir leid.
»Tragen Sie eine Brille?«, fragte Byrone und drückte sie wieder auf den Stuhl zurück, den sie gerade fluchtartig verlassen wollte. Die Brünette zögerte, nickte dann aber mit einem Blick, den man nur verzweifelt nennen konnte.
»Setzen Sie sie auf«, befahl Byrone. Sie gehorchte.
»Ganz falsch«, lautete sein vernichtendes Urteil. »Dieses Braun passt vielleicht im Moment zu Ihrem Haar, aber dessen Farbe sollten Sie, wie gesagt, sowieso ändern. Zur Haut und zu den Augen ist das Braun einfach schrrrrecklich.«
Sie verließ den Stuhl wie ein geprügelter Hund.
Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich das erste Drittel meines Lebens in den richtigen oder falschen Farben verbracht hatte, und kam zu dem beruhigenden Ergebnis, dass mein modisches Desinteresse mich vor den schlimmsten Verfehlungen bewahrt hatte. Meist trug ich Jeans und Blusen oder Hemden in irgendeinem Blauton dazu. Das war akzeptabel. Nur kurz hatte es eine orange Phase gegeben, weil die Farbe damals allgegenwärtig war und man ihr bei der Neuanschaffung von Kleidungsstücken kaum entgehen konnte. Vermutlich hatte die Hälfte der Bevölkerung in der betreffenden Saison ausgesehen, als leide sie an einem Magen-Darm-Virus. War das tröstlich?
Ich musste an Troll denken. Ob Byrone bei ihrem Anblick die Fassung hätte wahren können? Ich zweifelte daran. Am wahrscheinlichsten erschien mir eine Reaktion, die von dramatischem Augenrollen über ein hektisches Zucken des Kopfes zu einer bühnenreifen Ohnmacht führen würde. Aber vielleicht täuschte ich mich und er würde einfach zur Salzsäule erstarren. Sicher war nur, dass Troll definitiv in kein Raster passte, das irgendwelche Farb-, Stil- oder sonstige Berater jemals entwickelt hatten. Und Troll wäre nicht Troll, wenn sie sich von solchen Normen ihr Aussehen vorschreiben ließe. Ich bewunderte ihre dickköpfige Unabhängigkeit in diesen Dingen.
Nach dem Farbspiel war die Figur dran. Wieder traf es mich als Erste.
»Du bist zwar groß, aber natürlich trotzdem viel zu dick«, sagte Byrone. Die pummelige Brünette mit den falsch gefärbten Haaren neben mir ließ ein entrüstetes Zischen vernehmen. Byrone tat, als hätte er nichts gehört, und führte ungerührt seine Analysen fort. »Du hast ein ganz enorm breites Hinterteil, aber schöne Beine. Diese Hose mit der Bluse bis über den breiten Po ist sehr unvorteilhaft. Damit siehst du nur noch dicker aus, als du sowieso schon bist.«
Die Brünette hyperventilierte.
»Ein Pluspunkt sind die geraden Schultern, aber sie sind ein bisschen zu breit für eine Frau«, kommentierte Byrone weiter.
Nun, bei der Verladung eines ausgewachsenen Männerkörpers in mein Auto hatte mir mein Ringerkreuz gute Dienste geleistet, aber das konnte ich hier schlecht zu meiner Verteidigung vorbringen.
»Vor allem in Verbindung mit dem zu kleinen Busen ist die Schulterbreite nicht sehr feminin. Da stimmt einfach das Verhältnis nicht.«
Ich war knallrot geworden und stand stocksteif mit hängenden Armen im Raum. Alle glotzten mein ganz enorm breites Hinterteil, die breiten Schultern und den unglaublich kleinen Busen an. Meine positiv erwähnten Beine konnte man durch die Hose nicht sehen. Woher wusste Byrone also von ihrer Schönheit? Und was sollte das mit dem zu kleinen Busen? Immerhin trug ich BHs der Körbchengröße C, das war vollkommen in Ordnung. Vermutlich war Byrone nicht gestillt worden. Flaschenkinder entwickeln ein gestörtes Verhältnis zur Oberweite, das ist allgemein bekannt.
Byrone fummelte inzwischen an einer vollgehängten Kleiderstange herum. Er fand, wonach er suchte, und drückte mir einen Kleiderbügel in die Hand. Was auch immer darauf hing, es war marineblau.
»Zieh das an«, befahl Byrone.
Mir war nichts lieber, als mein dickes Hinterteil, die breiten Schultern und den kümmerlichen Busen den kritischen Blicken zu entziehen, und so trug ich all das auf meinen schönen Beinen in die Umkleidekabine, deren Vorhang ich schwungvoll zuzog. Ich wischte mir verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel und atmete auf.
Das Kostüm passte wie angegossen. Der Rock bedeckte gerade so die Knie, die Jacke war kurz genug, um ein günstiges Verhältnis zwischen Ober- und Unterkörper herzustellen, und lang genug, um den Ansatz des enorm breiten Hintern zu kaschieren. Der insgesamt schmale Schnitt wirkte sich günstig auf die Optik der Schultern aus, und das Revers zauberte eine kleine zusätzliche Fülle in die Oberweite. All dies fiel mir natürlich nicht in meiner halbdunklen Umkleidekabine ohne Spiegel auf, sondern wurde von Byrone wortreich dargelegt, sobald ich die schützende Höhle verlassen hatte. Barfuß, mit unrasierten Beinen. Was denn auch gleich wortreich gerügt wurde.
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