Jutta Profijt - Schmutzengel

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Job weg, Freund weg und die Wohnung so gut wie weg. Aber Corinna (31) wäre nicht die Enkelin ihrer patenten westfälischen Oma, wenn sie sich nicht flugs an die Neugestaltung ihres Lebens machen würde, und zwar mit einer genialen Geschäftsidee: Sie gründet die »Schmutzengel« – ein Dienstleistungsunternehmen, das gestressten Managern und unbeholfenen Muttersöhnchen die Organisation des lästigen Haushalts und der anstrengenden Freizeit abnimmt. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten, die Aufträge purzeln nur so herein, alles läuft bestens. Bis zu dem Tag, an dem im Haus des peniblen Neukunden plötzlich ein Toter liegt. Besorgt um das Image ihrer Firma beschließt Corinna: Der muss weg! Doch wie und wohin?

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Jutta Profijt

SCHMUTZENGEL

Roman

ERSTER TEIL

1

Der Tag, an dem sich mein bis dahin weitgehend ereignisloses Leben von Grund auf und für immer veränderte, begann wie ein ganz normaler Tag. Damals dachte ich, dass dieser Tag, der mir drei Katastrophen auf einmal bescherte, der schwärzeste Tag meines Lebens sein müsste. Rückblickend kann ich sagen, dass jene Katastrophen nur kleine Ärgernisse und jener Tag nur ein lächerlicher Vorgeschmack auf das sein sollten, was mich wirklich aus der Fassung brachte. Aber lesen Sie selbst.

Noch etwas: Ich werde diese Niederschrift bei Lisbeth hinterlegen, die sie im Fall meiner Verhaftung einem Anwalt übergeben kann.

Alles begann also im Oktober des vergangenen Jahres. Nach Wochen voller Regen und Wind war zum ersten Mal der Himmel wieder zu sehen. Über Nacht waren die Wolken verschwunden, wärmere Luftmassen strömten aus dem Süden Europas zu uns und brachten angenehme Temperaturen mit sich. So hatte es der Wetterfrosch im Fernsehen formuliert. Mir war egal, woher die Luftmassen strömten. Hauptsache, der Regen hörte endlich auf.

In dem windgeschützten Balkonkasten vor meinem, damals noch unserem, südlichen Wohnzimmerfenster entfaltete die letzte, nicht verfaulte Cosmeablüte ihre zarten Blätter. Ich bin eine geborene Optimistin und empfand daher den Anblick der strahlend violetten Blüte als gutes Zeichen für den Tag und als Aufforderung, einen weiteren Blumenkasten mit Spätblühern zu bepflanzen. Das nahm ich mir beschwingt für den Feierabend vor.

Ich konnte ja nicht ahnen, dass es niemals dazu kommen sollte.

Mein Tagesablauf damals war einfach. Um halb acht aufstehen, während Greg noch schlief, eine schnelle Tasse Kaffee, die die Maschine in den zehn Minuten aufbrühte, die ich unter der Dusche verbrachte. Den normalen Filterkaffee kochte ich nur für mich, Greg bereitete sich später einen Espresso mit seinem sündhaft teuren Marken-Espresso-Vollautomaten zu. Die erste Tasse Kaffee trank ich im Bad, während ich mir die Haare föhnte, die zweite begleitete das Anziehen und Blumengießen. Ein richtiges Frühstück nahm ich schon lange nicht mehr zu mir, sehr zum Missfallen meiner Oma. Das ist so ziemlich der einzige Punkt, in dem wir nicht einer Meinung sind. Im Sturmschritt ging es dann zur Straßenbahnhaltestelle, beim Bäcker unterwegs kaufte ich ein überteuertes Brötchen, das ich in der Bahn aß und dann, um halb neun, begann mein Arbeitstag bei AIQ. Das spricht man »aikju«, also wie IQ auf Englisch. Sollte wohl witzig sein. Oder hip. Oder beides, keine Ahnung. AIQ jedenfalls war damals eine der wichtigen, angesagten Werbeagenturen in Düsseldorf, der Hauptstadt der wichtigen, angesagten Werbeagenturen. Und ich war stolz darauf, dabei zu sein.

Mein Arbeitstag in der Agentur begann üblicherweise damit, etwa zehn Liter Kaffee zu kochen. Nicht irgendeinen Kaffee, sondern ein unglaublich teures Zeug aus ausgesuchten, mit Monsun-Regenwasser gewaschenen Hochlandbohnen, nach einem speziellen Verfahren geröstet und in unserer elektrischen, extra Aroma schonenden Kaffeemühle frisch gemahlen. Für mich schmeckte auch dieser Kaffee nur nach Kaffee, daher konnte ich das Aufheben, das darum gemacht wurde, nicht verstehen. Musste ich aber auch nicht, ich musste ihn nur zubereiten. Meine nächste Aufgabe war es, die Post zu öffnen und sie ungelesen auf den Tisch der Direktionsassistentin zu legen. Danach kümmerte ich mich um die Pflanzen.

Da AIQ eine hippe Agentur und keine miefige Behörde war, gab es in den lichtdurchfluteten Räumen nicht das übliche Bürogrün wie Palmen oder Gummibäume, das in dunklen Ecken auf großen Blättern Staub sammelt, sondern ausgeflipptes Zeug wie Sonnenöffner, Flamingoblumen, Froschlöffel, Flohkraut, Papyrus und Fleisch fressende Pflanzen. Zu der zweifelhaften Ehre der Verantwortlichkeit für das agentureigene Grünzeug war ich gekommen, weil ich vom Land kam. Direkt von den windigen Höhen der Schneeeifel, wo meine Großeltern einen Bauernhof hatten. Vor nunmehr zwölf Jahren war ich zur Ausbildung als Werbekauffrau nach Düsseldorf gegangen. Seitdem nannte man mich Däumling, die Frau mit dem grünen Daumen.

Damals war ich blöd genug, mich geschmeichelt zu fühlen. Mehr aufgrund der Tatsache, dass ich wichtig genug war, überhaupt einen Spitznamen zu haben, als aufgrund des Namens an sich. Der passte auch gar nicht zu mir, denn ich bin groß gewachsen. Jedenfalls war ich die erste Grünzeug-Verantwortliche, die die teuren botanischen Lieblinge des Chefs nicht innerhalb von drei Monaten in den welken Tod trieb, und so blieb der Job an mir hängen. Ich wusste genau, welches Gewächs viel und welches wenig Wasser brauchte, ob das Wasser warm oder kalt, mineralienreich oder regenweich sein musste und wie oft am Tag, in der Woche oder im Monat überhaupt Flüssigkeit verabreicht wurde. Ich verfügte über ein eigenes Budget, aus dem ich die nicht unerheblichen Wasserkosten bestritt. Mineralwasser für die Kalkbodenspezialisten, saures, basisches oder Meerwasser für Moorpflanzen, neuseeländische Vulkanseeflechten oder nordeuropäische Salzwiesengräser. Mein grüner Daumen sicherte mir eine lobende Erwähnung auf jeder Weihnachtsfeier und eine lebenslange Anstellung in einer der angesagtesten, hippsten und kreativsten Agenturen der Stadt.

Dachte ich.

Bis zu eben jenem sonnigen Tag, an dem die warmen Luftmassen nicht nur die erwähnte Blüte mit sich brachten, sondern auch eine Überraschung für mich:

Meine Kündigung.

Dass es Zeiten gab, in denen es der IT-Branche schlecht ging und sie riesige Populationen an kommunikationsgestörten Binärcodeschreibern und Flash-Banner-Programmierern aus der Gruppe der Aktienblasenmillionäre zurück in die Spülküchen der Erfolgstraumwelten schickte, ist hinlänglich bekannt. Dass es in der Werbebranche eine ähnliche Welle gab, blieb der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Eine der Ersten, die von dieser Welle aus den kreativen Räumen der mehrfach ausgezeichneten Agentur AIQ gespült wurden, war ich.

Jörgen Haukwit empfing mich ganz in Violett. Jörgen Haukwit ist Gründer und Chef von AIQ. Hinter seinem Rücken wird spekuliert, ob sein Vorname Ausdruck eines überzogenen Individualitätsbedürfnisses seiner Eltern oder schlicht das Resultat eines Tippfehlers des diensthabenden Standesbeamten bei der Anmeldung des neuen Erdenbürgers ist. Besonders böse Zungen behaupten, Jörgens Vater sei durch übermäßigen Alkoholgenuss vielleicht nicht in der Lage gewesen, den Namen seines Sohnes angemessen zu artikulieren. Jörgen jedenfalls hat sich so sehr mit diesem Namen identifiziert, dass er sich weigert, Post entgegenzunehmen, die an Jürgen Haukwit adressiert ist.

Jörgen rasiert sich dreimal am Tag den Schädel, weil Glatze einfach cooler ist. Er ist ohne Sehhilfe blind wie ein bestochener Zöllner, verträgt aber keine Kontaktlinsen. Also hat er das Brille-Tragen zum modischen Statement erhoben, damit niemand auf die Idee kommt, es handele sich um eine medizinische Notwendigkeit. Ich habe immer vermutet, dass er allein mindestens drei Optiker auf der Kö finanziert. Seine Brillen sind unzählbar, ich kann mich kaum erinnern, ihn zweimal mit demselben Gestell, Pardon, derselben Fassung auf der Nase gesehen zu haben. Nun könnte man meinen, dass bereits die Wahl der Brille Jörgens Tagesform ausreichend darstellte, sodass er sich ansonsten den modisch offenbar zwingenden Vorgaben der Branchengrößen unterwerfen konnte, die grundsätzlich Kleidung in existenzialistischem Schwarz meinten. Doch weit gefehlt. Jörgen kleidete sich zwar stets von Kopf bis Fuß in nur eine einzige Farbe, insofern zeigte er eine gewisse Konformität mit dem Dresscode der Werbewelt. Nur ist diese Farbe eben nicht immer Schwarz. Sie variiert je nach Stimmung, und am Tag meiner Kündigung trug er Violett. Die Farbe tiefster Verzweiflung.

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