Friedrich Gerstäcker - Eine Mutter
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Friedrich Gerstäcker
Eine Mutter / Roman im Anschluß an »die Colonie«
1.
Fürchtegott Pfeffer
Ein gar reges und geräuschvolles Leben und Treiben erfüllte heute die überhaupt nicht unbedeutende und besonders viel von Fremden besuchte Provinzialstadt Haßburg.
Schon die Lage des alten Ortes war eine reizende, und eine große Zahl von wohlhabenden Leuten hatte sich deshalb sogar in oder nahe bei der Stadt bleibend niedergelassen, so daß sie mit ihren freundlichen Villen und Wohnhäusern die Anlagen wie die Hänge der daranstoßenden Hügelkette bunt und prächtig überstreuten.
Heute füllte aber noch eine ganz besondere Veranlassung sowohl die engen und etwas winkeligen Straßen des Weichbildes, wie auch die Anlagen und freien Plätze mit einer Unzahl geputzter Menschen, denn es war Jahrmarkt wie zugleich Haßburger Vogelschießen, wozu sich dann natürlich die ganze Nachbarschaft herbeidrängte. Besonders die Bauern kamen in hellen Schwärmen zu Markt gezogen, und in den Hauptverbindungsstraßen wimmelte es wie bei einer Völkerwanderung.
Unmittelbar vor der Stadt, auf einem großen, freien Platz, der sogenannten »Schützenwiese«, stand denn auch eine große Zahl von Buden aufgeschlagen, während dicht daneben in einem niedern, langen Gebäude die »Altschützen« auf verschiedenen Ständen unermüdlich nach ihren dahinter aufgestellten Scheiben knallten.
Der Verkehr war hier draußen auch der stärkste, wenngleich selbst die innere Stadt nicht von Buden verschont geblieben, und während eine Zahl von Drehorgeln mit ihren grausig gemalten Mordgeschichten, böhmischen Musikbanden, Gymnastikern in schmutzig-weißen, phantastischen Anzügen und anderen Meßkünstlern geringeren Grades die Promenaden überschwemmten, sammelte sich hier das Volk besonders, und oft wurde selbst die Passage durch die verschiedenen Aufzüge für kurze Zeit gehemmt und unterbrochen.
An diesen Theil der Promenade stieß übrigens unmittelbar die Stadt, mit ihren hohen, schmalen, gedrängten Häusermassen, und während die Front der hier sichtbaren Reihe in eine enge, dumpfige Straße hinaussah und auch dort ihren Haupteingang hatte, genossen die Wohnungen der Hintergebäude (so eingeschränkt die Miethsleute dort auch vielleicht wohnen mußten) doch wenigstens freie Aussicht auf grüne Bäume und blauen Himmel, und jetzt auch, als Zugabe, auf das ganze wilde Gedränge des Markttrubels, der unmittelbar vor ihren Fenstern auf und ab wogte.
In der zweiten Etage eines dieser schmalen Gebäude wohnte der am Haßburger Theater angestellte Komiker Fürchtegott Pfeffer mit seiner Schwester und deren achtzehnjährigen Tochter Henriette in einem kleinen und sehr beschränkten Logis. Aber eben so klein und beschränkt war auch seine Gage, und Pfeffer, wenn auch sonst ein wunderlicher und excentrischer Kauz, doch ein ziemlich guter Haushalter und – sonderbarer Weise – fast der Einzige oder doch einer der Wenigen vom ganzen Theaterpersonal, der in Haßburg keine Schulden hatte.
Das ganze Logis bestand nur aus zwei neben einander liegenden Stuben, jede mit einem kleinen Alcoven versehen, dann einer etwas engen und nur nothdürftig erleuchteten Küche, und einer kleinen Holzkammer.
Die eine Stube hatte Pfeffer selber zum Studir- und Wohnzimmer inne, in dem daranstoßenden Alcoven schlief er. In dem andern Zimmer wohnten Mutter und Tochter, und es wäre kaum möglich gewesen, sich zwei sonst ganz gleiche Räumlichkeiten verschiedener zu denken, als diese zwei sich zeigten.
Das Zimmer der Frauen glich einer Puppenstube. Die allerdings sehr zerwaschenen Gardinen waren schneeweiß; ebenso der sorgsam gescheuerte Boden. Kein Stäubchen lag auf irgend einem der sauber polirten Erlenmöbel. Überall herrschte die größte, ja, fast peinliche Ordnung, und nur auf einem schmalen Arbeitstisch am Fenster, an dem Henriette saß und einen geschmackvollen Kranz von künstlichen Veilchen und Schneeglöckchen zusammenstellte, lagen die verschiedenen zu ihrer Arbeit nöthigen Ingredienzen ebenso durcheinander, wie es die Arbeit gerade mit sich bringt.
An Allem sah man, daß hier sorgliche und ordnungsliebende Frauenhände walteten – und wie lag dagegen das Nachbarzimmer!
Dort wirthschaftete Onkel Pfeffer, und zwar als unumschränkter Gebieter der Räumlichkeit, über welche man aber nicht gleich beim ersten Betreten des Zimmers einen vollkommenen Überblick bekam, da eine permanente Wolke von Tabaksqualm den überhaupt nicht sehr hellen Raum in ein ewiges, geheimnißvolles Halbdunkel hüllte. Hatte man sich aber erst daran gewöhnt und war nicht gleich beim ersten Betreten dieses künstlerischen Heiligthums über einen Haufen dicht an der Thür liegender Broschüren, Bücher und Schriftstücke gestolpert, so erschien Fürchtegott Pfeffer, wie der heraufbeschworene Geist eines Zauberers, mit in Papilloten rund herum fest eingewickelten Haaren, in einem sehr schmutzigen, langen, wattirten Schlafrock, die lange Pfeife in der Linken, eine offene »Rolle«, aus der er memorirte, in der rechten Hand, und blieb dann jedesmal – beide Arme vor sich haltend und mit einer Bewegung etwa mitten in der Stube stehen, als ob er hätte sagen wollen: Na, wer stört mich nun wieder?
Die Stube selber befand sich nicht allein in einer künstlerischen, sondern sogar in einer künstlichen Unordnung, gegen die aber weder Schwester noch Nichte einschreiten durften. Pfeffer behauptete nämlich – und vielleicht nicht ganz mit Unrecht –, sobald einmal bei ihm aufgeräumt würde, fände er nie mehr, was er suche, und es sei nachher eine Heidenarbeit, sein Studirzimmer wieder in den Stand zu setzen, wie er es allein brauchen könne, das heißt: in ein wahres Chaos von lauter benutzten und unbenutzten Dingen.
Die Gardinen waren jedenfalls, als sie am Ersten des Monats aufgemacht worden, eben so rein und weiß gewesen, wie in der Nachbarstube; wenn aber auch erst drei Wochen dazwischen lagen, so sahen sie doch jetzt schon entsetzlich aus. Ein schwarzer Reif schien auf sie gefallen zu sein – wie ein Trauercouvert mit schwarzen Rändern hingen sie von der Decke nieder, und noch immer zog der dicke Qualm zu ihnen empor und setzte sich den vorangegangenen Rußtheilchen an.
An den Wänden hingen eine Menge Bilder von theatralischen Größen, alle jedoch nur in einfach braunen oder schwarzen Rahmen. Was aber die Kunst getrennt, hatte die Kunst hier wieder vereint, denn über dem kleinen, mit buntem Kattun bezogenen Sopha nahmen Bogumil Dawison und Emil Devrient den Ehrenplatz ein, ja, ein Lorbeerkranz verband sogar Beide mit einander.
Dort hingen auch Ludwig Löwe und Laroche, dort hingen die Charlotte Ackermann, die alte Schröder und eine Menge berühmter Schauspieler und Schauspielerinnen; dort hingen Schiller, Göthe, Lessing, Iffland – aber kein einziges Bild eines Tenoristen oder einer Primadonna, und noch viel weniger eins, das nur im Entferntesten auf die Posse Bezug gehabt hätte.
Pfeffer haßte nicht allein die Oper, sondern auch die Posse, und war vielleicht gerade deshalb ein so ausgezeichneter Komiker, weil er seine Rolle mit einer solchen Erbitterung – ja, mit einem wahrhaft tödtlichen Haß abspielte, gewissermaßen, um sie nur los zu werden.
Außerdem stand in der Stube noch ein alter Schreibtisch aus Nußbaumholz, aber von oben bis unten mit Büchern, Rollen, Costümbildern, Zeitungsblättern wie allen nur erdenklichen Rauchapparaten, als Tabakskasten und Beutel, Pfeifenröhren, Cigarrenspitzen etc., bedeckt. Den Nipptisch in der Stube bildete aber die Commode mit einem Photographie-Album im Centrum. Rechts davon stand ein unbenutzter Mahagoni-Tabakskasten mit gestickten Seitenwänden, neben ihm ein gesticktes Uhrgehäuse, links eine eben solche Cigarrentasche, wie ein mit Silber beschlagener, guter Meerschaumkopf in geöffneter Kapsel – Alles mit dichtem Staub bedeckt, denn abwischen durfte es Niemand.
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