Ларс Кеплер - Der Hypnotiseur

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LARS KEPLER

Kriminalroman Übersetzung aus dem Schwedischen von Paul Berf Lübbe Digital - фото 1

Kriminalroman

Übersetzung aus dem Schwedischen

von Paul Berf

Lübbe Digital Vollständige eBookAusgabe der bei Lübbe erschienenen - фото 2

Lübbe Digital

Vollständige eBook-Ausgabe

der bei Lübbe erschienenen Hardcoverausgabe

Lübbe Digital und Lübbe

in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG

Für die Originalausgabe:

© 2009 by Lars Kepler

Für die deutschsprachige Ausgabe:

2010 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln

Datenkonvertierung eBook:

Bosbach Kommunikation & Design GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-0220-9

Sie finden uns im Internet unter

www.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

»Wie Feuer, genau wie Feuer.« So lauteten die ersten Worte, die der hypnotisierte Junge sagte. Obwohl er lebensgefährlich verletzt war – Dutzende Stich- und Schnittwunden im Gesicht, an den Beinen, an Rumpf und Rücken, unter den Füßen, im Nacken und am Hinterkopf –, hatte man ihn hypnotisiert, weil man hoffte, mit seinen Augen sehen zu können, was geschehen war.

»Ich kneife die Augen zusammen«, murmelte er. »Ich gehe in die Küche, aber da stimmt etwas nicht, es knirscht zwischen den Stühlen, und auf dem Fußboden breitet sich ein leuchtend rotes Feuer aus.«

Der Polizeimeister, der ihn zwischen den anderen Leichen in dem Reihenhaus gefunden hatte, hielt den Jungen für tot. Er hatte viel Blut verloren und einen medizinischen Schock erlitten und war erst sieben Stunden später wieder zu Bewusstsein gekommen.

Er war der einzige überlebende Zeuge, und Kriminalkommissar Joona Linna nahm an, dass der Junge ihm eine gute Personenbeschreibung liefern könnte. Der Täter hatte alle töten wollen und sich deshalb vermutlich nicht die Mühe gemacht, während der Tat sein Gesicht zu verhüllen.

Wären die übrigen Tatumstände nicht so außergewöhnlich gewesen, wäre man dennoch wohl nie auf den Gedanken verfallen, sich an einen Hypnotiseur zu wenden.

In der griechischen Mythologie ist der Gott Hypnos ein geflügelter Junge, der Mohnkapseln in der Hand trägt. Sein Name bedeutet Schlaf. Er ist der Zwillingsbruder des Todes und ein Sohn von Nacht und Dunkelheit.

In seiner modernen Bedeutung wurde das Wort Hypnose erstmals 1843 von dem schottischen Chirurgen James Braid benutzt. Mit dem Begriff beschrieb er einen schlafähnlichen Zustand von gesteigerter Aufmerksamkeit und großer Empfänglichkeit.

Heute ist es wissenschaftlich erwiesen, dass fast jeder Mensch hypnotisiert werden kann. Die Meinungen hinsichtlich der Anwendbarkeit, der Verlässlichkeit und der Gefahren der Hypnose gehen dagegen weit auseinander. Diese Zwiespältigkeit liegt wahrscheinlich darin begründet, dass die Hypnose von Betrügern, Scharlatanen und Geheimdiensten in aller Welt missbraucht worden ist.

Technisch gesehen ist es leicht, einen Menschen in einen hypnotischen Bewusstseinszustand zu versetzen, die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, den Verlauf der Hypnose zu steuern, den Patienten zu begleiten, die Ergebnisse zu analysieren und einzuordnen. Man braucht viel Erfahrung und großes Talent, um die Tiefenhypnose beherrschen zu können. Auf der ganzen Welt gibt es kaum mehr als eine Handvoll medizinisch kompetenter Experten für Hypnose.

1.

Die Nacht zum achten Dezember

Als das Telefon klingelt, wird Erik Maria Bark aus einem Traum gerissen. Bevor er richtig wach ist, hört er sich selbst sagen:

»Ballons und Luftschlangen.«

Plötzlich aus dem Schlaf gerissen, pocht sein Herz. Erik weiß nicht, was er mit seinen Worten gemeint haben könnte, hat keine Ahnung, worum es in seinem Traum ging.

Um Simone nicht zu wecken, schleicht er sich aus dem Schlafzimmer und schließt die Tür, ehe er sich meldet.

»Erik Maria Bark.«

Ein Kriminalkommissar namens Joona Linna fragt ihn, ob er wach genug ist, um wichtige Informationen aufzunehmen. Als er den Worten des Kommissars lauscht, fallen seine Gedanken immer noch in die dunkle Leere nach dem Traum.

»Man hat mir gesagt, dass Sie Experte für Traumabehandlung sind«, sagt Joona Linna.

»Ja«, antwortet Erik knapp.

Während er den Ausführungen des Polizisten lauscht, nimmt er eine Schmerztablette. Der Kommissar erklärt, er müsse jemanden vernehmen. Ein fünfzehnjähriger Junge sei Zeuge eines Doppelmords geworden. Es gebe nur leider das Problem, dass der Junge selbst lebensgefährlich verletzt worden sei. Sein Zustand ist instabil, er hat einen medizinischen Schock erlitten und ist bewusstlos. In der Nacht ist er aus der Neurologie in Huddinge in die Neurochirurgie des Karolinska-Universitätskrankenhauses in Solna verlegt worden.

»Wer ist der behandelnde Arzt?«, fragt Erik.

»Daniella Richards.«

»Sie ist sehr kompetent, und ich bin mir sicher, dass sie …«

»Sie wollte, dass ich Sie anrufe«, unterbricht ihn der Kommissar. »Sie braucht Ihre Hilfe, und es ist anscheinend ziemlich dringend.«

Erik kehrt ins Schlafzimmer zurück, um seine Kleider zu holen. Der Lichtstreifen einer Straßenlaterne fällt zwischen den beiden Rollos ins Zimmer. Simone liegt auf dem Rücken und sieht ihn mit seltsam leeren Augen an.

»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe«, sagt er gedämpft.

»Wer war das?«, fragt sie.

»Ein Polizist … ein Kriminalkommissar, ich habe seinen Namen nicht richtig verstanden.«

»Was wollte er?«

»Ich muss ins Karolinska«, antwortet er. »Sie brauchen meine Hilfe bei einem Jungen.«

»Wie spät ist es eigentlich?«

Sie sieht auf den Wecker und schließt die Augen. Er sieht, dass die Falten des Betttuchs auf ihren von Sommersprossen übersäten Schultern Streifen hinterlassen haben.

»Schlaf weiter, Sixan«, flüstert er.

Erik trägt seine Kleider in den Flur, macht Licht und zieht sich rasch an. Eine glänzende Stahlklinge blitzt hinter ihm auf. Erik dreht sich um und sieht, dass sein Sohn seine Schlittschuhe an die Klinke der Wohnungstür gehängt hat, damit er sie nicht vergisst. Obwohl Erik in Eile ist, geht er zur Kleiderkammer, zieht eine Kiste ins Licht und sucht die Kufenschoner heraus. Er schiebt sie über die scharfen Klingen, legt die Schlittschuhe anschließend auf den Teppich und verlässt die Wohnung.

Es ist drei Uhr nachts am Dienstag, den 8. Dezember, als sich Erik Maria Bark ins Auto setzt. Träge fällt Schnee aus ­einem schwarzen Himmel. Es herrscht völlige Windstille, und die schweren Flocken legen sich schläfrig auf die leere Straße. Er dreht den Schlüssel im Zündschloss, und Musik rollt heran wie sanfte Wellen: Miles Davis’ Kind of Blue.

Er fährt die kurze Strecke von der Luntmakargatan zur nördlichen Stadtgrenze durch die schlafende Stadt. Hinter dem fallenden Schnee kann man das Wasser der Brunnsviken als große, dunkle Öffnung erahnen. Langsam rollt er auf das Krankenhausgelände, zwischen dem unterbesetzten Astrid-Lindgren-Kinderkrankenhaus und der Entbindungsstation hindurch, an Strahlentherapie und Psychiatrie vorbei, parkt auf seinem angestammten Platz vor der neurochirurgischen Klinik und steigt aus dem Wagen. Das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich in den Fenstern des hohen Gebäudekomplexes. Auf dem Besucherparkplatz stehen nur vereinzelte Autos. In der Dunkelheit zwischen den Bäumen bewegen sich Amseln mit raschelnden Flügeln. Erik fällt auf, dass man die Autobahn um diese Uhrzeit nicht hört.

Er steckt seine Zugangskarte in den Schlitz, gibt den sechsziffrigen Code ein, betritt das Foyer, nimmt den Aufzug in den fünften Stock und geht den Flur hinab. Das Licht der Neonröhren an der Decke schimmert auf dem blauen PVC-Boden wie Eis in einem Straßengraben. Erst jetzt, nach dem plötzlichen Adrenalinstoß, spürt er, wie müde er in Wahrheit ist. Der Schlaf ist so erholsam gewesen, dass er immer noch einen glücklichen Nachgeschmack hinterlässt. Er passiert einen Operationssaal, geht an den Türen der riesigen Druckkammer vorbei, grüßt eine Krankenschwester und lässt in Gedanken nochmals Revue passieren, was ihm der Kriminalkommissar am Telefon erzählt hat: Ein Junge blutet, hat Schnittwunden am ganzen Körper, schwitzt, will nicht liegen bleiben, ist rastlos und sehr durstig. Man versucht ihn anzusprechen, aber sein Zustand verschlechtert sich rapide. Sein Bewusstsein schwindet, während das Herz gleichzeitig rast, und die behandelnde Ärztin Daniella Richards trifft die völlig richtige Entscheidung, der Kriminalpolizei jeden Zugang zu ihrem Patienten zu verwehren.

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