»Ja«, sagte Hornblower.
Es fiel ihm in diesem Augenblick sehr schwer, äußerlich die Fassung zu bewahren, obwohl ihm alsbald die ganze Tragweite des eben Gehörten klar wurde. Natürlich, der Reis saugte sofort jeden Tropfen Wasser auf, der in das Schiff eindrang, die Bilge blieb also auch bei leckem Schiff immer trocken, und doch bedeutete jeder eingedrungene Tropfen einen Verlust an Auftrieb.
»Ein Schuß Ihrer verfluchten Fregatte schlug in den Rumpf«, sagte der Kapitän, »ich nahm natürlich an, daß Sie den Schaden untersucht haben.«
»Gewiß«, log sich Hornblower tapfer aus der Verlegenheit.
Als das endlich überstanden war, holte er sich sofort Matthews zu einer Unterredung unter vier Augen. Der wurde todernst, als er hörte, worum es ging.
»Wo hat denn der Treffer eingeschlagen, Sir?« fragte er.
»Irgendwo an Backbord, meiner Schätzung nach ziemlich weit vorn.« Sie gingen beide hin und beugten suchend den Kopf über die Reling.
»Nichts zu sehen, Sir«, sagte Matthews. »Fieren Sie mich in einem Pahlstek über Bord, dann werde ich bald finden, was da los ist.«
Hornblower wollte schon einwilligen, dann aber besann er sich anders. »Nein, ich mache das lieber selbst«, sagte er.
Matthews und Carson legten ihm einen Pahlstek um den Leib und fierten ihn über Bord. Dort baumelte er nun an der Bordwand, und dicht unter ihm brodelte die See. Wenn das Schiff einsetzte, hob sie sich ihm entgegen, so daß er schon nach fünf Sekunden bis an die Hüften durchnäßt war, holte es rollend über, dann pendelte er von der Bordwand ab und schlug alsbald wieder mit Wucht dagegen. Unterdessen bewegten sich die Männer mit der Leine langsam achteraus und gaben ihm so Gelegenheit, die ganze Seite der Brigg abzusuchen, soweit sie sich über Wasser befand. Nirgends war ein Schußloch zu entdecken. Das sagte er Matthews, als sie ihn wieder binnenbords geholt hatten.
»Dann muß es unter der Wasserlinie sein«, sagte Matthews und drückte damit aus, was Hornblower selbst befürchtete.
»Sind Sie denn sicher, daß der Schuß getroffen hat, Sir?«
»Dumme Frage, natürlich!« schnauzte ihn Hornblower an.
Die ständige Aufregung und der Schlafmangel zerrten an seinen Nerven. Er mußte sich durch barsche Worte Luft machen, sonst wäre er glatt in Tränen ausgebrochen. Sein nächster Entschluß stand jedoch bereits fest.
»Wir wollen das Schiff über den anderen Bug beilegen und dann noch einmal nachsehen.«
Auf dem anderen Bug lag das Schiff auch nach der anderen Seite über, dann befand sich das Schußloch, wenn es überhaupt vorhanden war, nicht so tief unter Wasser. Die entgegengesetzte Neigung des Rumpfes bewirkte, daß er nun in seinem Pahlstek richtig an der Bordwand klebte. Sie fierten ihn so weit weg, daß seine Beine über den Muschelbewuchs scheuerten, den das Schiff zwischen Wind und Wasser trug. Dann gingen sie wieder Schritt für Schritt nach achtern und holten ihn dabei außen an der Bordwand entlang. Um ein Weniges hinter dem Fockmast entdeckte er endlich, was er suchte.
»Fest an Deck!« schrie er nach oben und wurde nur mit Gewalt der Verzweiflung Herr, die sich seiner bemächtigen wollte. Die Leine bewegte sich nicht mehr weiter nach achtern.
»Fier langsam weg! Noch zwei Fuß tiefer!«
Jetzt hing er bis an die Hüften im Wasser, und wenn die Brigg etwas tiefer tauchte, schlug es ihm wohl auch ganz über dem Kopf zusammen, als wäre plötzlich das Ende da. Hier war das Loch, es lag selbst auf diesem Bug noch zwei Fuß unter Wasser, eine stark aufgesplitterte, zerfetzte Öffnung, eher viereckig als rund und mit einem Durchmesser von etwa einem Fuß. Während das Wasser um Hornblower brodelte und rauschte, glaubte er sogar zu hören, wie es gurgelnd ins Schiff strömte, aber das mochte nur Einbildung sein.
Er rief die Männer an Deck an, daß sie ihn aufholen sollten, und als er glücklich wieder bei ihnen stand, lauschten die beiden gespannt auf seinen Bericht.
»Sie sagten, zwei Fuß unter Wasser, Sir?« sagte Matthews.
»Nun ja, das Schiff lag hart am Wind und lag wohl ziemlich weit über, als wir es trafen. Vielleicht hob sich auch der Bug gerade besonders hoch aus dem Wasser, als der Schuß fiel. Vor allem liegt aber das Schiff jetzt überhaupt schon viel tiefer im Wasser.«
Das war der springende Punkt. Was immer man unternahm, wie weit man das Schiff auch überlegte, das Schußloch blieb unter Wasser. Also mußte es unter allen Umständen gedichtet werden. Hornblower hatte nicht umsonst seine seemännischen Handbücher studiert, er wußte genau, wie das zu bewerkstelligen war.
»Wir müssen ein Segel füttern und über das Leck holen«, sagte er. Ein Segel »füttern« hieß etwas Ähnliches, wie eine große haarige Fußmatte daraus machen, indem man unzählige kurze Enden halb aufgedrehter Kardeele hindurchzog. Wenn das getan war, holte man das Segel mit Hilfe von Leinen, die unter dem Kiel hindurchführten, von außen genau vor das Leck. Dann preßte der Wasserdruck dieses dicke, haarige Polster von selbst so fest gegen das Loch, daß das weitere Eindringen von Wasser mindestens sehr erschwert war.
Die Franzosen erwiesen sich bei der Durchführung dieser Aufgabe als recht unwillige Helfer. Das Schiff gehörte ja nicht mehr ihnen, und ihre Reise endete so oder so in einem englischen Gefängnis. Was Wunder, wenn sie keinen Schwung zur Arbeit aufbrachten, obwohl es hier nicht minder um ihr eigenes Leben ging. So dauerte es denn eine ganze Weile, bis ein neues Bramsegel an Deck geholt war und eine eingeteilte Arbeitsgruppe damit begann, Hanfkardeele in kurze Enden zu zerschneiden, die durch das Segel gezogen und aufgedreht werden mußten.
Endlich konnte sich Hornblower in die Kajüte zurückziehen, um trockenes Zeug aufzutreiben. Dort unten kam es ihm vor, als ob die verschiedenen Schiffsgeräusche - jenes ständige Knacken und Ächzen eines hölzernen Schiffes auf See - lauter und aufdringlicher klängen als sonst. Die beigedrehte Brigg ritt ohne Fahrt wie eine Ente über die anrollenden Seen, dennoch krachten und knirschten alle Schotten und Verbände, als ob sie sich in einem schweren Sturm in Stücke segeln wollte. »Ach was«, sagte er sich vor, »das ist doch nur Einbildung, ein Schreckbild meiner überreizten Phantasie.« Er rieb sich gründlich trocken, bis er wieder etwas wie Wärme in den Gliedern fühlte, und fuhr in den Sonntagsanzug des Kapitäns.
Dann aber hielt er von neuem lauschend inne. Die Brigg krachte wirklich in allen Fugen, als ob sie auseinanderbrechen wollte.
Er ging wieder an Deck, um sich vom Stand der Arbeit an dem Lecksegel zu überzeugen. Noch war er keine zwei Minuten oben, da ließ einer der Franzosen plötzlich den Arm sinken, als er eben nach einem neuen Kardeel hinter sich langen wollte, und starrte eine Weile regungslos auf das Deck zu seinen Füßen. Er stocherte mit dem Finger in einer Decksnaht, dann sah er sich suchend nach Hornblower um und rief ihn herbei. Hornblower brauchte nicht zu verstehen, was der Mann sagte, seine Gesten sprachen deutlich genug. Die Decksnaht hatte sich ein wenig geöffnet, und das Pech quoll daraus hervor. Hornblower sah sich dieses seltsame Phänomen aufmerksam an, wußte es jedoch nicht zu erklären. Nun, die offene Stelle maß immerhin nur einen bis zwei Fuß, das ganze übrige Deck war dicht und in bester Ordnung. Oder war es etwa doch nicht so? Nachdem seine Aufmerksamkeit einmal geweckt war, suchte er weiter und fand richtig noch zwei andere Stellen, wo das Pech wie eine Wulst aus der Naht gequollen war. Er stand vor einem Rätsel.
Weder seine magere Erfahrung noch seine umfangreiche Lektüre lieferten ihm eine Erklärung für diesen geheimnisvollen Vorgang. Der französische Kapitän war an seine Seite getreten und starrte ebenfalls auf das Deck.
»Die Ladung!« sagte er. »Sie - sie wird größer und größer.«
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