»Jens liebte alles was silbern ist, haben sie so was?«, fragt Jens’ Vater, und ich schlage im Katalog die Seite mit der glänzenden Messingurne auf. Die beiden schauen sich an, nicken sich zu, und Herr Eisner sagt: »Exakt, genau die ist es.«
Ich finde die Messingurne auch sehr schön, aber leider wollen die wenigsten Kunden sie kaufen. Wegen ihrer glänzenden Oberfläche sagen die Leute im Ausstellungsraum immer, sie sähe aus wie ein Sportpokal. Und bevor die Eisners hinterher dann enttäuscht sind, gehe ich nach nebenan und hole die Urne, um sie ihnen zu zeigen.
Da steht sie nun auf dem Sideboard, die Eisners betrachten sie und sind beide der Meinung, dass es genau die richtige Urne für ihren Sohn ist. Herr Eisner sagt: »Dass da ein ganzer Mensch reinpasst …«
Seine Frau weint und fügt hinzu: »… ein ganzes Leben.«
»Wir haben keine Ahnung, warum Jens das gemacht hat«, sagt er, und das ist alles, was er über Jens sagen will. Er wischt die Gedanken an ihn mit einem Ruck, der durch seinen Körper geht, einfach fort und fragt: »Was ist denn jetzt an Formalitäten zu erledigen?«
Ich erkläre ihnen alles, wir besprechen den Termin, das mit dem Pfarrer und den Blumenschmuck. Eine Anzeige wollen die Eisners auf gar keinen Fall in der Zeitung haben, da würde bestimmt ab morgen genug in der Zeitung stehen, und sie wollen keinen Wirbel. »Die paar Leute, die das was angeht, die ruf ich selber an«, bestimmt Herr Eisner.
Mein Formular ist noch halb leer, und ich frage die einzelnen Positionen ab.
Schließlich komme ich an die Stelle, an der ich eintrage, welchen Beruf der Verstorbene hatte, und das ist die entscheidende Stelle.
»Warum müssen Sie das denn wissen?«, fragt Dieter Eisner und klingt aufgebracht.
»Also, wir wollen auf keinen Fall, dass da von der Arbeit jemand kommt«, sagt seine Frau, und ich merke, dass es da etwas gibt, was die beiden sehr aufregt.
Ich versuche sie zu beruhigen und erkläre ihnen, dass ich diese Angabe für das Standesamt benötige und sie sich keine Gedanken zu machen brauchen.
»Jens war gerade dabei, sich auf die Verwaltungsprüfung vorzubereiten. Er wäre Verwaltungsfachangestellter bei der Stadtverwaltung geworden. Aber bitte, von der Arbeit soll einer kommen.« Herr Eisner macht eine abwehrende Handbewegung und pocht mit dem Finger dann auf den Tisch.
»Warum soll denn da keiner kommen?«
Frau Eisner sagt nur: »Weil er sich da nicht wohl gefühlt hat.«
Mehr nicht. Das ist alles.
Ich will sie auch nicht quälen oder ausfragen, stattdessen erkläre ich ihnen, wie es weitergeht, dass sie jetzt zum Friedhof gehen sollten, um ein passendes Grab herauszusuchen. Ein paar Sachen sind noch zu besprechen, das machen wir, und dann lasse ich mir noch die Unterlagen unterschreiben, und wir vereinbaren, dass die Eisners am nächsten Tag wiederkommen, um mir ein Foto von Jens zu bringen, das wir vergrößern und bei der Trauerfeier vor der Urne aufstellen können.
Herr Eisner zückt die Brieftasche und will alles gleich bezahlen, ich winke ab und weise ihn darauf hin, dass wir die Endsumme erst wissen, wenn das Grab ausgesucht wurde. Er besteht aber darauf, wenigstens schon mal tausend Euro dazulassen, und ich schreibe ihm eine Quittung. Dann gehen sie.
Zehn Tage später. Inzwischen hat die Beisetzung von Jens stattgefunden.
Am Tag der Urnentrauerfeier stand die Messingurne vorne in der Trauerhalle des Friedhofs auf einer blumengeschmückten Säule.
Im Laufe des Morgens waren noch etliche Blumenspenden eingetroffen, deutlich mehr, als das Ehepaar Eisner erwartet hatte. So deutete sich für uns schon an, dass da mehr Leute kommen würden als ursprünglich angenommen.
Etwa zehn Leute standen etwas abseits in einer Gruppe und hatten einen Kranz dabei. Die Kranzschleife wies sie als Arbeitskollegen von der Stadtverwaltung aus. Das waren also die Leute, die Herr Eisner auf keinen Fall bei der Trauerfeier dabeihaben wollte.
Wir hatten keine entsprechenden Instruktionen, und deshalb bestand für uns keine Veranlassung, die Leute wegzuschicken. Ich blickte ein paarmal zu Herrn Eisner hinüber und bemerkte, dass er die Leute angeschaut und wahrgenommen hatte. Wenn er nichts unternahm, warum sollten wir uns einmischen?
Mich haben schon häufiger Leute gefragt, wie es sich denn der Bestatter anmaßen könne, über die Teilnahme an der Trauerfeier zu entscheiden.
Macht er ja gar nicht. Jeder Bestatter ist froh, wenn die Feierlichkeiten reibungslos und ohne größere Störung ablaufen. Schon deshalb wird es ihm immer fernliegen, in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Trauerfeier große Streitereien und Diskussionen auszulösen. Aber manchmal gibt es eben so Fälle, da möchte man bestimmte Leute nicht dabeihaben, weil von ihrer Teilnahme eben die Störung der Feierlichkeiten zu erwarten wäre.
In unserer eigenen Feierhalle habe ich sowieso das Hausrecht. In den Trauerhallen auf den Friedhöfen ist es so, dass wir notfalls stellvertretend für den Auftraggeber das Hausrecht wahrnehmen und erforderlichenfalls auch mit Polizeigewalt durchsetzen.
Anders als viele glauben, sind Trauerhallen keine öffentlichen Gebäude, sondern Zweckgebäude, die den Betroffenen gegen Bezahlung für einen bestimmten Zweck zur Verfügung gestellt werden. Und Trauerfeiern sind schon gar nicht öffentlich, als dass jeder das Recht hätte oder einen Anspruch darauf, da einfach teilzunehmen.
Normalerweise wird man aber selbst dann als Angehöriger kein Theater machen, wenn zur Trauerfeier auch unliebsame Gäste kommen. Das nimmt man hin, ärgert sich vielleicht darüber, dass »ausgerechnet der die Stirn hatte, da aufzutauchen«, macht aber weiter keinen Wirbel. Besser ist das so.
Am allerbesten ist es aber, wenn die Hinterbliebenen solche Erwartungen vorher ansprechen. Dann kann ein umsichtiger Bestatter schon viel tun, um die Konfliktparteien zu trennen, etwa durch geschickte Plazierung in der Trauerhalle oder das Reservieren von Sitzreihen.
Die Gäste hatten Platz genommen, und die Trauerfeier stand kurz vor dem Beginn, da stand einer der Männer aus dem Kreis der Arbeitskollegen von seinem Platz in der vordersten Reihe der linken Seite auf, knöpfte sich sein Jackett zu, zückte ein kleines weißes Zettelchen und ging zu Herrn Eisner. Dann stellte er sich steif vor diesem auf und sprach kurz mit ihm.
Aha, dachte ich, das wird wohl einer der Kollegen oder eventuell sogar einer der Vorgesetzten sein, der nun anfragt, ob er eine kurze Rede halten darf. Ich wusste ja, dass die Eisners ein gespanntes Verhältnis zur Arbeitsstätte ihres Sohnes hatten, und schaute neugierig hinüber. Was würde Herr Eisner tun?
Nun, ich hatte damit gerechnet, dass Eisner kurz und heftig den Kopf schüttelt, immerhin hatte er von der Stadtverwaltung überhaupt niemanden bei der Trauerfeier sehen wollen, und so konnte ich mir nicht vorstellen, dass er es gerne gesehen hätte, wenn einer von denen auch noch Teil der Trauerzeremonie geworden wäre. Was dann aber geschah, ja, damit hatte selbst ich nicht gerechnet. Herr Eisner stand ebenfalls auf, knöpfte sich in Seelenruhe einen Knopf seiner Anzugjacke zu, und dann, man konnte es kaum sehen, so schnell ging das, zuckte sein rechter Arm vor, und der Arbeitskollege des Verstorbenen bekam einen stumpfen Fausthieb auf die empfindliche Stelle zwischen Brust und Bauch und sackte innerhalb von Sekundenbruchteilen mit verdrehten Augen nach hinten, setzte sich auf den Hosenboden, kullerte dann fast wie in Zeitlupe auf die Seite und blieb kurz vor einem der Kränze regungslos liegen.
Die Trauergäste waren aufgesprungen, kaum einer hatte richtig mitbekommen, was passiert war, und alle tuschelten. Von halblinks hörte ich, da sei einer ohnmächtig geworden, von rechts hieß es, ein Betrunkener sei umgefallen, und von hinten fragte eine ältere Dame: »Ist der jetzt auch tot?«
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