«Ich weiß es nicht genau — warte — zwei Monate? Zweieinhalb?»
Mit einem Besserwissergrinsen sieht der Produzent wieder vom Computer auf. Ein Ausdruck der Milde liegt in seinem Brutalogesicht.
«Zweieinhalb Monate, ja, liebe Nadine.»
«Denise», sagt Denise.
«Aber der normale Zahlungsrhythmus liegt bei drei Monaten», beschwichtigt er sie, ohne sich zu korrigieren. Sein Blick schaltet zwischen ihr und den beiden Schlägern hin und her. Er spielt Amüsement, scheint sich dieses hartgekochte Geschäftsgetue mit Amüsierfaktor irgendwo abgeguckt zu haben, vielleicht bei Christopher Walken, vielleicht in einem Tarantinofilm.
«Das war aber anders abgesprochen», druckst Denise hervor.
«Mit wem willst du das denn abgesprochen haben?»
«Mit dir.»
«Das kann nicht sein, Denise.» Noch immer wandert sein Blick zwischen ihr und den Schlägern hin und her, noch immer bemüht er sich um dieses gespielte Amüsement in der Stimme, das süffisante Grinsen, wie ein Vater, der seine trotzige Tochter gerade besonders niedlich findet und sie weiter ins Leere laufen lässt.
«Und ob das sein kann. Sonst hätte ich es ja nicht gemacht. Ich weiß es doch noch, ich bin doch nicht doof.» Denise spürt eine Wut in sich hochsteigen. Ihre Stimme ist jetzt fest.
«Da hast du wohl was missverstanden, Denise», sagt der Produzent und lehnt sich zurück in seinen verschlissenen Schreibtischstuhl, als sei die Sache für ihn jetzt beendet. Schweigen. Beide Parteien warten ab. Einer der Schlägerdarsteller zieht die Nase hoch. Denise hält dem Blick und dem Schweigen des Produzenten stand. Er lenkt ein.
«Es sind ja nur noch zwei Wochen, ungefähr. Da wollen wir doch die Vorgänge hier nicht durcheinanderbringen.»
«Blödsinn. Bezahl mich einfach. Jetzt sofort. In bar.»
Die beiden Schlägerdarsteller regen sich, ihre Polyesterhemden rascheln leise. Dann wieder Stille.
«So stellst du dir das also vor. Du kommst hier vorbei und stellst Forderungen.» Das Süffisante ist einer genervten Arroganz gewichen.
«Natürlich. Auch wenn es Porno ist, ist es noch immer eine normale Dienstleistung, und ich muss normal bezahlt werden.»
«Natürlich. Aber ich habe nichts hier, Denise.» Er spielt noch immer großtuerisch auf, jetzt in Richtung Michael Douglas, und Denise fragt sich, ob nicht irgendwo eine Kamera mitläuft.
«Dann kann man wohl nichts machen», sagt sie und drückt ihre Zigarette aus. «Aber ich wollte einmal dran erinnern. Daran, dass ich warte.»
Sie will aufstehen.
«Oder doch, warte.» Der Produzent beugt sich hinab, öffnet eine Schublade. «Ich habe hier noch … fünfhundert Euro.»
«Das ist zu wenig.»
«Es ist eine Anzahlung. Willst du sie?» Der Ton hat sich erneut gewandelt. Etwas Obszönes, Lockendes hat sich hineingemischt. Macht soll ausgespielt werden.
«Das ist zu wenig. Aber immerhin.» Sie will das Geld nehmen.
«Denise», sagt der Produzent, und es macht Denise rasend, dass er dauernd ihren Namen ausspricht, «Denise, ich glaube, ich könnte auch tausend zusammenkriegen, jetzt gleich auf die Hand. Aber wir müssen dafür auch etwas zurückbekommen. Verstehst du?»
Einer der Darsteller ist aufgestanden und nähert sich Denise von hinten. Sie blickt sich um und versteht.
«Geschäft ist Geschäft», sagt der Produzent. «Und du bist doch zufrieden mit deinen Clips, oder? Wir sind jedenfalls sehr zufrieden.»
Der Darsteller steht hinter ihr. Denise zündet sich eine zweite Zigarette an, zieht und lässt sie dann im Aschenbecher liegen. Sie setzt ein Lächeln auf.
Okay. Wenn sie es macht, wird sie es Anton geben. Ganz klar. Die Hälfte zumindest. Geld sollte doch einen Nutzen haben, oder? Geld sollte hilfreich sein und nicht nur zerstörerisch. Sie legt den Kopf schräg und nickt und denkt, ich kann jetzt etwas Gutes tun. Für mich. Und für Anton.
Dann greift sie nach hinten und beginnt, im Schritt des Darstellers herumzureiben. Sie weiß noch nicht, ob sie ihm den Penis abbeißen oder blasen wird. Doch, sie weiß es. Mit der anderen, noch freien Hand nimmt sie das Geld entgegen und riecht daran. Der Produzent lehnt sich zurück und genießt. Denise öffnet den Hosenstall des Darstellers und spielt Entzücken. Der andere Darsteller filmt ihr in den Ausschnitt. Seine Hose öffnet er selbst.
*
Nur ein wenig Beistand
Etwas Herz und etwas Geld
Bist du kurz mein Heiland
Rettest meine Welt
Ein gerader Beat nach vorne, darüber fröhliche Dur-Akkorde mit dem Synthesizer, eine drollige Basslinie darunter, alles im Wave-Bossa-nova-Style, mehr nicht. Und die kleinen Texte, die Anton auf Post-it-Zettel schreibt, einen nach dem anderen. Henning lässt ihn gewähren und wird ihm, so hat er versprochen, bei der Produktion helfen. Denn es war ja Hennings Idee. Vielleicht eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, eine Beschäftigungstherapie. Henning sitzt derweil in seinem Büro und arbeitet an Entwürfen weiter, Gebäudeskizzen, Grundrissen. Hennig ist Architekt. Zwar weiß man von keinem einzigen Haus, das er je gebaut hätte, aber das ist bei Architekten oft so. Sie machen etwas, haben teil an irgendwelchen Projekten und verdienen gut dabei. Anton soll es egal sein. Er schreibt, als wäre er wieder sechzehn, als probten sie wieder in Hennings Musikkeller, wie damals mit der Schülerband. Absurd, natürlich, aber Hennings Ideen haben ihn früher immer gut drauf gebracht, und seine Laune hat sich auch schon aufgehellt. Nur den Humor nicht verlieren, denkt er, witzig bleiben. Indem er über seine Situation schreibt, kann er sie bannen und kurz vergessen.
Schnell gestrauchelt und am Boden
Alles dreckig hier und nass
Sang ich früher Liebesoden
Sing ich heute puren Hass
So nicht. Welcher Hass denn bitte? Er zerknüllt den Zettel und wirft ihn in den Papierkorb zu den anderen. Der Beat geht weiter, in Endlosschlaufe. Und immer wavige Synthi-Klänge. Anton singt dazu in seinem Halbfalsett, manchmal Silben, manchmal Zeilen.
Hilfe! So rufe ich heute
Hilfe! Wo seid ihr, Leute
Hilfe! Und wär’s zum Schein
Fällt euch denn keine Hilfe! ein
Schon besser. Das könnte es sein. Es soll ja kein Indie-Hit, kein Überraschungscoup im Internet werden, es soll einfach die Begleitmusik zum, nun ja: Betteln sein. Er geht zum Mikrophon und drückt auf Aufnahme, wie Henning es ihm gezeigt hat. Die Melodie kommt aus ihm wie von selbst. Klappt, hat Witz und Luft. Seine Singstimme ist etwas tiefer geworden. Wo früher das punkige Falsett einer aufgesetzten Hysterie das Wort schrie, ist seine Stimme nun ruhiger, seidener, modulierbarer. Das viele Rauchen und Trinken hat ihm ein gewisses Timbre verschafft, das er jetzt mühelos einsetzen kann. Es wird, denkt Anton, es wird schon. Einfach kommen lassen, nur nichts erzwingen.
Anton fläzt sich zurück aufs Sofa und schreibt weiter. Denise ist fast schon wieder vergessen. Sie hat ihm eine Nachricht geschickt, dass sie sich doch nicht treffen kann, etwas sei dazwischengekommen, die Tochter wieder, ein Termin. Ausreden, alles Ausreden. Anton war zuerst enttäuscht, nahm es dann aber als normalen Gang der Dinge hin. Was soll es auch bringen, zwei Freaks zusammenzuzwingen, die nichts gemeinsam haben?
Nun meidet er den Supermarkt, da er eh noch etwas Geld vom Monatsanfang übrig hat, und sammelt nur die Flaschen, die ganz offensichtlich seinen Weg säumen. In den Mülleimern zu kramen, hat er immer abgelehnt. Er hat es nicht in allen Fällen vermeiden können, aber abgelehnt hat er es immer.
Ja, denkt er und schreibt, es wird zwar immer schlimmer, aber schlimmer geht es immer.
*
Sie schrubbt sich die Zähne, bis das Zahnfleisch blutet, spuckt rote Muster ins dreckige Becken. Reibt sich noch mal ab mit dem härtesten Frottee, sprüht den ganzen Körper mit Deodorant ein. Sie wartet auf Marc, und natürlich ist er wieder zu spät, und sie weiß nicht, was sie mit ihrer Tochter anfangen soll, weil alles, was sie anfinge, durch das Eintreffen des Vaters sofort wieder beendet werden könnte. Also kann sie es auch gleich lassen.
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