«Ebenfalls? Möchte dieser Kerl denn …?«
«Ja, er möchte.«
«Na, das wird er sich noch überlegen, wenn er hört, daß du von einem anderen ein Kind kriegst.«
«Gut, man wird sehen, ob ihn das dazu bringt, seine Meinung zu ändern.«
«Das wird er, glaub mir.«
«Was auch immer geschieht«, sagte Lana,»für mich wäre es wichtig, daß du mir sagst, ob du das Kind annimmst als dein Kind und nicht nur als meines, für das du halt ein bißchen Geld hergibst.«
«Mein Kind«, sagte er bestimmt.»Und mit aller Fürsorge, die ich habe, und aller Zeit, die ich mir nehme. Und ich nehme sie mir.«
«Was kein Grund ist, das Geld zu vergessen«, mahnte Lana.
«Natürlich. Geld und Zeit, und das alles, ganz gleich, ob du dich für oder gegen mich entscheidest.«
«Nichts anderes habe ich erwartet.«
«Wirklich? Ich hatte den Eindruck …«
«Ich bemühe mich gerade, soviel Klarheiten wie möglich herzustellen. Ein paar Dinge abzuhaken.«
«Ja. Bring deine Liste in Ordnung. Die ganze Liste«, riet er.
«Mach ich. Vorher muß ich nur noch ein paar Patienten zusammenflicken. Das ist wesentlich einfacher.«
Sie schickte ihm einen Gruß und legte auf.
Während Auden das Telefon weglegte, dachte er mit einemmal, daß an allem seine eigene Erfindung, das G 7, schuld war. Nämlich eingedenk der erotisierenden Wirkung, die in der Paste möglicherweise steckte.
Nun, worin auch immer die Wahrheit bestand, man konnte davon ausgehen, daß, wenn sich herumsprach, daß jetzt auch die Freundin des Begründers und Betreibers des Kosmetikherstellers KAI ein Kind bekam, der Hype um die G 7-Creme hysterische Züge annehmen würde.
Am nächsten Tag landete er in Honolulu, um den dortigen Laden zu besuchen, in dem die KAI-Produkte für den gesamten polynesischen Raum vertrieben wurden. Am Abend traf er die Besitzerin und ging mit ihr essen. Er mochte die Dame, eine alte Französin mit einem Wurzelwerk von Gesichtshaut, silbergrauem Haar und stechendblauen Augen — sehr elegant, sehr dünn, sehr gebildet. Man nannte sie» die Samuel Beckett unter den Drogistinnen«.
«Wo sind Sie?«fragte die Französin, während sie ein Salatblatt mit Gabel und Messer zu einem mundgroßen, kuvertartigen Stück faltete.
«Wie? Was meinen Sie?«
«Wo Sie mit Ihren Gedanken sind, lieber Chen? Jedenfalls nicht bei mir.«
«Verzeihen Sie.«
«Verliebt?«fragte sie.
«Sorgen«, antwortete er.
«Ist das nicht das gleiche?«
«Na, es gibt wohl verschiedene Arten von Sorgen«, meinte Auden.
«Da haben Sie schon recht«, sagte die alte Dame.»Übrigens, wenn wir gerade dabei sind. Ich muß Sie warnen.«
«Vor wem?«
«Vor Ihren Konkurrenten. Den großen Namen in der Schönheitsindustrie. Sie gelten bei den Konzernen langsam als ein Terrorist.«
«Ich habe keine Konkurrenten. Wer wollte mit mir konkurrieren? Ich gefährde niemandes Markt. KAI spielt in seiner eigenen Liga, oder?«
«Das stimmt und stimmt nicht. Man wird Ihnen nicht ewig zuschauen, wie Sie Ihr Spiel spielen. Man wird Sie zwingen, Ihr Wissen zu teilen. Man wird Sie zwingen, Ihren Gewinn zu erhöhen. Ihre Bescheidenheit aufzugeben. Und die ganze Welt zu beliefern. Nicht nur ein paar kleine Läden, die von kleinen alten Damen geführt werden.«
Die Französin behauptete, in G 7 stecke das Potential einer Revolution. Das Gegenmodell zur Antibabypille. Und damit die Freiheit, nicht nur nicht schwanger zu werden, wenn man nicht wolle, sondern eben auch das Gegenteil zu erreichen.
«Das ist ein Gerücht«, sagte Chen.
«Das Gerücht verfestigt sich. Wenn die Antibabypille die Frau des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt hat, dann vielleicht G 7 die Frau des einundzwanzigsten.«
Chen lachte.»Sie übertreiben.«
«Mag sein. Aber gar keine Frage, daß man in den Kosmetiklabors der Big Players sehr fleißig dabei ist, Ihre Creme zu analysieren. Daß man dort versucht, etwas Ähnliches herzustellen. Scheint jedoch nicht ganz einfach zu sein. Trotz der vielen Technik. Die kommen nicht drauf, was da alles drinsteckt. Jedenfalls ist von deren eigenen Cremes noch niemand schwanger geworden. Ganz abgesehen von der juristischen Seite, dem Patentrecht. Ich denke, Monsieur Chen, Sie würden einige Vorstandsdirektoren sehr glücklich machen, wenn Sie deren großzügige Angebote annähmen.«
«Mir genügt völlig, einige Frauen glücklich zu machen.«
Sie zwinkerte ihn an.»So elitär!«
«Elitär?«
«Sie helfen bloß ein paar nicht mehr ganz jungen, nicht ganz armen Damen, deren egoistische Kinderwünsche zu erfüllen. Anstatt G 7 der gesamten Welt zu schenken. Allen Frauen.«
«Ach was! Das ist wie mit der Kunst«, sagte Chen.»Die ist auch nur für wenige. Ist sie darum verbrecherisch?«
«Kunst kann man ins Museum hängen«, erwiderte die Französin.
«Und trotzdem gehen nicht alle Menschen dorthin. Nein, meine liebe Freundin, ich bleibe bei meinem Weg. Ließe ich zu, daß KAI–Cremes zum Massenprodukt werden, sie würden ihren Zauber verlieren. Magie ist immer auch eine Frage der Menge. Das ist der Grund, daß es so wenige Wunder gibt. Man kann nicht alle Leute heilen. Außerdem: Nicht alle Reichen leisten sich KAI, und nicht alle, die sich KAI leisten, sind reich.«
«Dennoch, Sie müssen aufpassen, Monsieur Chen«, wiederholte die Französin. Und meinte, daß die Leute in der Kosmetikindustrie kaum zimperlicher seien als die Herren Waffenproduzenten oder die Haifische in den Pharmakonzernen. Und wenn man sich nur vorstelle, G 7 halte, was es verspreche …
«Es verspricht nichts anderes als eine Belebung der Gesichtshaut.«
« Belebung ist das richtige Wort. G 7 verspricht Leben. Gleich, ob Sie das beabsichtigt hatten oder nicht.«
«Der Effekt, wenn er denn besteht«, sagte Chen, der ja immerhin soeben erfahren hatte, Vater zu werden,»ist in keiner Weise gewollt. Purer Zufall.«
«Oh mon Dieu!«tönte die noble Greisin.»Das meiste, was entdeckt wird, ob Cremes oder Landmassen, ist Zufällen zu verdanken. Auch wenn die Zufälle vielleicht ein System verraten. Jedenfalls wird man Sie nicht in Ruhe lassen.«
Chen grinste. Aber er erkannte die ernste Sorge im Gesicht der alten Frau.
Sie aßen zu Ende, dann bestellte man zwei Taxis.
Als sie Auden zum Abschied die Hand reichte, fragte die Französin:»Ich weiß gar nicht, ob Sie Familie haben, Chen. Ich meine, abgesehen von Ihren Eltern.«
«Nein, keine Familie.«
«Das ist gut so.«
«Warum?«
«Sollte jemand auf die Idee kommen, Ihnen zu drohen, ist immer die Frage, womit er Ihnen droht. Ohne Frau und ohne Kind ist man da sehr viel besser dran. Oder was meinen Sie?«
«Ganz sicher«, sagte Chen und küßte den Handrücken der alten Dame. Er roch nach Holz und Waldboden und Pilzen und dem Wechsel der Jahreszeiten. Er wäre gerne noch etwas länger mit seiner Nase über diesem Handrücken verblieben. Richtete sich freilich auf und sagte:»Adieu!«
Später, in seinem Hotelbett liegend, überlegte er, wie absolut richtig das war, was die Französin ihm erklärt hatte, wieviel unabhängiger und mutiger man in seinen Entscheidungen sein konnte, wenn man durch selbige nur sich selbst gefährdete. Indem er sich aber demnächst — möglicherweise — zu einem Kind bekannte, welches Lana in ihrem Körper trug, würde er sich genau dieser Freiheit berauben.
Fragte sich, ob denn ernsthaft eine Gefahr bestand. Hier ging es schließlich nicht um den Irak, nicht um Bombencodes oder um die nationale Sicherheit. Auch nicht um den Weltmarkt von Kokain.
G 7 war keine Droge.
Wirklich nicht?
Er dachte nach. Dachte an die freundlichen Angebote, die ihm bislang unterbreitet worden waren. Wie er sein ihm allein gehörendes Unternehmen in eine» unabhängige Tochter «eines der großen Kosmetikhersteller verwandeln oder sich an einem Joint-venture beteiligen könnte.
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