Er fragte sie, ob es an ihm liege, ob er etwas falsch mache.
Sie schüttelte den Kopf.
Beeilte sich aber, ihm zu versichern, wie wenig sie sich nach einer Gesprächstherapie sehne. Sonst wäre sie nämlich mit ihm an der Bar sitzen geblieben und hätte ihn gefragt, ob er ihr guter Freund werden wolle.»Willst du das?«
«Nein«, sagte er.»Aber man muß auch über manche Sachen sprechen können.«
«Über manche schon«, gab sie zur Antwort und küßte seine glatte warme Brust, die unter der Berührung ihrer Lippen eine hübsche Gänsehaut gebar.
Er mußte sich entscheiden. Und entschied sich. Und zwar eingedenk jenes banalen, aber nicht ganz unrichtigen Spruchs, im Leben werde sowieso zuviel geredet.
Lana und Auden wurden ein Paar. Natürlich war es nicht einfach, sich zu sehen, sie als Ärztin in Tainan, er auf seinen Weltreisen und als Oberhexenmeister in seiner Produktionsstätte nahe Taipeh. Aber sobald sie dann zusammenkamen, wurden es gute Stunden. Nicht nur Stunden, die vom Sex bestimmt waren und vom damit verbundenen Geruch lieblicher Verwesung, sondern auch Stunden auf Parkbänken mit dem damit verbundenen Geruch frisch geschälten Obstes. Nicht zuletzt zählten die Momente, da sie sich unterhielten. Denn natürlich wurde auch gesprochen. Nur nicht über die Frage, wieso Lana sich nicht vollständig auszog.
Übrigens gab es nie Beschwerden, wenn einer von ihnen mal zu spät kam. Niemand notierte, wer häufiger zum Telefon griff. Keiner zählte die eigenen Komplimente oder wie oft man selbst gelächelt hatte und der andere nicht. Gleichwohl dachten sie über viele Dinge recht verschieden. Der Wirtschaftsmann Auden stand sehr viel weiter links als die Hirnspezialistin Lana. Und hätten die beiden eine gemeinsame Wohnung einrichten müssen, es wäre unmöglich gewesen. Aber derartiges kam ohnehin nicht in Frage. Es war Lanas Apartment, in dem man die Nächte und die darauffolgenden Tagesanfänge verbrachte, und es war Auden, der den eher üppigen Einrichtungsstil seiner Geliebten geflissentlich übersah. Dies war Lanas Welt, und er wollte darin kein kritischer Geist sein, sondern ein guter Gast.
Nur in einem trafen sie sich absolut punktgenau. Der Abend, da Auden aufhörte, auf die Verhütung zu achten, fügte sich puzzleartig in eine diesbezügliche Sorglosigkeit ihrerseits.
Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit? Wollte Lana Mutter werden? Und Auden Vater?
Warum nicht, dachte er. Er war im richtigen Alter, und schließlich gehörte derartiges zum Leben. Wenn nicht mit dieser Frau, mit welcher dann? Daß sie keine Asiatin war, schien bei alldem keine Rolle zu spielen. Vorerst.
So ging es Monate, ohne daß Lana schwanger wurde. Was ja auch kein definiertes Ziel darstellte. Dennoch paßte es ganz gut, daß genau in dieser Zeit das Gerücht aufkam, eine von Audens Gesichtscremes — eine blaßgrüne, transparente Paste, die aussah wie eingedicktes Bitter Lemon und die Bezeichnung KAI- G 7© trug — , diese Paste hätte bei mehreren Frauen angeblich eine Schwangerschaft begünstigt.
Meine Güte! mochte man sagen. Und zwar in vielerlei Hinsicht.
So existierte etwa bezüglich des Namens das Mißverständnis, Auden würde hier auf die Bezeichnung der Gruppe der größten Industrienationen anspielen, als diese ohne Rußland noch nicht als G8, sondern als G7 getitelt wurden. Man hielt das für eine antirussische Geste des in Amerika aufgewachsenen Taiwaners. In Wirklichkeit aber handelte es sich um eine Anspielung auf W. H. Audens und Christopher Isherwoods Theaterstück The Ascent of F 6, ein politisches Bergsteigerdrama, das eher antiimperialistisch als antirussisch zu nennen war. F6 imitierte K2, und G7 wiederum entsprach einfach der alphabetischen und zahlenmäßigen Steigerung von F6 um jeweils eine Stufe. — Berge also! Mit Kosmetik hatte das gar nichts zu tun, aber Chen schmuggelte immer wieder Hinweise auf die Audensche Dichtkunst in seine Produkte ein. Und dies allein, um seinen Eltern — die weiterhin drüben in den Staaten lebten — das Vergnügen des Erkennens zu bereiten. Ob hingegen sonst noch jemand den Hinweis verstand oder einzig Mißverständnisse die Runde machten, war ihm gleich.
Auden Chen trug nie etwas dazu bei, Mißverständnisse aufzuklären. Und unterließ auch jeglichen Kommentar, als nun ruchbar wurde, mehrere Benutzerinnen von G 7, deren Kinderwunsch angeblich lange Zeit unerfüllt geblieben war, seien nach der monatelangen Benutzung der betreffenden Creme schwanger geworden. Einige von ihnen in einem durchaus als fortgeschritten zu nennenden Alter. Was zu einer Faltencreme ja auch paßte.
Klar, die Sache mit den Schwangerschaften galt vielen als Blödsinn. Andererseits war schwer zu sagen, ob nicht eine bestimmte Ingredienz von G 7 einen» Auslöser «besaß, der zusammen mit dem Glauben an versetzbare Berge … Egal, das Gerücht war da und tat seine Wirkung, sosehr die Konkurrenz von einer lancierten Lüge sprach und davon, daß Auden Chen vor keiner Geschmacklosigkeit haltmache. Er hingegen sagte gar nichts dazu und sperrte sich gegen die Bemühungen seiner Mitarbeiter und Abnehmer, die Produktion von G 7 zu erhöhen. Er entschied:»Wir machen weiter wie bisher.«
Aber das stimmte nicht ganz. Zumindest nicht in persönlicher Hinsicht. Denn Auden Chen ließ sich von dem kolportierten Wunder inspirieren und füllte eine kleine Menge G 7 in ein spezielles Döschen, das von seiner Großmutter stammte und welches er nun Lana schenkte.
War es ihm denn so wichtig, Vater zu werden?
Oder war es nicht eigentlich so, daß er dieses Kind allein darum wollte, um sich solcherart eines Teils von Lana zu versichern? Sollte er Lana je verlieren, würde da noch immer das Kind sein. Und mit Verlieren meinte er jede erdenkliche Möglichkeit, die sich ergab. Ein Kind erschien ihm als Garantie.
Ob nun Lana einen solchen Antrieb ahnte, sollte so unklar bleiben wie die Frage, ob sie überhaupt von dem Gerücht um die G 7-Creme gehört hatte. In jedem Fall gefiel ihr das Döschen aus rotem Schnitzlack mit der intensiven Ornamentik. Es war soviel verspielter als die strengen Holzkisten der KAI-Serie. Lana mochte diese alten Dinger, die alle das Wort» Ming «zu morsen schienen. Sie freute sich über das Geschenk und versprach, die Creme zu nutzen.
«Nicht, daß du das nötig hast«, beeilte er sich zu erklären eingedenk jener ersten Bemerkung.»Deine Haut ist wunderbar.«
«Wer weiß schon, was man alles nötig hat?«meinte sie.»Und schaden kann es ja nicht.«
Die Äußerung, etwas könne nicht schaden, paßte nun gar nicht zur Medizinerin Lana. Aber sie sagte es, tauchte ihren Finger vorsichtig in die gallertige Masse und trug sie rechts und links auf ihre Wangenknochen auf. Gleich einer durchsichtigen Kriegsbemalung, die man erst bemerkte, wenn man schon zu nahe war.
Worüber nun jenes Gerücht bezüglich der empfängnisfördernden Kraft von G7 gar keine Auskunft gab, war die Frage, von wem jeweils all diese Frauen schwanger geworden waren. Denn diese Möglichkeit bestand ja gleichfalls, daß nämlich G 7 simplerweise den sexuellen Drang förderte, somit mehr ein Aphrodisiakum denn ein Eisprungauslöser war. Gerade auf diese Weise wäre das Phänomen überraschender Fruchtbarkeit gut zu erklären gewesen.
Genau eine solche Überlegung stellte Auden Chen Wochen später an. Erschrocken darüber, sich selbst eine Grube gegraben zu haben.
Lana hatte ihn, während er nach Brisbane unterwegs war, auf seinem Handy erreicht und in einem klaren, sachlichen Ton erklärt, jemanden kennengelernt zu haben.
«Wie soll ich das verstehen?«fragte er, obwohl er es ja wußte.
«Ich habe mit ihm geschlafen.«
«Liebst du ihn denn?«
«Ja.«
«Mehr als mich?«
«Gleich viel, aber anders.«
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