Das ist leer.
Warum läufst du mit einem leeren Spray herum?
Ich hatte keine Zeit, ein neues zu besorgen!
Flora wartete, bis sein Geschrei vollständig verklungen war, und sagte dann: Tut mir leid. Sie wartete geduldig, bis er bereit war, weiterzugehen. Eine andere Lösung gab es ohnehin nicht.
Schließlich kamen sie tatsächlich in ein Dorf und Flora sprach eine alte Frau an, die in ihrem Garten heruntergefallene Äpfel einsammelte, und bat um ein Glas Wasser für ihren Mann. Die Alte sammelte die guten Äpfel in einem Weidenkorb, die, die schon verrottete Stellen hatten, warf sie in einen Eimer. Flora fragte, ob sie sich von den schlechten welche nehmen könnten.
Die alte Frau sagte, sie könnten sich von den guten welche nehmen.
Woraufhin Flora einen guten aus dem Korb für Darius Kopp herausnahm und einen mit einer fauligen Stelle aus dem Eimer für sich selbst.
Fassungslos trug Darius Kopp den guten Apfel eine ganze Weile mit sich herum, bevor er abbiss. Ein Geschmack zwischen sauer und bitter. Kopp warf ihn wütend in die Büsche. Ob Flora es bemerkte oder nicht, wissen wir nicht. Sie fand mühelos zu Gabys Haus zurück, und es gab wieder Kartoffeln mit etwas Zwiebeln. Danach legten sie sich — Kopp immer noch hungrig — in Gabys altes Bett. Ich fühlte mich wie ein zu früh zu Bett gebrachtes Kind. Vor Widerwillen und Ratlosigkeit gelähmt. Gerne hätte er etwas gesagt, wie es ihm gehe, dass er das hier alles andere als möge. Aber als wäre ich mit einem Netz gefesselt.
Als sie am nächsten Tag wieder losging, sagte Kopp: Ich kann nicht.
Gut, sagte sie, dann bleib hier.
Kann ich nicht, sagte Kopp. Ich muss mich um einen Job kümmern. Gut, sagte sie. Dann kümmere dich.
Kopp sah ihr fassungslos hinterher. Wie leicht sie mich hierlässt. Und vor allem: Sie lief genauso, genau so, wie am Tag zuvor: dieselben Kleider, dasselbe Tempo. Wenn jemand an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vollkommen verschieden ist. Und wenn er exakt gleich ist. In beiden Fällen hast du zu Recht das Gefühl: etwas stimmt nicht.
Kopp fuhr in die Stadt, aber dann saß er nur gelähmt vor dem Computer, tagelang, ohne auch nur einen Handschlag für die Jobsuche tun zu können. Als er es nicht mehr aushielt, kaufte er Fleisch ein und fuhr wieder hinaus in den Wald zu Flora. So ging es wochenlang. Kopp brachte Fleisch mit und briet es, Flora aß mit oder auch nicht, sie gingen ins Bett, hatten Sex oder nicht, eher nicht. Früher hast du mehr mitgemacht. Tut mir leid. Sie ging in den Wald, Kopp ging mit oder ging nicht mit — in beiden Fällen bereute er es. Er fuhr wieder in die Stadt, brachte nichts zustande, fuhr wieder zu Flora in den Wald.
Was soll nur werden? fragte Darius Kopp.
Da war es schon lange Oktober. Er war inzwischen so weit gekommen, mehr Essen mitzubringen, als während seines Aufenthalts verbraucht werden würde. Er füllte ihre Vorräte auf, und sie nahm auch ein wenig davon, aber nie so viel, dass es für einen erwachsenen Menschen gereicht haben konnte.
Was isst du eigentlich, wenn ich nicht hier bin? Wenn du nicht hier bist, reicht das, was ich finde. Abgeerntete Felder, Wegbäume, Beerensträucher. Ich sehe ein, dass das eine Weile ganz amüsant ist. Wir spielen Survival und süße Erinnerung. Aber das hier ist nicht dasselbe, und nicht nur, weil du keine 18 mehr bist und es nicht Sommer ist. Ist mir egal, ob es ein Pilzjahr ist oder nicht. Irgendwann wird es zu kalt werden für alles.
Sie, als hätte sie es nicht gehört.
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[Datei: internet]
Aus dem Internet Patient:
Sehr geehrter Herr Doktor,
ich versuche, mich kurzzufassen. Vor 8 Monaten war ich einer der kontrolliertesten, emotional stabilsten Menschen (männlich, 26) in meinem Umfeld, nach einer Nacht aber, in der ich viel Alkohol konsumiert hatte, wachte ich am nächsten Morgen mit einer Panikattacke auf (Angst, Herzrasen, Krankenhaus, alle Befunde negativ), seitdem hat sich mein Leben verändert. Ich finde nicht mehr zu mir selbst, zweifle an ALLEM, an mir selbst, in meinem Kopf ist ein ständiger, seltsamer Schmerz, meine Muskeln zittern, merkwürdige Empfindungen in den Ohren, Schlaflosigkeit, ungewollt denke ich häufig an den Tod. Ich konsumiere keine Drogen. Kindheitstraumata hatte ich zur Genüge. Nach der ersten Panikattacke hatte ich noch eine, doch nachdem ich es mir bewusst gemacht hatte, worum es sich handelt, hatte ich seit einigen Monaten keine mehr. Aber ich spüre ununterbrochen, dass ich mich, obwohl ich ruhig erscheine, innerlich fürchte, Depersonalisation, Phobien, Ängste. Ich funktioniere, arbeite anständig, aber ich leide und das bremst mich doch stark (Karriere).
Mit freundlichen Grüßen László
Arzt:
Verstehe. Aber was ist die Frage? Gruß: XY
Hattest du einen schlechten Tag, mein Süßer? Kann auch dem Profi passieren.
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[Datei: Andre_Ressentiment]
Christophe André: Die Launen der Seele Wut = Ressentiment.
Merke: Es gibt kein nützliches Ressentiment.
Das Ressentiment nimmt jenen Platz ein, der der Traurigkeit gehören müsste. Statt Traurigkeit: Wut. Das ist kein Gewinn und kein Fortschritt. Im Gegenteil. Ein Mensch sollte fähig sein, traurig zu sein. Traurig zu sein = sich zu konfrontieren. Wütend zu werden heißt, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Es sieht so aus, als wäre es Konfrontationsbereitschaft, aber es ist das Gegenteil. Aggressivität geht der Konfrontation aus dem Weg.
Traurig bin ich geworden, aber müde bin ich nicht — das muss das Ziel sein.
Nur, dass ich ziemlich häufig auch müde bin.
Dann ruhe dich aus. Ruhe dich aus, und dann mach weiter.
Du kannst nichts anderes tun.
Laut Gruen ist das der» Kern«: Dieser Kampf darum, sich nicht geschlagen zu geben. Müdigkeit, Traurigkeit, Enttäuschungen ertragen zu lernen. Der Kern ist: nicht zu verzweifeln. Für dich ist eins wichtig. Dass du dir merkst: du warst besser, als du statt der Wut den Schmerz wähltest. Ein Leben ohne Ressentiments.
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[Datei: örültek]
Noch einmal: die mentale Hygiene der Bevölkerung.
Die offensichtlichen Fälle und die verborgenen. Deren Verhalten pathologisch erscheint, und die, deren Verhalten als normal gilt. Die Frau, die im Park auf der Bank sitzt und wirres Zeug redet. Der Penner mit dem Bettelbecher in der Hand, der üble Bemerkungen über Vorübergehende macht.
Die Kassiererin in der Drogerie, die sich an den Kopf fasst und beinahe verzweifelt,»Auch das noch!«, weil jemand seinen Abholschein für die Fotos verloren hat und sie nun seinen Ausweis kontrollieren muss.
Noch einmal: die Regaleinräumerin mit dem zertrunkenen Gesicht, die einen nicht anspricht, sondern an knurrt, wenn man beiseitegehen soll.
Überhaupt, die Leute, die nicht mehr reden können. Die Skala der Verstummung.
Und, auf der anderen Seite (es ist dasselbe, nur in einem anderen Gewand): die Skala des Redens. Schizophasie = gespaltene Sprache = irres Reden Und wie der Körper reagiert.
Die Frau, die das lange Warten in der Schlange in der Post nicht aushält, von einem Bein aufs andere hüpft und sich heftig an den Unterarmen kratzt und winselt. Der pathologisch Fitte.
Und wie manche Gesichter sind. Wie ihre Gesichter werden mit der Zeit. Als wären Heere darübergezogen.
Der alte Mann im schwarzen Anzug, der in der Einkaufsstraße mit einem Transparent steht und den Weltuntergang verkündet. (Hättest du wohl gerne, mein Lieber. Hättest du wohl gern. Wenn deine Seele, wenn dein Verstand, dann eben wir alle.) Die Gruppe der Leute, die seit Wochen von morgens bis abends Boule spielt im Park. Wenn du nicht aufmerksam bist, kannst du denken, sie haben nichts Besseres zu tun. Doch. Aber sie müssen spielen. Immerhin verspielen sie kein Geld mehr. Darauf haben sie sich geeinigt. Keiner darf den Vorschlag machen, um Geld zu spielen. Sie wissen: Wenn sie anfangen, um Geld zu spielen, gibt es kein Halten mehr.
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