Er war ich weiß nicht wie oft schon an der Schule entlanggelaufen, als ihm klar wurde: da drinnen war es zu still. Selbst wenn keine Lichter angemacht werden müssen, weil Sommer ist — Oh, ihr Neonlichter, unter denen Generationen Drinnenarbeiter ausgeblichen sind und immer noch ausbleichen! — Bewegungen verändern das Licht, selbst wenn alle die ganze Zeit still sitzen, irgendwelche Schatten und lichte Stellen entstehen immer und selbst wenn stilles Arbeiten befohlen ist, gibt es irgendein Geräusch, das man bis nach draußen hören kann. Aber hier: nichts. Kein Wunder, es ist ja auch noch, siehe oben, Sommer. August. Die Schule hat zu. Noch nicht einmal der Pedell ist da, heutzutage wohnt er nicht mehr im Kabuff neben dem Eingang, und kein Zahlencode wäre der richtige bei einer auf» geschlossen «gestellten Anlage.
Was hättest du da drinnen überhaupt gewollt? Schnapsidee. Das Lehrerzimmer suchen? Erster Stock rechts, immer. Die Tische sind zu einem langen Oval zusammengestellt, jeder hat eine Schublade, ein Fach, eine Kaffeetasse. Die Raucher haben's gut, die haben einen Extraraum. Zwei nach dem Rauch von Jahrzehnten riechende, zu große, zu weiche Polstersessel stehen dort und ein niedriger Rauchertisch mit einem klobigen Aschenbecher aus Glas, der wie geschmolzen aussieht, wie ein Stück aus dem All. Einmal habe ich dir Ohrringe geschenkt mit einem schwarzen Stein aus einem Meteoriten. Das war noch ganz zu Anfang. Und statt eines Eherings einen Ring mit einem schwarzen Stein zum ersten Hochzeitstag. — Jetzt kämen die Ringe, da Sie keine wollten, dürfen Sie die Braut schon jetzt küssen. Darf ich? Ja? (Wann hörte es mit den Zungenküssen auf? Findest du den Zeitpunkt wieder? — Nein.)
Hätte sein können, ein Lehrer oder mehrere erinnern sich. Hätte sein können, dass nicht. Die Geschichten darüber sind unterschiedlich. Obwohl, im Grunde gibt es nur zwei Varianten: In der einen scheinen sie sich an jeden Einzelnen zu erinnern, den sie jemals unterrichtet haben, in der anderen kehrt man erfolgreich geworden zurück und erzählt dem Lieblingslehrer, was aus einem geworden ist, und dem ist das vollkommen schnuppe. Die meisten wissen nicht, wie wichtig sie einem sind, sagte Flora. Ich wollte nie Lehrerin werden, ich dachte, das wäre schrecklich, für immer in diesem Glockengescheppere, dem Kreidestaub, dem klebrigen Schmutz auf den Fingerkuppen. Den Toiletten. Mittlerweile denke ich anders darüber, aber nun ist es zu spät.
Du hättest gar nicht die Nerven, Lehrerin zu sein, sagte Kopp. Er hatte recht, dennoch war es falsch, denn sie wurde böse. (Alles, was dir die Gunst der Frau entzieht, ist falsch. Kapiert? Falsch.)
Danke, für deine Unterstützung!
Ich habe dich wirklich unterstützen wollen, sagte er mit seinem ehrlichen Blick.
Da lächelte sie und sagte, sie wisse das, und strich ihm übers Haar. (Meine Frau allerdings war die Nachsicht selbst. Der Wahrheit die Ehre.)
Innen ging es also nicht weiter, aber Kopp konnte sich nicht so schnell vom Ort trennen. Dann eben anders, dann schauen wir uns die Stadt eben von außen an. Er setzte sich auf eine Bank vor das Gebäude, an dem auf der einen Seite Casino und auf der anderen Kulturcentrum geschrieben stand. Kenne sich einer aus.
Saß da vielleicht eine Minute, dann stand er auf und ging los. Er ging durch die Schmale Gasse über den Salzmarkt in die Judengasse bis zum Hauptplatz, wo kein Stein auf dem anderen geblieben war. Übertreibung. Aber das Pflaster war auf dem gesamten Platz aufgerissen. Erneuerung des historischen Kopfsteinpflasters unter himmelstürmendem Radau, der in alle Ritzen kriechende weiße Steinstaub fliegt nur so durch die Luft. Außer den Arbeitern und Darius Kopp war keiner da, und das im August. Ist es Unvermögen oder das Gegenteil, Absicht, dass das Geschäft der beiden Lokale am Platz zur Gänze ruiniert wird? Unter einer Markise stand eine Kellnerin, sah Kopp interessiert zu, während dieser über den Holzplankenpfad balancierte. Als er nah bei ihr war, sah er sie auch, er lächelte, sie lächelte ebenfalls. Meine Frau war auch öfter Kellnerin. Sie sind sogar in ihrem Alter.
Die Planken führten zum Feuerturm. Einmal Turmwächter sein. Ausschau halten nach Feuer oder Feind. Hier wird nicht Trompete gespielt, sondern eine Glocke geläutet. Das ist besser, man hat eine größere Auswahl auch unter den unmusikalischen Wächtern. Im Moment ist nur einer da. Sein Name ist Dariussohn Darius J. Kopp. Eine Landschaft, die einer anderen gehört, so betrachten, als gehörte sie einem selbst. Unmöglich. Kopp schaut sich dennoch alles gewissenhaft an. Als könnte ich etwas wiedererkennen, über das mir nie erzählt worden ist. In der Innenstadt legen sich die Ringstraßen wie Zwiebelhäute umeinander. Eine Stadt, aus Steinen gebaut, das hilft gegen so manches, von Romanisch bis Barock ist hier vieles erhalten, minus der dritten Synagoge. Elisabeth von Luxemburg, die erzkatholische F--rau, hatte offenbar nichts Besseres — Nichts. Besseres — zu tun, als freien wie unfreien Städten die Vertreibung der Juden nahezulegen, wer, dachte sie, dass sie ist, Isabella, die Katholische, nein, die wurde erst später geboren. Hätten wir eine Tochter gehabt, hätte sie vielleicht Isabella geheißen oder Ophelia. Irgendjemand, der den Namen trug, war doch immer ein Hasser, ein Mörder, ein Unglücklicher (eine Hasserin, eine Mörderin, eine Unglückliche), Darius schlägt Johannes bei Bedarf den Kopf ab, wir könnten sie, oder sogar ihn, doch auch einfach Sonnenschein nennen, Sonnenschein Kopp…
Da fiel ihm auf, wie sehr die Sonne wirklich schien, mitten ins Gesicht, die Augen tränen davon. Er blinzelte, und dann sah er sie: eine Gruppe Schülerinnen, die unweit unter ihm gerade hinter einer Kirche verschwand, und gleichzeitig hörte er deutlich das Geklapper von Tellern und der Duft von Hühnersuppe erfüllte die Luft.
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[Datei: most_hogy_szabad]
Jetzt, da ich frei bin.
Und dennoch die Beklemmung. Kann es sein, dass die ganze Angst erst jetzt hervorkommt? Solange du darin leben musst, hältst du dich? Eine Sache ist sehr gut. Dass man die anderen sieht. Wie sie sich inihren Zimmern bewegen. Sie haben Lampen, Haken, sie hängen ihre Mäntel an die Haken, stehen im Schlüpfer in der Küche, in farbbeklecksten Overalls auf Leitern. Durch das Fenster gesehen ist das Zuhause eines jeden heimelig.
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[Datei: hátsó_udvar] Hinterhof
Meine Zimmerpflanzen gehen nacheinander ein. Zu wenig Licht. Nicht einmal Ameisen überleben hier. Dass es keine Insekten in der Wohnung gibt, ist so seltsam. Auf dem Dorf war alles voll mit Ameisen. Später, im Wohnheim, mit Schaben. Hier noch nicht einmal das.
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[Datei: Oktober]
Nemes Nagy Ágnes Október
Agnes Nemes Nagy Oktober
Most már felevig este lesz. Köd száll, a lámpa imbolyog. Járnak az utcán karcsü, roppant, negy emeletnyi angyalok.
Ab nun ist's ein halbes Jahr nur noch Nacht.
Nebel wabert, Lampen schaukeln.
Schlanke, riesige, vier Etagen hohe Engel
Wandeln auf den Straßen
S mint egy folyo a mozivászon lapján, ügy üsznak át a házon —
Und wie ein Fluss durch eine Kinoleinwand fließen sie durchs Haus —
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[Datei: vak]
Als wäre ich erblindet, am helllichten Tag ist mir das Licht zu schwach. Wie im Traum, wenn du denkst, du hast die Augen offen, und doch kannst du nichts sehen.
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[Datei: S-Bahn]
S-Bahn. Die Lamellen der Neonlampe zerschneiden mich wie ein gekochtes Ei.
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[Datei: 10_24]
10. 24.
Der Faust-Dozent ist ein netter, sächselnder Mann. Er lächelt mich an, als er etwas fragt. Ich höre gar nicht, was es ist, ich sehe nur dieses Lächeln und renne weinend hinaus. Ich gehe auf der Straße und habe das Gefühl, jeder, dem es einfiele, könnte einfach in mich hineingreifen und mir Herz und Lunge herausreißen. Der Wind, als würde er angreifen. Springt mir auf den Rücken.
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