Einmal überredete er sie zu einem feinen Restaurant. Es ging kolossal schief. Was ist ein Rehconsomme? Das weiß ich doch auch nicht, sagte er und lachte. Ein konsumiertes Reh? Dann doch lieber eine Pate. Sie drehte den Bissen im Mund. Hinterher gingen sie stumm nebeneinanderher. Kann ich heute mal alleine schlafen? Lass mich nicht draußen stehen, flehte er. Da ließ sie ihn ein.
Die erste wirkliche Krise trat nach einem halben Jahr ein und kam von außen. Als Krönung eines Tages voller Demütigungen am Arbeitsplatz — Am Ende fiel ihr ein Regal mit Filmrollen ins Kreuz, der Chef stand in der Tür und rührte sich nicht — wurde meine Frau von einer besoffenen Kreatur in einer nächtlichen Bushaltestelle belästigt, beleidigt und physisch verletzt. — In diesem billigen roten Mantel siehst du wie eine Nutte aus. — Lassen Sie mich bitte in Ruhe. — Aber er ließ sie nicht in Ruhe, sondern trat sie gegen das Schienbein, dass der Knochen wie trockenes Holz krachte. Ein besoffener Gnom. Und wieder muss man sagen: So etwas kommt vor. Die Frage ist eher, wieso passiert das nicht jeden Tag? Eine Weile sah es so aus, als käme sie, nach einer zu erwartenden Phase von Verwirrung, Trauer und Gram, darüber hinweg, so wie du und ich darüber hinwegkommen würden. Eine Weile konnte sie schlecht laufen, später blieb sie freiwillig in der Wohnung, ging nur hinaus, um die Zutaten für die Mahlzeiten des Tages zu besorgen. Erwartete mich jeden Tag mit einem warmen Abendessen. Darius Kopp schaffte es nicht jeden Tag nach Hause, solange sie noch wach war (Ging jeden Abend um 22:30 Uhr ins Bett und stand jeden Morgen um 6 Uhr auf, ruhig und gleichmäßig, wie ein Uhrwerk), aber nie beklagte sie sich. Was bin ich doch für ein Glückspilz. Bis Darius Kopp eines Nachts von einer Dienstreise nach Hause kam und kein Essen vorfand, nur ungeordnet auf dem Tisch liegende Zutaten. Er dachte, sie hätte es sich anders überlegt und wäre, statt zu kochen, lieber ins Kino gegangen, und setzte sich vor den Fernseher. Da er aber Hunger hatte, ging er doch noch einmal hinunter in die Gaststätte im Haus (Fuchs und Storch mit Namen, deutsche Küche, oft kopiert, nie erreicht) und der Wirt, der immer alles weiß, fragte, wie es seiner Frau ginge, und Darius Kopp antwortete, gut, und der Wirt sagte, ist sie wieder zu Hause, und Kopp sagte, nein, wahrscheinlich im Kino, woraufhin der Wirt große Augen machte und sagte: Sie wurde doch gerade erst mit Blaulicht abgeholt, ja, hat dir denn keiner was gesagt?
[Datei: narancs]
Ein türkischer Gemüsehändler hat mir eine Orange geschenkt. In Pest habe ich einmal für einen Jungen eine Orange gestohlen.
#
[Datei: virag] Virág Erdós
Feministisches Manifest Einst hatte sie ihn doch geliebt.
Einmal, als sie einen Ring nicht vom Finger bekam, kniete sich Paps vor sie hin, nahm den Finger in den Mund und saugte so lange daran, bis sich der Ring irgendwie löste. Da stellte sie sich vor, dass sie Paps war und Paps war sie. Und dass sie beide nun eins waren. Dass sie erst jetzt wirklich eins geworden waren. Später versuchte sie häufig, dieses Gefühl heraufzubeschwören, wenn sie irgendwo stand und man sich unbemerkt anlehnen konnte, zum Beispiel an der Wand oder an der Schrankwand im Büro oder an der Tür im Bus nach Hause, wenn es sehr voll war und keiner bemerkte, dass sie für einen Augenblick heimlich die Augen schloss. Es gelang ihr ungezählte Male und jedes Mal erfüllte sie ein angenehmes Gefühl. Ziemlich lange nahm man von ihnen beiden an, dass sie Vater und Tochter waren.
Einmal, als sie Hand in Hand zum Cola-Trinken ins Zwei Kleine Esel gingen, trafen sie jemanden auf der Straße. Er kam ihretwegen sogar von der anderen Straßenseite herüber, obwohl man ihm ansah, dass er es eigentlich nicht wollte. Aber Paps bemerkte ihn, winkte ihm zu, und dann musste er. Sie siezten sich, doch zu ihr sagte der unbekannte Mann Hallo und du. Und als sie sich verabschiedeten, beugte er sich zu ihr hinunter und kniff sie in die Wange oder gar nicht, er kniff sie nicht in die Wange, er schaute nur und dachte bei sich, wie groß doch dieses Mädel geworden ist. Dabei hatte sie da schon das Kind in ihrem Bauch.
Aber dann beschlossen sie, dass sie doch lieber erst eine Wohnung haben sollten. Man kann doch nicht für immer im Souterrain wohnen. Das noch dazu voller Flure war. Wenn sie einander sehen wollten, mussten sie erst hin und her irren und konnten sich nicht einmal sicher sein, dass die richtige Tür dann auch offen stand. Nach einem freudvollen Zusammensein stieg Paps zu ihr in die Badewanne und verriet ihr, wie einen lange gehegten geheimen Traum, dass er erst dann so wirklich glücklich wäre, wenn sie sich in ihrem gemeinsamen Leben jede Minute des Tages sehen könnten. Da gaben sie eine Annonce auf, dass sie gerne einen großen Raum kaufen würden. Erst dachten sie an einen leeren Lagerraum, später hätten sie sich auch schon mit einer Turnhalle zufriedengegeben. Die einzige Bedingung, mein Herr, ist, dass es keine Trennwände darin gibt. Dass es nichts darin gibt. Und er brüllte, als sie bis nach Kistarcsa hinausgefahren sind mit dem Bus, wo man ihnen ein verlassenes, aber heizbares und recht geräumiges Stallgebäude versprochen hatte und es sich am Ende herausstellte, dass das Dach mit riesigen Tragebalken unterstützt war. Und das Kind tapert dann schön hin, versteckt sich dahinter, damit du es nicht siehst. Und zieht die Hose runter und fasst sich an. Und zieht sich am Schniedel.
Solange sich die Wohnungsfrage nicht auf beruhigende Weise gelöst hatte, beschlossen sie, es selbst in die Hand zu nehmen. Sie hängten die Türen aus und schlugen Löcher in sämtliche vorhandene Wände. Sie schliefen zwischen Bauschutt, aber das machte ihnen nichts aus. Paps war glücklich, denn egal, wo sie sich aufhielten, er konnte tags wie nachts das gleichmäßige oder auch nicht ganz so gleichmäßige Atmen seiner Liebsten hören.
Sie hatte nur ein einziges Geheimnis, von dem Paps lange nichts wusste. Sie schämte sich dafür, aber sie hatte einmal eine Puppe gestohlen.
Sie hatte wochenlang auf die Gelegenheit gewartet, bis es endlich gelang. Es war zu Frühlingsbeginn, am Abend ging sie schon immer zu Fuß nach Hause. Auf dem Platz waren um diese Zeit nur noch ein, zwei Kinder, die in der Nähe der Klettergerüste tobten. Der Sandkasten war bereits leer, die Schaukeln waren noch nicht montiert. Ein frischer, lebhafter Wind wehte, alles war möglich. Das Frauchen mit seiner kleinen Tochter war auch an jenem Tag da. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, wollte aufbrechen, aber das Kind wollte nicht. Das Spiel war, dass das Mädchen manchmal angeflogen kam, der Frau ihre Puppe zuwarf und dann davonlief und wie der Blitz auf ein Gitter hochkletterte. Mama, Mama, kreischte es bösartig, und dann ging sie wieder hin und verlangte die Puppe zurück.
Sie hätte schwören können, dass die Frau genug davon hatte. Dass sie das Kind gerne losgeworden wäre. Mehr noch, dass sie sich in dem Moment wünschte, es möge abstürzen. Und dass es ihr überhaupt nicht zuwider war, als sie plötzlich von hinten an sie herantrat und ihr die Puppe aus der Hand riss.
Erst zu Hause bemerkte sie, dass der Ärmsten beide Beine fehlten. Macht nichts, sprach sie ihr Mut zu und band den Faden um ihren Hals fester. Du bist noch klein, aber ich bringe dir schon noch das Laufen bei. Und von da an zog sie, wohin sie auch ging, die Puppe am Faden hinter sich her. Am Abend badete sie sie, trocknete sie ab, setzte sie sich zärtlich in den Schoß und nahm ihr die Arme ab. Die hingen doch sowieso nutzlos da herum. Und dann lobte sie sie, dass sie tags wie nachts ununterbrochen lächelte.
(Auszug; aus dem Ungarischen von Flora Meier)
Einmal sah ich einen auf der Trasse der Hochbahn sitzen. Seine Beine hingen in die Tiefe. Er klimperte nicht mit ihnen. Die Feuerwehr war schon dabei, eine Leiter aufzustellen. Weil ich dich noch nicht kannte, konnte ich nur daran denken, wie viel so ein Feuerwehreinsatz wohl kostet. Mit nur einem Unterkleid und Pantoffeln bekleidet, weinend unter winterlichen Bäumen entlangstolpern kostet nur die Selbstbeteiligung an Krankenhauskosten, das weiß ich mittlerweile. Erschrocken saß Darius Kopp an ihrem Bett. Sie drehte den Kopf weg. Er ging um das Bett herum. Sie ließ ihren Kopf liegen. Er küsste sie auf Schläfe und Stirn.
Читать дальше