
Die Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss) stammt nicht aus unserer Gegend, sondern aus Amerika, wo sie ursprünglich in den großen Gebirgsflüssen Montanas lebte. Sie wird größer als die Bachforelle, hat einen kleinen spitzen Kopf, die Maulspalte ist kürzer, der Unterkiefer befindet sich weiter hinten, ihr Körper ist mit schwarzen und farbigen Punkten bedeckt. Ihre Flanken leuchten in den Farben des Regenbogens. Bei älteren Exemplaren verschwinden die farbigen Punkte, nur dunkle Tupfer wie Schatten bleiben. Als Jungtiere leben Regenbogenforellen in Schwärmen zusammen, werden aber mit der Geschlechtsreife zu Einzelgängern.
Als ich gestern vom Flur vor Hermanns Zimmer in die Küche zurückkam, sagte ich zu den Schwestern, dass Hermann auch mit mir nicht geredet habe: «Keinen Mucks hab ich aus dem Zimmer gehört … vielleicht hat er’s schon verlassen, hat abgeschlossen und ist durch den Nebeneingang raus.»
«Das würd ihm ähnlich sehn», empörte sich die ältere Schwester.
«Könnt ja auch sein, dass der sich irgendwo rumtreibt, und wir sitzen hier und machen uns Sorgen um ihn», bemerkte die Jüngere.
Alma kam aus der Gaststätte, blieb vorm Küchentisch stehen, sagte, dass Sartorius gestern Abend noch da gewesen sei. Hermann hatte auch ihn nicht ins Zimmer gelassen. Dann hätten sie versucht, die Tür aufzubrechen, Hermann habe daraufhin einen Schrank vor die Tür geschoben. Jetzt habe sie Angst, dass er sich etwas antue.
«Das fällt ihr jetzt so plötzlich mal ein», flüsterte die ältere Schwester schnippisch.
Alma sagte, dass Sartorius am Abend nochmals vorbeikommen würde, diesmal, um Hermann mitzunehmen. Dann sprach sie von der Holländerin, die im Frühjahr am Rauschen gefunden worden war. «Sie hat in einem Wohnwagen unten aufm Campingplatz gewohnt, der Caravan steht jetzt noch am Fluss, wenn das Wasser weiter so steigt, wird er weggeschwemmt.»
«Hermann hat sich sofort in die verguckt, Männer sind halt so», sagte Reese, während sie weiterstrickte und am Wollknäuel zupfte.
Als Salm und Knuppeglas den Gastraum betraten, lief Alma zur Theke, um zu bedienen. Reese erzählte, dass man im Wohnwagen der Holländerin Köder von Hermann gefunden habe — niemand sonst könne solche Köder binden. Die Holländerin habe im Sommer oft auf der Veranda gesessen.
«Alma hat’s nich gefallen, dass Hermann zu ihr ging», flüsterte Reese. «Die war auch im Winter mit ihm Eisfischen, se war dann wie vom Erdboden verschwunden, und im Frühjahr is se vor dem Rauschen im Eis aufgetaucht.»
Während Reese erzählte, bediente Alma Knuppeglas und Salm. Die beiden standen neben Zehner an der Theke, der unaufhörlich quasselte. In der Küche hörten wir jedes Wort, so, als gäbe es geheime Kanäle, durch die jeder Laut, nochmals verstärkt, zu uns drang. Vielleicht war es auch nur unsere von Kindesbeinen an trainierte Aufmerksamkeit, die Bestellungen und Wünsche der Gäste zu erlauschen.
Salm und Knuppeglas sprachen darüber, dass sie Setzlinge im Fluss ausbringen müssten. Sie konnten nicht länger auf Hermanns Hilfe warten, weil das Wasser weiter anstieg und in den nächsten Tagen auch noch ein Temperatursturz zu erwarten war. Sie befürchteten, keinen Auftrag mehr von der Gemeinde zu bekommen, wenn im nächsten Jahr nicht genügend Fische für die Angler im Fluss wären. Sie fragten nach Hermann, der ihnen sonst beim Aussetzen der Forellen geholfen hatte. Die beiden hatten sich immer auf Hermanns Wissen und Hilfe bei der Fischzucht verlassen; er kannte die Standorte von Forellen und Äschen, wusste, wo Hechte ihre Jagdreviere hatten, an welchen Orten die Setzlinge vor ihnen sicher waren und genügend Nahrung fanden, winzige Krebse und Larven. Die ersten Wochen im unbekannten Gewässer sind für die frisch ausgesetzten Jungfische unsicher.
«Wenn die Fische abtreiben oder gefressen werden, ist alles futsch, wir verdienen keinen Cent», schimpfte Salm. Knuppeglas beschwerte sich darüber, dass Hermann sich in den letzten Monaten nicht mehr richtig gekümmert habe. «Hermann ist an allem schuld. Wenn wir an den Teichen waren, quatschte er nur von diesem alten Fisch, alles andere interessierte den nicht mehr, und zuletzt war er nur noch mit diesem Weib zusammen. Wenn wir pleitegehen, muss er blechen, der kann uns nicht einfach hängenlassen.»
Knuppeglas hatte eine knochige Nase, die von lauter Prügeleien platt und schief war. Früher war er bei der Bahn als Kranfahrer angestellt gewesen. Vor einigen Jahren hatte man ihn wegen seiner dauernden Prügeleien entlassen. Zuletzt hatte er versucht, wie sein Vater mit Schrott zu handeln, doch es hatte nichts eingebracht, und er war pleitegegangen. Jetzt arbeitete er für Salm und bewohnte eine Hütte bei den Fischteichen. Mit Hermanns Hilfe hatten sie neue Teiche angelegt und ein zweites Bruthaus gebaut. Die Setzlinge waren drei Monate alt, gerade so lang wie ein kleiner Finger, ihre Haut war noch durchsichtig, man konnte die Organe und sogar das Herz pulsieren sehen. Knuppeglas sprach schnell, so schnell, dass man zweifelte, ob er überhaupt wissen könne, was er gerade sagte. Er trug Stiefel, eine Arbeitshose, eine Wachsjacke und eine Baseballkappe. Gregor von Salm hingegen hatte einen abgetragenen dunklen Anzug an, selbst bei der Arbeit an den Fischteichen trug er einen Anzug. Im Gegensatz zu Knuppeglas war er klein und schmächtig und hatte hellblaue Augen mit dünnen Brauen. Salm war immer ein Snob gewesen und bildete sich was darauf ein, dass er adelig war — aber seine Familie war so verarmt, dass ihnen schon damals nicht einmal mehr das Schloss gehörte, in dem sie wohnten. Salm beschwerte sich darüber, dass Alma mit einem der Brückenarbeiter geredet hatte. Alma sagte, er solle sie in Ruhe lassen, es gehe ihn überhaupt nichts an, mit wem sie rede.
Als Jugendliche waren Alma und ihr Bruder, Knuppeglas, Salm, Hermann und ich oft in der Gegend umhergestreift, am Benden, im Kalksteinbruch in den Eishöhlen, in den Stollen der stillgelegten Bergwerke, in Erdunterständen und Bunkern aus den letzten Kriegen. Einmal hockten wir auf modrigem Laub in einem Bunker. Alma hatte ihren Pullover ausgezogen. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe zeigte auf ihre Knie, tastete sich zwischen ihren Schenkeln hinauf. Salm hatte Almas Bruder Geld gegeben, damit sie sich vor uns auszog. Salm wollte sie gerade berühren. Plötzlich steckte der Bruder die Taschenlampe in seinen Mund. Sie leuchtete durch seine aufgeblähten Wangen, er schaltete sie mehrmals ein und aus. Hermann kroch nach draußen und lief weg. Der Bruder sagte, wir sollten auch verschwinden, dann zeigte der Lichtstrahl auf Salm, der mit heruntergezogener Hose und erigiertem Glied dastand.
«Los, Herr Graf, raus hier, verschwinde», lachte Almas Bruder. Salm kroch raus, stand im Schützengraben, machte seine Hose zu, klopfte den Schmutz von den Hosenbeinen und steckte das Halstuch, das er immer trug, in seinen Hemdkragen.
Salm besuchte ein Internat und kam nur in den Ferien nach Hause, damals waren gerade Herbstferien, Blätter schneiten auf den Waldboden. Wir liefen durch Schützengräben, den Hang bis zum Flussufer hinunter, wo Hermann weinend saß. Mosaikjungfern und bunt schillernde Prachtlibellen schwebten über seichtem schlammigen Uferwasser, sie machten ruckartige Bewegungen, wurden für einen Moment unsichtbar. Alma war mit ihrem Bruder in dem Erdunterstand geblieben. Als sie abends nach Hause kam, schloss sie sich in ihrem Zimmer ein und ließ weder mich noch Hermann zu sich.
Knuppeglas schimpfte an der Theke weiter über Hermann, geriet schließlich so in Rage, dass er schnaubend durch die Küche, in der wir am Tisch saßen, rannte, ohne dass er von uns Notiz nahm, und zu Hermann hinauflief. Wir hörten ihn die Treppe hinaufpoltern und mit den Fäusten gegen Hermanns Tür trommeln. Er schrie, dass Hermann endlich rauskommen solle.
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