Ein Gutteil der Hexenprozesse des späten Hochmittelalters hing mit Keramikanersichtungen zusammen; man hielt die Wesen allerdings, dem Erkenntnishorizont der Zeit gemäß, überwiegend für Dämonen.
In einer aus naheliegenden Gründen nie veröffentlichten ersten Fassung der Memoiren der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die später, um das Heikle gekürzt, unter dem Titel» Margaret Thatcher: The Downing Street Years «erscheinen sollten, berichtete sie im Kapitel über den Falklandkrieg von» our very own aquatic UFO-Scare «und gab an, hochrangige Einsatzleiter hätten ihr seinerzeit erzählt, daß bei den Kämpfen um die von Argentinien beanspruchten Inseln im Atlantik schwimmende Wesen beobachtet worden seien, die sich» too fast for biological entities «bewegt hätten und» in some ways powered by some sort of unknown energy «gewesen seien, wuselnde U-Boote, von denen man zuerst gefürchtet habe, es möchten» secret weapons of the kind that Hitler's madmen claimed to possess during the final years of World War II «gewesen sein. Immerhin hätten diese Objekte nicht auf argentinischer Seite in die Kampfhandlungen eingegriffen — Thatchers launiger Kommentar:»So they decided that the phenomenon did not exist — because in war, just as in politics, you only acknowledge things that help you or hurt you and let everything else fall by the wayside.«
In der Finalphase der Langeweile machte sich ein australischer Ethiker und Tierrechtler unter Aufbietung seiner gesamten Verstandeskraft und moralischen Muskulatur jahrelang die ernsthaftesten Gedanken darüber, ob das Ziel des größten Glücks der größten Anzahl von Geschöpfen sich von den alten Benthamschen und Sidgwickschen Vorgaben aus auch auf Tiere ausdehnen ließ. Eine Weile hörte man ihm zu und erörterte zumindest in akademischen Kreisen, ob seinen Ideen irgendein praktischer Wert zukommen mochte. Dann aber machte er sich zunehmend durch konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren unmöglich, bis er, nachdem ihn seine Kampagne, Hunde und Katzen» gegen die Gefahren des Straßenverkehrs mit Keramikrüstungen zu schützen«, vollständig isoliert hatte, plötzlich damit herausplatzte, diese Idee habe ihm» ein Bote aus der Zukunft «diktiert. Der Mann wurde aus seinem Beruf und seinem erweiterten intellektuellen Wirkungsfeld erst per Beurlaubung, dann per sozialem Ostrazismus entfernt und endete in Suff und Wahn.
3. Madame Livienda, drei Gleichnisse
«Und darum muß die wahre Ewigkeit des ewigen Volks dem Staat und der Weltgeschichte allzeit fremd und ärgerlich bleiben. Gegen die Stunden der Ewigkeit, die der Staat in den Epochen der Weltgeschichte mit scharfem Schwert einkerbt in die Rinde des wachsenden Baums der Zeit, setzt das ewige Volk unbekümmert und unberührt Jahr um Jahr Ring auf Ring um den Stamm seines ewigen Lebens. An diesem stillen, ganz seitenblicklosen Leben bricht sich die Macht der Weltgeschichte. Mag sie doch immer aufs neue ihre neuste Ewigkeit für die wahre behaupten, wir setzen gegen alle solche Behauptungen immer wieder das ruhige, stumme Bild unseres Daseins, das dem, der sehen will, wie dem, der nicht will, immer wieder die Erkenntnis aufzwingt, daß die Ewigkeit nichts Neuestes ist. Der Arm der Gewalt mag das Neueste mit dem Letzten zusammenzwingen zu einer allerneusten Ewigkeit. Aber das ist nicht die Versöhnung des spätesten Enkels mit dem ältesten Ahn.«
Franz Rosenzweig
«We will live forever tonight.«
Chastain
«Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.«
Jesus von Nazareth

4. Die Komponistin
«Ist ja goldig. Ich bepiß mich gleich.«
Er hätte es ihr zugetraut: Beleidigender, herablassender und obszöner war noch kein Lachen gewesen, das er je gehört hatte. Sie japste noch ein bißchen nach, schnaubte, machte gutturale Geräusche, war gut aufgelegt. Die Frau konnte noch nicht alt sein, wirkte aber recht verlebt, fand Ryu. In ihrem Wohnstudio war es verrauchter als in einer Rockerkneipe (gut, eine Mutmaßung: Ryu von Schnaub-Villalila frequentierte keine Rockerkneipen). Selbst ihr weißes Haar hatte vom Rauch, bildete der Bankier sich ein, einen Gelbstich — war das eigentlich gefärbt? Mußte es ja wohl sein, sah aber ganz natürlich aus. Die schlaksige, muskulöse Frau in schwarzer Lederhose, schweren Stiefeln, Männerhemd und breiten Hosenträgern, die zwischen vollen Aschenbechern, besudeltem Notenpapier, Büchern, Minidisc- und CD-Stapeln an einem breiten Mischpult Knöpfchen drehte, sah ab und zu in sein Gesicht, fand dort etwas, das sie kolossal amüsierte, und wieherte wieder los:»Bruhähähhä. Eine Weihestätte der Liebe. Geil. Ein Festspiel. Für einen was, Bioabsahner? Und der schickt dich, damit du gleich Zahlen nennst? Und die sind so beeindruckend, daß ich sofort springe? Obwohl du, wie dein kleiner pitch verrät, nicht die leiseste Ahnung hast von dem, was ich mache, wer ich bin?«
«Frau Späth…«
«Frau Späth mich nicht, du Hose. «Kaum war die nächste lächerlich dicke Zigarre angezündet, blies sie ihm den Rauch auch schon mehr oder weniger direkt ins Gesicht. Was für ein Schmierentheater.
Höchste Zeit, das Arbeitsbesteck auszupacken — Stufe Eins: Hartnäckigkeit.
«Frau Späth, ich bin vielleicht kein Kenner Neuer Musik, aber ich weiß, wie man solche Partnerschaften zur maximalen beidseitigen Zufriedenheit…«
«Beiderseitigen. Kein Ahnung, wer ich bin«, grummelte sie und kramte in einem kippgefährdeten Zeitungs- und Papierfetzenstapel,»keinen Schimmer, die krude Sau.«
«Sie mögen mich nicht…«, setzte Ryu erneut an, da nahm die Komponistin eine Stimmgabel von einem Stapel alter SPIEGEL-Ausgaben, schlug sie gegen die Lehne ihres Stuhles, hielt sie in die Höhe und sagte:»Stimmt«, dann warf sie das Gerät achtlos in den hinteren Teil des Raums, zu irgendwelchem anderen Müll.
Schön, bitte, also Stufe Zwei: Zeit für Ryus hervorragendes Gedächtnis, das ihm erlaubte, auch kürzestfristige Crash-Kurse über potentielle Förderkinder sofort bei sich zu behalten und den Lehrinhalt selbst in härtesten Verhandlungssituationen adäquat parlando wiederzugeben.
«Er hat mir gesagt, daß Sie von allen, die heute arbeiten, vielleicht die einzige Person sind, bei der die zentrale Lektion von Iannis Xenakis Früchte getragen hat…«
Cordula Späth setzte sich auf ihren gepolsterten Bürostuhl, kippelte nach hinten, verschränkte, an der Zigarre zutzelnd, die starken Arme hinterm Kopf und sagte:»Mmmmhhhboah die zentrale Lektion von Iannis Xenakis, hört hört, und was is das nu für eine?«
«Musik ist keine Sprache.«
Ryu hatte das nachlesen müssen und wußte nicht unbedingt, was es bedeuten sollte, aber es schien sich gelohnt zu haben, den Satz zu zitieren, denn jetzt erkannte er das erste Mal einen Funken von Interesse in ihrem Gesicht.
Sie senkte die Lider, ein wenig nur, als wäre sie auf eine stark durchgeistigte Parodie des sogenannten Schlafzimmerblicks aus:»Das genaue Zitat lautet: ›Musik ist keine Sprache. Mit seinen komplexen Formen, Furchen und eingravierten Mustern auf der Oberfläche und im Innern gleicht jedes Musikstück einem Felsblock, den Menschen auf unzählige Arten entziffern können, ohne je die richtige oder beste Antwort zu finden. Kraft dieser vielfältigen Auslegungen evoziert Musik vergleichbar einem katalysierenden Kristall alle möglichen Phantasmagorien.‹ Hübsch, ne?«
Ryu kniff die Augen zusammen: Jetzt wollte sie ihn testen. Reinlegen. Da half nur Stufe Drei, hemmungslose, businessgestählte Aufrichtigkeit:»Ich weiß nicht, ob's hübsch ist. Ich versteh's nicht, und es beschäftigt mich auch… kaum.«
« Good for you «, billigte die Komponistin die Feststellung und saugte Qualm in sich hinein. Ryu räusperte sich und setzte neu an:»Aber was ich Ihnen sagen kann, ist, was mein Auftraggeber Ihnen ausrichten läßt, unter Berufung auf, wie er mir sagt, Ihren Lieblingsphilosophen: Wenn Musik keine Sprache ist, was ist sie dann? Denn… ähm…«, er mußte sich kurz besinnen, dann hatte er's:»…denn sprachähnliche Attribute hat sie ja. Man meint ja doch, daß bestimmte Elemente von Musik für irgendwelche anderen Dinge stehen können, zum Beispiel Gemütsregungen.«
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