Christian nahm das Tee-Tablett. In Langes Wohnung roch es nach Vanilletabak, das Knasterarom schien tief in die vergilbte Blumentapete des Flurs und die verschossenen Vorhänge gedrungen zu sein, die vor den Türen zusätzliche Abdichtung gaben. Christian neigte den Kopf, als er durch den Holzkugelvorhang trat, der einen kleinen Vorflur abtrennte: Hier gab es ein Schuhregal, Schlüsselhaken, ein Hutgestell, auf dem mehrere von Libussas großen Hutschachteln standen. Der Schiffsarzt trat eben aus der Wohnzimmertür, den Aschkasten in der Hand, blinzelte hinter seiner Hornbrille, als er Christian sah; aber nicht aus Überraschung, ihn in seiner Wohnung zu sehen, denn er stieß mit seiner tabakrauchigen Stimme sofort hervor:»Hat’s geklappt, hat’s geklappt, ist dein Vater zufrieden?«Er sagte: dein Vadder; das» r «ließ er im Gaumen verschwinden: Lange stammte aus Rostock.»Sehr sogar. «Christian sagte guten Morgen, etwas verlegen, denn Lange stand in einem seltsamen Aufzug vor ihm: Über gestreiften Pyjamahosen trug er ein Wollsakko, aus dessen Brusttasche eine Zigarre lugte. — »Na denn man tau, min Jung, und schöne Grüße. «Lange suchte murmelnd nach einem Schlüssel am Bord, das Ziegenbärtchen an Kinn und Oberlippe, das im Gegensatz zum stark mit Grau durchmischten, immer etwas wirrsträhnigen Haupthaar sein Dunkelblond bewahrt hatte, hüpfte dabei auf und ab.
Die Teetassen dampften, waren auch schwer, der Daumenballen berührte die heiße Kanne; trotzdem ging Christian nicht sofort in den Wintergarten, sondern warf gierige Blicke auf die Bilder an den Wänden, Fotografien meist von Schiffen, auf denen der Schiffsarzt gefahren war: das stolz und hoch getakelte Vollschiff Oldenburg —»war ja man ’n gutes Schipp«, pflegte Lange, wenn Christian sich bei Besuchen erkundigte, zu knarren, mit scharf zusammengekniffenen Augen, das Kinn reckend, Rauchpüffe aus der fragezeichenförmig nach unten hängenden Pfeife ausstoßend; Passagierschiffe der Hamburg-Amerika-Linie; dann, im Krieg, die Zerstörer, dräuende graue Eisenkästen. Häfen, die Torresstraße, die felsige Küste Patagoniens, aufgenommen von einem Schiff der Salpeterlinie der Reederei Laeisz; eine U-Boot-Besatzung im II. Weltkrieg, das Boot vor einem Schlachtschiff mit winkenden Matrosen aufgetaucht, die Luken waren geöffnet, die Besatzung an Deck angetreten; über den bärtigen Gesichtern flatterten Wimpel mit den Zahlen versenkter Bruttoregistertonnen. Der Kapitän hielt die Hand nachlässig, ein wenig skeptisch, wie es Christian schien, zum Gruß an der weißen Tellermütze mit dem schiefhängenden Wehrmachtsadler. Scapa Flow — Kdt. Kapitänleutnant Prien begrüßt den BdU Konteradmiral Dönitz stand unter dem Foto. Befehlshaber der U-Boote, erinnerte sich Christian, hatte Lange auf seine Frage nach dem Kürzel geantwortet und sich den dünnen Bart gestrichen.»Und den Prien, min Jung, den heww ick ja man noch gekannt. War der große Held damals. Deutsches U-Boot versenkt die Royal Oak in der Bucht von Scapa Flow. Empfang in der Reichskanzlei, Ritterkreuz und ganz großer Bahnhof. Tja, und dann? Verheizt für Führer, Volk und Vadderland. Alle verheizt, min Jung. Der siebte von links, auf dem großen Pott, dat bün ich.«
Neben den Fotos Seemannsknoten, von Lange sorgfältig auf schwarze Pappe gezogen und eingerahmt. Palstek, Webeleinstek, Liegende Acht, Gordingknoten — einige hatte der Schiffsarzt ihm beigebracht, sie waren beim Angeln nützlich. Der Fernseher, ein Kasten Marke Raduga, spiegelte das aufkommende Licht und schien ihn anzustarren. Der Ofen gähnte, Aschekrümel lagen auf dem Blech verstreut — Libussa würde staubsaugen nachher und die Flaschen auf dem Regal neben dem Ofen abwischen, in denen Langes Buddelschipps von großen Fahrten träumten. Christian ging in den Wintergarten.
«Hallo, junger Mann. «Der Ingenieur lüpfte den rechten Mundwinkel, was vielleicht ungerührt und abgeklärt wirken sollte, Christian aber nur komisch vorkam, da Stahl ein Mondgesicht und nur noch wenige, mit Birkenwasser glatt zurückgekämmte Haare auf dem Kopf hatte. Dafür waren Brauen und Brusthaar, das wolleartig aus dem Holzfällerhemd quoll, um so buschiger. Was der Ingenieur nicht so gern hörte, war der Vergleich, mit dem ihn Lange öfters neckte: Er, Gerhart Stahl, ähnele einem sowjetischen Schauspieler, der in einer Fernsehserie einen Sonnenblumenkernverkäufer auf dem Rollfeld des Flughafens von Baku spielte. Ein verschmitzter Hanswurst und erfinderischer Tausendsassa, wiege immer bedenklich den Kopf und wackele mit den Brauen, wenn eine der Iljuschins mit illustren Moskauer Sommerfrischlern abhebe —»Ich wackele nicht mit den Brauen«, ärgerte sich der Ingenieur dann. Dr. Gerhart Stahl liebte die sowjetischen Schauspieler nicht, weil er die Sowjetunion nicht liebte.
«Ausgeschlafen. «Das war eine Feststellung, keine Frage. Er malmte Christians Hand in seiner Ingenieurstatze, beugte sich dann zum Ölradiator hinunter, drehte am Reglerknopf. Obwohl die hohen Fenster nicht mehr einwandfrei abdichteten und der Wintergarten recht groß war — der Frühstückstisch fand bequem Platz darin, man konnte sitzen, ohne an die Palmkübel zu stoßen —, war es hier deutlich wärmer als in der Kajüte oder in Langes Wohnzimmer. Der Wintergarten hatte einen eigenen Ofen, den der Schiffsarzt, bevor er schlafenging, noch einmal hochheizte; die Wärme hielt sich dann bis in den Vormittag, wenn man gefrühstückt und die Öfen in den anderen Zimmern versorgt hatte.
«Ein schönes Friehstick!«Libussa schlug vor Freude die Hände zusammen.»Krischan, Gerhart, das müßt ihr euch gesagt sein lassen, bevor ihr zulangt wie Schoinendrescher, sagt man so. Kann man Herrgott dankbar sein, daß es noch wenigstens mit Semmeln und Brot klappt in diese Staat. Wenn ich an Krieg denke …«Sie ging reihum und füllte die zweiten Tassen mit heißer Milch, die sie von einer LPG hinter Bühlau, im Schönfelder Hochland, bezog; Kuhmilch, kaum entfettet, eher eine weiße Suppe als Milch, vor der sich Christian ekelte; aber Libussa war der Meinung, daß er zuwenig Muskeln besitze und in der Phase sei, wo es sich entscheide,»ob man wird ein Mann oder eine Bleistift«. Deshalb ließ sie sich von seiner Miene nicht beeindrucken, sondern goß seine Tasse voll.
«Vielen Dank noch einmal für die Rosen, Libussa. «Meno, der am Radio Sender Dresden eingestellt hatte, beugte sich über eine Blumenwanne, in der Maréchal-Niel-Rosen wuchsen.»Sämtliche Gattinnen haben mich darum beneidet und wollten unbedingt die Adresse der Gärtnerei wissen. Ob ich die Blumen etwa aus der Rosenschlucht oder Arbogasts Gewächshäusern hätte. Womit es mir gelungen sei, den Züchter zu bestechen.«
Der Schiffsarzt kam herein, hatte einen Bademantel übergezogen, brachte Chakamankabudibaba mit, der ins Licht blinzelte, einen Buckel machte und in ein Körbchen an einer prächtig entwickelten Sagopalme kletterte. Lange und Stahl rieben erwartungsvoll die Hände und leckten sich die Lippen. Tee, Kaffee, frischgekochter Kakao dufteten, es gab eingeweckte Quitten- und Kirschmarmelade, Pflaumenmus und Waldhonig, und neben der mit einem Tuch zugedeckten Semmelschale stand ein Teller mit einer Spezialität Libussas: zu einer Art von festem Teig getrocknete und in schmale Streifen geschnittene Aprikosen, die Christian, der beständig zu diesem Teller hinschielte und dabei oft auf Stahls Grinsen traf, der viel näher an diesen Leckerbissen saß, für wesentlich wachstums- und entwicklungsfördernder hielt als heiße Kuhmilch. Libussa und ihr Mann falteten die Hände zum Gebet:»Drum, lieber Herr, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast. «Sender Dresden übertrug ein Gedicht eines verdienstvollen Kämpfers und hohen Funktionärs des Geistestätigen-Verbands. Meno hörte mit schmerzverzerrtem Gesicht zu, während die anderen, auch Christian, ungerührt zugriffen. Es ging um Ideale, lichte Zukunft, Lenin und Marx, um Heldentaten auf der Baustelle des Morgen, um die Gestaltung des Kommunismus und» Um dich, Genosse, der du friedlich frühstückst, / ledig der Sorgen derer / auf Wacht!«Stahl hielt inne im Semmelaufsägen.»Sag mal, Meno, und so was mußt du jeden Tag lesen? Du friedlich frühstückender …«
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