«Der Storch hat eine Geschichte«, sagte Dietzsch.
«Klar«, sagte Stahl.
«Dann eben nicht«, sagte Dietzsch.
— Wenn Museum, dann Verkehrsmuseum, schrieb Meno, oder Gemäldegalerie; auf Drängen Annes 1984 in die Klee-Ausstellung im Albertinum, vor dem die Dresdner im Wintermatsch Zweihundertmeter-Schlangen bildeten; mit Ulrich in die Franckeschen Stiftungen nach Halle, eine medizinische Präparatesammlung anzusehen. Im Verkehrsmuseum kannte Richard jeden Winkel. Manchmal ging er mit Vater hin, das Verkehrsmuseum gehörte zu den wenigen gemeinsamen Interessen. Kurt sagte:»Guck mal da, Richard. «Richard sagte:»Guck mal dort, Kurt. «Beide sagten:»Guck doch mal, Meno. «Richard sprach über Zündkerzen, etwas, das Dauer habe trotz hoher Belastung, soweit bei irdischen Dingen von Dauer die Rede sein könne. Keine Fehlzündung bis ans Lebensende, jedenfalls im Westen. Vor dem Benz erzählte er von der ersten Langstreckenfahrt mit einem Automobil, ironischerweise sei der erste Autofahrer überhaupt eine Autofahrerin gewesen: Bertha Benz, die Frau des Konstrukteurs, besteigt in der Hühnerfrühe eines Augusttags 1888 mit ihren beiden Söhnen, nicht ohne ihrem Mann einen Zettel zu schreiben, daß man ihn nicht zu verlassen gedenke, den knatternden, einer Kutsche ohne Pferde ähnelnden Wagen und macht sich von Mannheim nach Pforzheim auf den Weg, die Mutter zu besuchen. Schwarzwaldhügelan müssen Bertha und der fünfzehnjährige Eugen absteigen, der dreizehnjährige Richard lenkt. Hügelab geht’s mit rauchenden Bremsen; die ledernen Bremsbeläge verschleißen derart, daß Bertha sie unterwegs von Schuhflickern ersetzen lassen muß. Mit einer Hutnadel wird eine verstopfte Benzinleitung gereinigt, mit einem Strumpfband ein Zünddraht nach einem Kurzschluß isoliert. Benzin kauft man in der Apotheke. Überall stehen und gaffen die Leute, in einem Gasthaus wollen sich zwei Bauern einen Faustkampf liefern, weil sie sich nicht einigen können, ob der Wagen durch ein Uhrwerk — wo aber ist der Aufziehschlüssel, er muß riesig sein — oder durch übernatürliche Kräfte angetrieben wird. Man erreicht Pforzheim vor Einbruch der Dunkelheit. Danach beginnt der Siegeszug des Automobils. Wir besuchten das Verkehrsmuseum, sahen Flugzeuge, Schiffe, Eisenbahnen, die Phalanx der Oldtimer im Lichthof; Richard ging umher, immer mehr Kinder und Erwachsene blieben stehen bei seinen Ausführungen — ich hatte den Eindruck, daß er absichtlich laut sprach, um mit seinen Kenntnissen zu prahlen, jedenfalls schien er nichts dagegen zu haben, wenn Fremde zuhörten. Nach wenigen Minuten begleitete ihn ein Troß lern- und anekdotenbegieriger Besucher; Museumswächter, solange sie in Sichtweite zu ihren Ausstellungsstücken bleiben konnten, eingeschlossen —
Nach dem Kauf des Wagens fuhr Richard so oft er konnte nach Lohmen. Stahl hatte mehr Zeit; er arbeitete in einer Abteilung für Rationalisierung und Neuererwesen, und was er zum Rationalisieren oder Erneuern vorschlug, kam bei der Betriebsleitung meist nicht durch. An den dienstfreien Wochentagen fuhr Richard abends, an den Wochenenden bei Sonnenaufgang. Das Geld für Daniel hinterlegte er bei Nina Schmücke.
47. . zähl die heitern Stunden nur
Deshalb dürfen Sie niemals abseits von Ihrer Gruppe, Bedienung oder Besatzung stehen. Nur im Kreise der Genossen können Sie sich als sozialistische Soldatenpersönlichkeit entwickeln und bewähren
vom sinn des soldatseins
Er mußte immer wieder an den Frosch denken, dem Siegbert im Wehrlager die Beine abgeschnitten hatte. Verzweifelt im Dunkeln seiner Sprachlosigkeit kämpfendes Tier, die langsamen, wie gleichgültigen Abwehrbewegungen — ging ihn das etwas an, konnte man nicht sagen: Es ist doch nur ein Frosch! Und wer weiß schon, ob er tatsächlich Schmerzen spürt? Christian hörte die Stimmen im Block, das rohe Gelächter, wenn sie wieder jemanden jagten. Burre war nicht sprachlos. Burre schrieb Gedichte. Sentimentale, schwache Gedichte, aber er äußerte sich. Der wäre eigentlich etwas gewesen zum Befreundetsein, dachte Christian. Wäre. Denn er wollte nicht mit Burre befreundet sein. Burre war schwach, und er dachte darüber nach, warum er Burre dafür geringschätzte. Und er, was war er selbst? Konnten sie mit ihm nicht machen, was sie wollten? Aber Burre war ergeben. Oder es schien so. Sie quälten ihn, weil einer zum Quälen da sein mußte. Sie mußten ihre eigenen Qualen abquälen. Aber bei ihm, Christian, war es nicht nötig, und das wußten sie. War Burre zu quälen nötig.
Sie fuhren ins Feldlager und kehrten zurück, sie hatten sich zehn Tage nicht gewaschen, und zum Zähneputzen gab es Kieferntau, oder Wassertropfen, mit Diesel vermischt, aus dem Tank des Schlepperpanzers, dessen Kommandant, ein mürrischer Unteroffizier, sie als schweinische Dreckluden bezeichnete, denen er sein kostbares Wasser nicht gebe. Sie polierten ihm ein bißchen das Antlitz, machten ein bißchen sursum corda, wie Ruden es nannte, und Christian erinnerte sich lächelnd an das verzerrte Gesicht, als Ebert zwecks» Verbesserung der Fähigkeiten und Fertigkeiten «mit Schraubstockfingern an der Nase des Kerls drehte; wie komisch sah der aus, wie grotesk verschob sich das Fleisch seines Hängebackengesichts, wie reizte das Geräusch zum Lachen, wenn Ruden und Rogalla abwechselnd zuschlugen: poff, botsch, gump … Christian entdeckte, daß es ein Spaß sein konnte, wenn jemand verprügelt wurde; Gott, wie absurd rollten die Augen, verzogen sich die Fressen, wie quäkend und ferkelmäßig grunzend klang das Gejammer, zum Prusten war das Gestolper bei schlechtem Licht … Macht. Wenn die Panzer ansprangen, wenn der Fahrer sein Luk zuzog mit der linken Hand, den Hebel nach unten klinkte, um das Luk zu arretieren, die schiere Kraft, die man für diese Bewegung brauchte — in der Unteroffiziersschule hatten sie es, taubgebrüllt vom Fahrlehrer oben im Kommandantenturm, mit beiden Händen und unter Aufbietung des ganzen Körpergewichts kaum geschafft —, wenn die Ölpumpe zu hören war, der Fahrer den Anlasserknopf drückte, das Wettern von Stahl, dann dröhnte der Zwölfzylinder auf, ein finsteres angriffsbereites Tier; wenn die Gleisketten die Erde zum Singen brachten und sie über Stock und Stein, durch Matsch und Gruben und Wasser riemten : das war Macht. Auf die Schnauze hauen . Manchmal kam einem auch ein Baum in die Quere, der zum Schießen aussah. Ein Fisch, der auf dem Trockenen fürchterlich zappelte. Ein Hirsch mit so vielen Enden am Geweih, daß er, Monument eines grausig nutzlosen Männlichkeitsstolzes, unter der Last keinen Schritt mehr weiterkonnte. Zum Lachen. Was konnte man mit solch einem Hirsch tun? Der schrie doch nach der Kalaschnikow. MPi entsichern und feuern, daß die Fetzen fliegen . Fetzen, Fetzen. Er kaute dieses Wort. Ein dampfendes, bizarres, rohes Wort. Wie ficken . So etwas durfte er zu Hause nie aussprechen. So etwas hätte er zu Hause nie ausgesprochen. Jetzt, hier, sprachen es fast alle aus, inzwischen hatte er sich daran gewöhnt. Es kam in jedem zweiten oder dritten Fluch vor. Eine Frau, so lernte er hier, wurde nicht geliebt oder geküßt oder einfach in Ruhe gelassen, eine Frau wurde gefickt. Fick deine Alte, du Ludensau. Ja. Fick dich ins Knie, du elendes Stück Scheiße. Fick dich selber. Ich rede nicht so. Das paßt nicht zu mir, dachte Christian. Was zu einem alles nicht paßt. Ballern. Daß die Hülsen deinen Standpunkt sprenkeln. In die Fensterscheiben. Das ganze Magazin. Und das drangeklebte, wie es die Russen beigebracht hatten, hinterher. Dauerfeuer. Bis die ganze verfluchte Kaserne in Schutt und Schotter liegt . Und ficken. Mal ’ne Frau ficken . Mit ihr schlafen, dachte er. Mit ihr ausgehen. Mit ihr reden.
Sie munitionierten die Panzer auf, sie munitionierten die Panzer ab. Schoben Wache bei Hitze, hörten das Knistern der Kiefernwälder, wenn sich ein Wind erhob. Sie schliefen in Zelten, die sie in schwarzen Sand bauten. Nachts war es so heiß, daß den Langgedienten die Hände von den Mündern ihrer Opfer abrutschten und das Wimmern, die Schreie zu hören waren, Keuchen und verzweifelt erleichtertes Aufstöhnen. Christian hatte sein Messer neben sich. Muska soff» Dur«, Rogalla soff» tüff«. Die Russen, mit denen ihr Bataillon Manöver fuhr, hatten Wodka und Kühlflüssigkeit. Sie luden die Panzer nicht über die Rampen von den Eisenbahnwaggons, sondern zogen einen Lenkhebel, bis der Panzer querstand, gaben Gas und ließen ihn rückwärts runterplumpsen. Krach, machten die Achsen. Friß Dreck, machten die Russen. Parny, sagten sie zu ihren NVA-Waffenbrüdern, spuckten aus und winkten, ein Panzer braucht nicht alle Achsen. Konjeschno. Wenn sie betrunken waren, zogen sie ihre Makarovs, steckten sie in einen Sandhaufen und bewiesen, daß sie auch dann noch schossen. Otschen choroscho! Dann sangen sie, tanzten ums Feuer, fütterten es mit Leuchtspurmunition, freuten sich über die stiebenden Funken. Mit den Bauern im Gebiet gab es Ärger, die Russen hungerten, man sah es ihnen an. Sie holten sich das Essen, wo sie es kriegen konnten. Zum Beispiel an der Gulaschkanone der Waffenbrüder. Im Hühnerrupfen waren sie geschickt. Sie tanzten wie Verrückte. Einer von ihnen forderte Ruden heraus. Ruden war gut, aber nicht so gut wie der Russe. Er brachte den deutschen Parny Nahkampftricks aus Afghanistan bei. Wie man als Aufklärer einen Posten mit dem Messer abmurkst. Christian übersetzte. Für» abmurksen «wußte er das Wort nicht. Wie man eine Siedlung» plattmacht«, aber die Frauen möglichst verschont. Für» ficken «genügte eine Geste.
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