Als Wylie in die Pause hinein fragt, in der alle auf den Boden gesehen haben, an ihren Gläsern nippen, warum man nicht Platz nehme und Melanie beim Hinsetzen sagt, eigentlich habe sie nur ganz kurz Zeit, sie müsse noch zu Es , dieser anderen Band, die sie jetzt, wie Seema, Uschi, Wylie und Costin ja sicher wissen, manage, Olafs neues Projekt, eine gecastete Technoband, guter alter 1980er-Berlin-Dreck-Techno, außerdem habe sie ja bekanntlich geheiratet, vor zwei Monaten, und sie, man habe es ja wahrscheinlich schon bemerkt, sei im ersten, also Monat, da ist Costins Blick über die anderen geschweift — er ist ja hoffentlich nicht der einzige, der gerade ein bisserle schockiert ist — und ist bei Seema hängengeblieben, die als einzige nicht verständnisvoll nickt, sondern ihn, Costin, angestarrt hat, aufgerissene Augen, leicht offener Mund, Marke: Ich glaub das nicht. Costin hat in diesem Moment starke Zuneigung für sie empfunden.
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Jessica im Türrahmen, ihren Kopf, Jessica-like, zur Seite gelegt, lachend. NO, lang gedrückt. Soll wirklich gelöscht werden? Yes. Gelöscht. Yes.
Jessicas Gesicht, lächelnd, neben seinem, ernst. NO, lang gedrückt. Soll wirklich gelöscht werden? Yes. Gelöscht. Yes. Jessicas Gesicht, eine Grimasse schneidend, neben seinem, eine Grimasse schneidend. NO, lang gedrückt. Soll wirklich gelöscht werden? Yes. Gelöscht. Yes.
Sein Kopf auf Kissen, Blick in Kamera, über ihm, ernst. Yes.
Sein Kopf auf Kissen, Blick in Kamera, über ihm, ernst. Yes.
Sein Kopf zur Seite gedreht, vom gelben Nachttischlampenlicht beleuchtet, Augen aufgerissen, offener Mund. NO, lang gedrückt. Soll wirklich gelöscht werden? Yes. Gelöscht. Yes.
Costin schaut vom Display des Handys auf. Eine Gruppe Kinder ist lachend, schreiend, laut, Hand in Hand und eskortiert von Kindergärtnerinnen an der Bank, auf der Costin sitzt, vorbei zum Ausgang des Parks gezogen. Die Blätter der Pappel neben der Bank haben im Wind zu rascheln begonnen.
Sein Kopf auf Kissen, Blick in Kamera, über ihm, ernst. NO, lang gedrückt. Soll wirklich gelöscht werden? NO, NO. Soll Bild wiederhergestellt werden? Yes. Bild wieder hergestellt. Yes.
Britta, Kopf zur Seite gedreht, auf Kissen, Augen geschlossen, Mund offen, schlafend. Yes.
Umut, Kopf zur Seite gedreht, auf Kissen, Augen geschlossen, Mund offen, schlafend. Yes.
Sein Kopf auf Kissen, Gesicht verheult, Augen zusammengekniffen, Speichelfäden zwischen geöffneten Lippen. NO, lang gedrückt. Soll wirklich gelöscht werden? Yes. Gelöscht. Yes.
Der in Terrassen abgestufte Pausenhof. Yes.
Quirins Gesicht neben dem seinem. Yes.
Sein Gesicht, Blick in Kamera vor ihm. Yes.
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Das Bild da jetzt kommt ihm doch bekannt vor. In der Spiegelwand sieht er, daß sie gerade dabei sind, zum ersten Mal seit ihrem Break-up, die Choreo zu ihrer allerersten Single, Equinox , total synchron hinzubekommen. Seema hat wieder ihr Normalgewicht, tatsächlich nur Training oder doch Absaugen? that’s the question; Uschi, gut, Uschi war schon immer schlank, aber sie sieht, glaubt er, in diesem Moment, Pferdeschwanz schwingend, ausgestreckter Zeigefinger, genauso aus wie früher, ebenso Wylie, Respekt, 10 Pfund in zwei Wochen; nur wenn jetzt sein, Costins, Blick auf sich selber fällt, dann fragt er sich allerdings schon, ob er bei der Anweisung Melanies, vom Outfit her möglichst so auszusehen wie beim ersten Album — man wolle kein Risiko beim Gedächtnis der Fans eingehen —, nicht doch ein Veto hätte einlegen sollen; die letzten vier Jahre haben eben Spuren hinterlassen (siehe Ansatz zum Doppelkinn); und jetzt so zu tun, als wäre er noch 27? Marke: relativ peinlich.
Ihre Sohlen haben bei der 180-Grad-Drehung, weg vom Spiegel, unisono gequietscht. Auch daß Umpf! Tanzcoach diverser Popstar -Generationen,von denen er denSpitznamen Nazi-Umpf! und Schinder-Umpf! erhalten hat, genau in diesem Moment seinen Anfall kriegt, ist letztlich absehbar gewesen. Während Equinox weiterläuft, Uschi auf der CD gerade ihren Part in der letzten Strophe singt, ist Costin Zeuge eines krassen Umpf! — Déjà-vus geworden; die Szene, die sich gerade vor seinen Augen abspielt, hatte so schon mal vor ihrer ersten Tour stattgefunden.
Seema war stumm rausgelaufen, Umpf! hinterher, Seema weiter anbrüllend, wie dann in der Folge im Fernsehen zu sehen gewesen war, Costin war ja mit den anderen im Proberaum geblieben, Seema hatte geweint, Umpf! hatte plötzlich auch geweint, sie hatten sich in den Armen gelegen, Umpf! hatte gesagt, er müsse das machen, auch wenn es ihm weh tue; es tue ihm selber hier drin (Zeigefinger auf Herz) weh, wenn er seine Kiddies so anbrüllen müsse, hat er später im anschließenden Interview in der Folge im Fernsehen gesagt. Umpf! wäre nicht Umpf! und hätte es nie zumInhaber zahlreicher über Deutschland verteilterUmpf! — Tanzstudios gebracht, in denen die Coaches den Teens im Umpf! — Look (Glatze, weite weiße Hose, Army-Top) die neuesten Choreos der aktuellen Bands eindrillen, wenn Umpf! jetzt nicht den prototypischen und mittlerweile als Motivationstraining auf DVD vermarkteten Umpf! — Anfall bekommen würde.
Umpf! (obligatorische Schweißtropfen auf der Glatze, brüllend): „Ja, Seema! Bist wohl noch immer in Indien! So schwerfällig wie’n Elefant dreht die sich um! Hey, aufwachen, Mädchen! In zwei Wochen ist Auftritt! Hey, ich glaub’s nicht!“
Seema (ab, stumm)
Umpf! (ab, Seema hinterherbrüllend)
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Die Stimmung ist gut. Die Party scheint ein Erfolg zu sein. Costin macht mal kurz auf Matrix . Der 360-Grad-Schwenk: Hinter dem schwarzen Sofa standen vorhin, als er sich umgedreht hat, Paolo, der mit richtigem Namen Antonio heißt, Dick, der, soviel Costin weiß, tatsächlich Dick heißt, Kundry alias Petra und Tosca alias Agata, alias die Sternschnuppen , alias die allererste Generation, die Mamas and Papas sozusagen, am offenen Fenster, frische Luft war hereingezogen. Es ist bekannt, daß zumindest Paolo und Kundry mittlerweile Familie haben und daß Kundry sich jetzt wieder Petra nennt. Nur noch Tosca ist, soviel Costin weiß, im Musik-Business tätig. Costin, der vorhin mit einem Ohr gehört hat, wie Petra von ihrem Sohn erzählte, kann sich kaum vorstellen, wie die vier, auch wenn sie in Popstar -Kreisen mittlerweile als Legenden aus einer Zeit gelten, als der Markt noch nicht übersättigt und ergo die Welt des Castings noch in Ordnung war, in knapp drei Wochen auftreten sollen. Werden sie nach all den Jahren noch die Credibility besitzen, die sie brauchen, um ihre Songs von damals rüberzubringen? Im Moment machen sie eher den Eindruck, als wäre die ganze Generations-Tour so etwas wie eine einmalige Gaudi, eine Faschingsveranstaltung, nichts, was man ernst nehmen müßte jedenfalls.
Schwenk zur Seite: In der Ecke rechts schräg gegenüber vom Sofa unter der großen in einen blauen Mantel gehüllten Madonnenstatue, die Olaf, wie er immer wieder erzählt hat, vor vielen Jahren von einer aus Verehrung für Benedikt XVI. unternommenen Wallfahrt nach Altötting mitgebracht hatte, und die ihr Gesicht, während ihr unter dem Mantel sichtbares rotes Herz von einem Dolch durchbohrt wird, zum Himmel blickend vor Schmerz verzerrt, sitzt Lasse zusammen mit Hubert und Hubert, die eigentlich Heiner und Peter heißen, auf dem Boden und wippt mit dem Kopf zu dem Song, den die beiden auf ihren Gitarren schrummen.
Es ist ein offenes Geheimnis, daß Hubert und Hubert, obwohl sie in der siebten Staffel gecastet worden waren, wo explizit auf Songwriting-abilities Wert gelegt wurde, zwar in der Sendung ihre Instrumente tatsächlich auch selber spielten — daß aber die Songs, die offiziell als von ihnen geschrieben ausgegeben wurden, in Wirklichkeit vom vielbeschäftigten Gustav „the Word“ M. stammen und daß er Hubert und Hubert die angeblich autobiografischen Texte über Kindheit, Schulzeit, das erste Mal et cetera in den Mund gelegt hatte, wobei es sich wohl eher um die Erlebnisse von Gustav „the Word“ M. handelte als um die Huberts und Huberts.
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