»Nicht ohne mich versengt zu haben«, sagte Adam.
Der ältere Mann zuckte die Achseln. »Sie haben es verdient, sich den Arsch zu verbrennen, aber es war ein Fehler, den die meisten von uns mit Ihrer Unerfahrenheit in Transplantationen begangen hätten. Sie machen sich ausgezeichnet. Zufällig weiß ich, daß Dr. Longwood ein Auge auf Sie hält.«
Adam zitterte innerlich vor Freude und Erleichterung.
»Natürlich würde ich mich nicht darauf verlassen, falls Sie regelmäßig vor die Exituskonferenz zitiert werden«, sagte Kender nachdenklich, während er sich am Ohrläppchen zupfte.
»Das werde ich nicht.«
»Ich glaube es auch nicht. Nun, was kann ich für Sie tun?«
»Ich glaube, es wäre gut, wenn ich etwas über diese Seite der Medaille lerne«, sagte Adam. »Könnte ich mich hier nützlich machen?«
Kender warf ihm einen interessierten Blick zu. »Wenn Sie einmal so lange hiergewesen sind wie ich, werden Sie niemanden ablehnen, der sich freiwillig zur Arbeit meldet.« Er ging zu einem Wandschrank und nahm ein Tablett voll Fläschchen heraus. »Vierzehn neue Medikamente. Wir bekommen sie zu Dutzenden von den Krebsleuten. Auf der ganzen Welt entwickeln die Forscher Chemikalien zur Krebsbekämpfung. Wir haben herausgefunden, daß die meisten Agenzien, die gegen Tumore wirksam sind, auch die Fähigkeit des Körpers, Fremdgewebe abzustoßen oder zu bekämpfen, ausschalten.« Er wählte zwei Bücher von seinem Bücherbord und reichte sie Adam. »Wenn Sie wirklich daran interessiert sind, lesen Sie das hier. Dann schauen Sie wieder herein.«
Drei Abende später war Adam wieder im Tierlabor, diesmal, um Kender bei der Übertragung einer Hundeniere zuzusehen und die beiden Bücher gegen ein drittes einzutauschen. Sein nächster Besuch verzögerte sich wegen seiner Geldgier und der Gelegenheit, seine Freizeit in Wood-borough zu verkaufen. Aber eine Woche später, abends nach Dienstschluß, war er wieder auf dem Weg zum Labor und stieß die alte Tür mit der abgeblätterten Farbe auf.
Kender begrüßte ihn ohne Überraschung, schenkte ihm Kaffee ein und sprach mit ihm über eine neue Reihe von Tierexperimenten, die er beginnen wollte.
»... Meinen Sie, daß Sie das alles verstanden haben?« fragte er schließlich.
»Ja.«
Kender grinste und griff nach seinem Hut. »Prima, pri-missima. Dann gehe ich heim und versetze meiner Frau einen Schock.«
Adam sah ihn an. »Sie wollen, daß ich allein damit anfange?«
»Warum nicht? Ein Medizinstudent namens Kazandjian kommt in einer halben Stunde. Er arbeitet als Techniker hier und weiß, wo alles zu finden ist.« Er nahm ein Heft vom Bücherbord und warf es auf den Schreibtisch. »Machen Sie genaue Aufzeichnungen. Wenn Sie nicht weiter wissen, dann ist hier das ganze Schema skizziert.«
»Prima primissima«, sagte Adam schwach.
Er sank auf einen Stuhl und erinnerte sich, daß er am nächsten Tag in der Unfallstation in Woodborough eingeteilt war.
Als der Medizinstudent eintraf, hatte er das Notizbuch schon studiert und war froh, daß er hier war. Er half Ka-zandjian, eine Hündin namens Harri et für die Operation vorzubereiten, einen Colliebastard mit glänzenden braunen Augen und einem gräßlichen Atem, der ihm mit einer warmen rauhen Zunge die Hand leckte. Am liebsten hätte er einen Knochen gekauft und die Hündin heimlich in das Zimmer im sechsten Stock geschmuggelt, aber er dachte an Susan Garland, stählte sich und betäubte stattdessen den Hund mit einer kräftigen Spritze Pentothal. Er schrubbte ihn ab und machte ihn bereit, genauso wie er es bei einem menschlichen Patienten getan hätte, und wäh-rend Kazandjian einen deutschen Schäferhund, der Wilhelm hieß, vorbereitete, entfernte er bei Harriet eine Niere, später, während Kazandjian Harri ets Niere durchschwemmte, eine bei Wilhelm, und von da an vergaß er, daß es Hunde waren. Die Venen waren Venen und die Arterien Arterien, und er wußte nur, daß er seine erste Nierenübertragung durchführte. Er arbeitete sehr sorgfältig und sauber, und als Harriet endlich eine von Wilhelms Nieren besaß und Wilhelm eine von Harriets, war es fast ein Uhr morgens, aber er spürte Kazandjians stummen Respekt, der ihn mehr freute, als wenn der Student etwas gesagt hätte.
Sie gaben Harriet eine Minimaldosis Imuran, Wilhelm eine Maximaldosis; es war kein neues Mittel - es war dasselbe, das sie bei Susan Garland verwendet hatten -, aber Kender wollte zuerst mit den schon eingeführten Medikamenten experimentieren, um für die kommende Transplantation bei Mrs. Bergstrom gerüstet zu sein. Kazandjian stellte einige intelligente Fragen über Immunounterdrük-kung, und nachdem sie die Hunde in ihre Kotter zurückgebracht hatten, braute der Student Kaffee über einem Bunsenbrenner, während ihm Adam erklärte, daß die Antikörper in dem Organismus des Empfängers wie Verteidigungssoldaten wirken, die so reagieren, als sei das übertragene Gewebe eine einmarschierende Armee, und daß das immunounterdrückende Medikament einen entscheidenden Schlag gegen die Verteidigungskräfte führen sollte, damit diese das fremde Organ nicht abstoßen konnten.
Als er wieder in sein Zimmer kam, war es fast zwei Uhr geworden. Er hätte eigentlich wie ein Klotz ins Bett fallen müssen, aber der Schlaf entzog sich ihm. Das Erlebnis der Transplantation hatte ihn aufgepeitscht, und ein schrecklicher Zwang verfolgte ihn, Arthur Garland anzurufen und sich zu entschuldigen.
Es war vier Uhr vorbei, als er endlich einschlief. Spur-geon Robinsons Wecker weckte ihn um sieben. Er hatte von Susan Garland geträumt.
Viel Spaß zum Ball, Schätzchen.
Um etwa acht Uhr beschloß er, aufzustehen, einen kurzen Lauf und dann eine sehr lange Dusche zu absolvieren, nach seiner Erfahrung beides zusammen fast ein Schlafersatz.
Er zog seinen Turnanzug und die Turnschuhe an, ging hinunter und begann dahinzutraben. Als er um die Ecke zum Negerviertel bog, sah er, daß der kleine Junge bereits aus der Höhle geflohen war, die seine Familie bewohnte.
Der Junge hockte im Rinnstein und siebte Staub. Sein dunkles Gesicht leuchtete auf, als er Adam müde auf sich zutrotten sah.
»Mensch, wer ist hinter dir her?« flüsterte er.
»Das Todeskomitee«, antwortete Adam.
ZWEITES BUCH
Herbst und Winter
5
RAFAEL MEOMARTINO
Die einzigen Geräusche im Büro Rafe Meomartinos waren die Stimme der Frau und das Singen der komprimierten Luft, die wie Blut durch die Rohre kreiste, die an der Dek-ke des kleinen Raumes entlang liefen. Das summende Geräusch erfüllte ihn immer mit dem Gefühl einer unerklärlichen heimwehkranken Euphorie, bis er eines Morgens erkannte, daß es dasselbe Gefühl war, das er in einer anderen Welt, in jenem anderen Leben erlebt hatte, als er auf der Veranda des Klubs saß,El Ganso Oro, der »Goldenen Gans«, eines der Stammlokale seines Bruders am Prado; damals war er zwar von Alkohol betäubt gewesen, aber er hörte doch, wie der heiße kubanische Wind in den Palmen krächzend stöhnte, ähnlich dem Geräusch, das jetzt aus den Heißluftrohren des Krankenhauses kam.
Sie sieht müde aus, dachte er, aber es war nicht nur Müdigkeit, die die Gesichter der beiden Schwestern unterschied; die Frau auf Zimmer zu hatte einen weichen, fast schlaffen Mund, etwas schwächlich vielleicht, aber auch sehr feminin. Der Mund dieser Zwillingsschwester war ... eher weibhaft als weiblich, entschied er. Da war keine Schwäche. Wenn die harten, gemeißelten Züge durch das Make-up hindurch überhaupt etwas ausstrahlten, dann war es die Andeutung einer Sprödigkeit, die wie eine Schutzmaske über dem Gesicht lag.
Während er sie beobachtete, strichen seine Finger über die winzigen Engel, die als Basrelief in die schweren Silberdeckel seiner Taschenuhr, die jetzt vor ihm auf dem Schreibtisch lag, gebosselt waren. Das Spielen mit der Uhr war eine Schwäche, ein nervöser Fetischismus, in den er nur verfiel, wenn er sich in einem Spannungszustand befand; als er es merkte, ließ er davon ab.
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