«Ich sehe Carmen im Fernsehen.»
«Ich schmuggle dich morgen ein. Der letzte Ort, wo dich irgendwer sucht, ist die Fernsehkabine; dein Gesicht ist nicht gerade auf jeder Plakatwand zu sehen.»
«Ein Verlust für England.»
«Dir geht's ziemlich beschissen, nicht?»
Harriet spielte mit ihrem Löffel. «Merkt man mir das so sehr an?»
«Nein, aber ich bin ja nicht blöd. Ich möchte nicht in deinen Schuhen stecken.» Sie blickte unter den Tisch. «Selbst wenn sie die richtige Größe haben.»
«Jane, glaubst du, Carmen weiß etwas von dieser Hochzeitsgeschichte?»
«Keine Ahnung.»
«Lavinia muß das ausgebrütet haben. Carmen würde es mir erzählen.»
«Ich möchte doch hoffen, daß sie es dir erzählen würde, aber in Wimbledon sind die Leute komisch.»
«So komisch nun auch wieder nicht.»
«Ich würde keine Fragen stellen, bis das Finale gelaufen ist. Sie aufzuregen bringt nichts.»
In einem kleinen, aber sauberen Zimmer eines Hotels mittlerer Preislage bumste Carmen Bonnie Marie Bishop wie ein Weltmeister. Carmen hatte ihre Termine sorgfältig koordiniert. Harriet stellte selten sexuelle Ansprüche während eines großen Turniers, also hatte Carmen genug Energie. Bonnie Marie schmolz in ihren Armen dahin, und da gab es viel zu schmelzen. Bonnie Marie würde nie bekennen, daß sie lesbisch war. Sie war neu. Keine Vergangenheit. Keine Probleme. Sie war wunderbar.
Wenn die Direktoren des Rasentennis- und Krocketclubs von England ein Greuel waren, war das englische Publikum eine Pracht, vor allem die älteren Bürger. Noch auf den hintersten Sitzen konnten sie einen Vorhand-Topspin von einer flachen Vorhand unterscheiden. Und wenn sie sich ein Match ansahen, war es für sie nicht ein vereinzeltes Ereignis, sondern fügte sich in eine fortlaufende Kette, die ihr ganzes Leben durchzog. Sie erinnerten sich an Lew Hoad gegen Ken Rosewall, und wenn nicht sie selbst, dann hatten ihre Mütter und Väter 1912 Anthony F. Wilding gegen Arthur Gore gesehen. Wimbledon war eine von den klangvollen Noten in der Symphonie des engli- sehen Lebens. Balljungen in Lila und Grün, die wie ins falsche Jahrhundert versetzte Pagen aussahen, begaben sich auf den Platz. Gestern hatte einer der Balljungen Carmen zugezwinkert. Ganz schön frech, aber nett.
«Was meinst du?» Die etwas weitsichtige Jane hielt das Auslosungsblatt auf Armlänge.
«Carmen wird es in zwei Sätzen gewinnen. Rainey Rogers im Halbfinale wird ein Aas sein. Das Viertelfinale gegen Justine Haverford müßte sie eigentlich hinkriegen», prophezeite Ricky.
«Allerdings wird das ganze Land Justine die Daumen drücken.»
«O Gott, seht euch Lavinia an», rief Jane.
Lavinia Sibley Archer, erst durch einen Wodkacocktail gestärkt, schwebte durch die Menge. In Gelb gehüllt, bewegte sie sich in einer Feierlichkeit, als würde sie zu «Pomp and Circumstance» marschieren. Ältere Zuschauer erkannten sie, was sie in Entzücken versetzte. Mit zusammengesteckten Köpfen informierten die Leute einander, wer wer war. Lavinia strahlte heute. Sie war erleichtert gewesen, als sie in der Morgenzeitung die Klatschnotiz über Gerüchte einer bevorstehenden Hochzeit Carmen Semanas fand. Sie hoffte von ganzem Herzen, nichts von dem, was in England passieren würde, möge für ihr Baby, die Tomahawk-Turnierrunde, Folgen haben. Sie würde nach Kräften dafür sorgen, daß es ohne Folgen blieb. Als sie sich schließlich setzte, tat sie, als wäre sie von den beiden Frauen gefesselt, die Position auf dem Platz bezogen. In Wahrheit hörte sie auf das Tuscheln hinter ihr. Ja, sie erinnerten sich an sie.
«Ein alter Feuerwehrgaul.» Ricky schüttelte den Kopf.
«Sie hat es verdient.» Jane war fair.
«Erfolg, an den man sich erinnert, kann genauso süß sein wie gerade errungener Erfolg.»
Außerhalb der Reichweite von Kameras machte sich Harriet hinter ihnen klein und griff nach dem beiseite gelegten Auslosungsblatt. Da Carmen gegen Rainey Rogers antrat, traf Page Bartlett Campbell auf Hilda Stambach, falls die Spielerinnen wie erwartet gewannen, aber da Susan und Page auf derselben Seite der Auslosung standen, gab es da ein Fragezeichen. Susan war unberechenbar. Auf Rasen war Hilda tückisch. Ihr VorhandTopspin glich Björn Borgs Vorhand. Auf Rasen war sie als Gegnerin ein Maschinengewehr.
«Wenige Frauen haben den Mut, ganz und gar auf Leistung zu setzen. Das ist eine Sache, die mir an der Tenniswelt gefällt. Die Frauen an der Spitze haben keine Angst, ihr Können zu zeigen.» Ricky rieb sich die Hände.
Carmen gewann das Match 6:3, 6:4. Jane bemerkte, daß Carmen zu den Tribünen hinaufblickte. So hielt Carmen immer nach Harriet Ausschau. Jane beobachtete sie eine Weile. Carmen hatte mit Sicherheit jemand im Visier. Jane hoffte, daß Harriet es nicht bemerkte, aber Harriet hatte es schon bemerkt, noch ehe der erste Satz 2 : 1 stand.
Miguel war drauf und dran, seine Kartoffelchips durch Valium zu ersetzen. Sein Partner in Hongkong kam für Wimbledon herübergeflogen. Die neuesten Meldungen waren zwar nicht katastrophal, aber doch deprimierend. Der Umsatz war abgesackt. Miguel hatte die letzte Kreditrate pünktlich gezahlt, aber die nächste stand ihm in drei Monaten bevor.
Miguel betrog Carmen nicht. Er hatte vor, 10 Prozent des Profits beiseite zu legen und Carmens Konto gutschreiben zu lassen. Noch war er dazu nicht gekommen, aber er sagte sich, daß er einen Gewinn schließlich erst aufteilen könne, wenn der Kredit zurückgezahlt sei.
Er haßte es, Lavinia gegenüber an Boden zu verlieren, aber vielleicht rettete ihr Plan sie allesamt. Auf keinen Fall wollte er Carmen erzählen, was er getan hatte.
Als er von einem abgelegenen Tennisplatz zurückkam, erspähte er Ronnie Baldwin. Flink wie eine Katze packte er Baldwin am Arm und zog ihn aus dem Verkehr.
«Miguel.» Der Tennisspieler hatte Angst.
«Verdammt, warum hast du Seth Quintard von dem Koks erzählt?»
«He, Mann, ich hab's ihm nicht erzählt.»
Miguel, ein starker Bursche, packte fester zu. «Natürlich hast du es ihm erzählt.»
«Laß mich los.»
Miguel ging ihm an die Kehle. «Warum?» Dann ließ er den erschrockenen Spieler los.
«Mein Spiel war beschissen, und er rückte mir auf die Pelle. Also hab ich's ihm schließlich erzählt - hatte zuviel Koks genommen. Es ist einfach passiert, weißt du.»
«Baldwin, ich breche dir jeden Knochen im Leib, wenn du nicht das Maul hältst.»
«Er war der einzige, dem ich's erzählt habe. Ehrlich.»
«Das reicht ja wohl. Ich hab für dich was riskiert, du Scheißkerl.»
«Das weiß ich. Das weiß ich, Miguel, und ich werd's wiedergutmachen. Echt. Ich schwör's dir.»
Angewidert kehrte ihm Miguel den Rücken zu und ging davon.
Das emotionale Wechselgeld, die kleinen Münzen der Liebe, die Küsse auf die Wange, das Vorlesen aus den Zeitungen, gab es ungehindert weiter. Carmen wachte jeden Morgen auf, tastete nach Harriet, umarmte sie, stand auf, putzte sich die Zähne, duschte und machte sich dann in der Küche ein riesiges Schinkensandwich. Sie machte auch eines für Harriet. Sie plauderten, wenn Carmen die Zeitung gelesen hatte. Harriet erfand Liebesbriefe von Baby Jesus und las sie vor. Carmen lachte.
Aber Harriet spürte, daß auf ihrem Paradiesweg Unkraut sproß. Wäre Carmen älter gewesen oder emotional weniger sprunghaft, hätte sie diese Affäre vielleicht mit der Würde fortgesetzt, die sie beide verdienten. Harriet war nicht so dumm zu glauben, daß Carmen ihr körperlich treu bleiben würde, bis daß der Tod uns scheidet. Allerdings glaubte sie, ihre Freundschaft und die gemeinsamen Ziele würden sie lebenslang fest aneinander binden. Einmal hatte Carmen auf den Knien gelegen und geschluchzt, sie werde Harriet lieben, bis eine von ihnen stürbe. Harriet hatte ihr geglaubt.
Читать дальше