»Nein, danke.«
»Schatz, du gibst dir selbst ja keine Chance!«
»Nein!«, schimpfte Isobel. Sie legte unwirsch ihre Nadel fort und sah auf. » Du gibst mir keine Chance! Du behandelst mich so, als bestünde mein einziger Daseinszweck darin, einen Ehemann zu finden! Was ist mit meiner Arbeit? Was ist mit meinen Freunden?«
»Was ist mit Kindern?«, entgegnete Olivia scharf.
Röte stieg in Isobels Gesicht.
»Vielleicht bekomme ich einfach ein Kind ohne Mann«, sagte sie nach einer Pause. »So was soll vorkommen, weißt du.«
»O nein, sei nicht albern«, meinte Olivia verärgert. »Ein Kind braucht eine richtige Familie.« Sie trug die Teekanne zum Tisch hinüber, setzte sich und schlug ihr rotes Buch auf. »Gut. Was muss noch erledigt werden?«
Regungslos starrte Isobel die Teekanne an. Sie war groß und mit Enten bemalt; seit sie sich daran erinnern konnte, hatten sie sie für den Familientee benutzt. Seitdem sie und Milly Seite an Seite in passenden Kitteln dagesessen und mit Marmite bestrichene Sandwiches gegessen hatten. Ein Kind braucht eine anständige Familie. Was zum Teufel war eine anständige Familie?
»Weißt du was?« Olivia sah überrascht auf. »Ich glaube, für heute habe ich alles erledigt. Auf meiner Liste ist alles abgehakt.«
»Gut«, sagte Isobel. »Dann kannst du heute Abend ja mal abschalten.«
»Vielleicht sollte ich mich bloß noch mal schnell mit Harrys Assistenten kurzschließen.«
»Nichts da«, sagte Isobel bestimmt. »Das hast du doch schon tausendmal. Jetzt trink einfach in aller Ruhe deinen Tee und entspann dich.«
Olivia goss den Tee ein, trank einen Schluck und seufzte.
»Herrje!« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Ich muss schon sagen, es gab Zeiten, da habe ich nicht gedacht, dass wir für diese Hochzeit noch alles rechtzeitig auf die Reihe bekommen würden.«
»Tja, nun ist es aber so«, erwiderte Isobel. »Also solltest du diesen Abend mit etwas Angenehmem verbringen. Nicht mit Gesangsblättern. Nicht mit Schuhbesätzen. Mit etwas Lustigem!« Sie sah Olivia streng an, und als das Telefon klingelte, fingen sie beide zu kichern an.
»Ich geh schon«, meinte Olivia.
»Wenn es Milly ist«, sagte Isobel rasch, »dann lass mich bitte ran.«
»Hallo?«, sagte Olivia. Sie verzog vor Isobel das Gesicht. »Guten Tag, Pfarrer Lytton! Wie geht es Ihnen? Ja … Ja … Nein!«
Unvermittelt veränderte sich ihre Stimme, und Isobel sah auf.
»Nein, tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Ja, das ist vielleicht gescheiter. Bis dann.«
Olivia legte auf und blickte Isobel verdattert an.
»Das war Pfarrer Lytton.«
»Was wollte er?«
»Er kommt vorbei.« Olivia setzte sich. »Ich versteh das nicht.«
»Wieso?«, wollte Isobel wissen. »Stimmt etwas nicht?«
»Tja, ich weiß nicht! Er sagte, er hätte da eine Information erhalten und will mit uns darüber sprechen.«
»Eine Information.« Isobels Herz schlug schneller. »Was für eine Information?«
»Keine Ahnung.« Olivia schaute Isobel verwirrt an. »Es hat etwas mit Milly zu tun. Mehr wollte er nicht herausrücken.«
Rupert und Francesca saßen schweigend in ihrem Wohnzimmer und sahen einander an. Auf Toms Vorschlag hatten beide in ihren Büros angerufen und sich für den restlichen Nachmittag frei genommen. Keiner von beiden hatte auf der Taxifahrt zurück nach Fulham ein Wort gesagt. Francesca hatte Rupert gelegentlich einen verletzten, verwunderten Blick zugeworfen; er hatte dagesessen, auf seine Hände gestarrt und überlegt, was er sagen würde. Überlegt, ob er sich eine Geschichte zurechtlegen oder ob er ihr die Wahrheit über sich sagen sollte.
Wie würde sie reagieren, wenn er es tat? Wäre sie wütend? Verzweifelt? Abgestoßen? Vielleicht würde sie sagen, sie hätte schon immer gewusst, dass an ihm etwas anders sei. Vielleicht würde sie versuchen, ihn zu verstehen. Aber wie konnte sie verstehen, was er selbst nicht verstand?
»Gut«, sagte Francesca. »Hier sitzen wir nun also.« Sie sah ihn erwartungsvoll an, und Rupert wandte sich ab. Draußen sangen Vögel, Automotoren wurden angelassen, Kleinkinder schrien, die ihre Kindermädchen in den Wagen drückten. Nachmittägliche Geräusche, an die er nicht gewohnt war. Er fühlte sich unsicher, wie er so im winterlichen Tageslicht dasaß, unsicher angesichts des angespannten, besorgten Blicks seiner Frau.
»Ich finde«, sagte Francesca unvermittelt, »wir sollten beten.«
»Was?« Rupert sah erstaunt auf.
»Ehe wir reden.« Francesca blickte ihn ernst an. »Ein gemeinsames Gebet könnte uns vielleicht helfen.«
»Ich glaube nicht, dass es mir helfen würde«, wandte Rupert ein. Sein Blick wanderte zum Barschrank und wieder weg.
»Rupert, was ist los?«, rief Francesca. »Warum bist du so merkwürdig? Bist du in Milly verliebt?«
»Nein!«, erwiderte Rupert mit Nachdruck.
»Nein?« Francesca machte große Augen. »Du warst nie mit ihr zusammen?«
»Nein.« Wäre er nicht so nervös gewesen, dann hätte er gelacht. »Ich war nie mit ihr zusammen. Nicht in diesem Sinne.«
»Nicht in diesem Sinne«, wiederholte Francesca. »Was soll das heißen?«
»Francesca, du bist völlig auf dem Holzweg.« Er versuchte ein Lächeln. »Schau, können wir das alles nicht einfach vergessen? Milly ist eine alte Bekannte. Schluss, aus.«
»Ich wünschte, ich könnte dir glauben«, meinte Francesca. »Aber es ist doch offensichtlich, dass da etwas läuft.«
»Da läuft gar nichts.«
»Und wovon hat sie dann gesprochen?« Unvermittelt hob sich Francescas Stimme leidenschaftlich. »Rupert, ich bin deine Frau! Wir sollten keine Geheimnisse voreinander haben!«
Rupert starrte seine Frau an. Ihre blassen Augen glänzten leicht, sie rang die Hände. Um ihr Handgelenk trug sie die teure Uhr, die er ihr zum Geburtstag gekauft hatte. Sie hatten sie zusammen bei Selfridges ausgesucht und sich dann Ein Inspektor kommt angeschaut. Es war ein rundum schöner Tag gewesen.
Unvermittelt sagte er: »Ich möchte dich nicht verlieren. Ich liebe dich. Und ich werde unsere Kinder lieben, wenn wir welche haben.« Francesca sah ihn beklommen an.
»Aber«, sagte sie. »Was ist das Aber?«
Rupert erwiderte wortlos ihren Blick. Er wusste nicht, wie er antworten, wo er anfangen sollte.
»Steckst du in Schwierigkeiten?«, fragte Francesca unvermittelt. »Verbirgst du etwas vor mir?« Ihre Stimme nahm einen alarmierten Ton an.
»Nein«, sagte Rupert. »In Schwierigkeiten stecke ich nicht. Ich bin bloß …«
»Was?«, fragte Francesca ungeduldig. »Was bist du?«
»Gute Frage.« Eine unerträgliche Spannung baute sich in ihm auf, und er runzelte die Stirn.
»Was?«, sagte Francesca. »Wie meinst du das?«
Rupert grub seine Nägel in seine Handflächen und holte tief Luft. Es gab nur einen Weg, und der führte vorwärts.
»Als ich in Oxford war«, sagte er und hielt dann inne, »war da ein Mann.«
»Ein Mann?«
Rupert sah auf und begegnete Francescas Blick. Er war ausdruckslos, ahnungslos. Sie wartete darauf, dass er fortfuhr. Sie hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte.
»Ich hatte eine Beziehung mit ihm«, sagte er, den Blick noch immer auf sie gerichtet. »Eine enge Beziehung.«
Er machte eine Pause und wartete, versuchte, sie durch Willenskraft dazu zu bringen, aus seinen Worten die richtige Schlussfolgerung zu ziehen. Scheinbar ewig blieben ihre Augen ausdruckslos.
Und dann geschah es plötzlich. Sie riss die Augen auf und schloss sie wieder wie eine Katze. Sie hatte verstanden. Sie hatte verstanden, was er meinte. Ängstlich sah Rupert sie an und versuchte, ihre Reaktion abzuschätzen.
»Ich verstehe nicht«, versetzte sie schließlich. »Rupert, du redest Unsinn! Das ist pure Zeitverschwendung!«
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