»Du hast mir doch versprochen, die Finger vom Kellnern zu lassen, liebe Amanda«, sagte Allan.
»Das war gelogen, lieber Allan. Das war gelogen.«
* * * *
Als sich die Dunkelheit über das Paradies senkte, versammelten sich die Freunde zu einem Dreigängemenü, zu dem Amanda, Allan und Mao Einstein sie eingeladen hatten. Als Vorspeise gab es sate lilit , als Hauptgericht bebek betutu und zum Dessert jaja batun bedil . Zu trinken gab es tuak wayah , Palmbier, für alle bis auf Benny, der Wasser trank.
Am allerersten Abend auf indonesischem Boden wurde es extrem spät, aber das Vergnügen war noch viel extremer. Nach dem Essen gab es einen pisang ambon für alle außer Allan, der einen Longdrink bekam, und Benny, der eine Tasse Tee vorzog.
Bosse spürte, dass dieser Tag und dieser Abend des Überflusses ein bisschen ausgeglichen werden mussten, daher stand er auf und begann Jesus nach dem Matthäusevangelium zu zitieren (»Selig sind, die da geistlich arm sind«). Bosse meinte, sie könnten alle besser darin werden, Gott zuzuhören und von Gott zu lernen. Und dann faltete er die Hände und dankte dem Herrn für einen höchst ungewöhnlichen und ungewöhnlich guten Tag.
»Das geht wohl klar«, meinte Allan in der Stille, die nach Bosses Worten entstand.
* * * *
Bosse hatte dem Herrn gedankt, und vielleicht dankte der Herr ihm auch, denn für die kunterbunte schwedische Reisegesellschaft in dem balinesischen Hotel hielt das Glück an und wurde immer tiefer. Benny heiratete die Schöne Frau (»Willst du mich heiraten?« – »Ja, zum Teufel! Jetzt und hier!«). Die Hochzeit wurde gleich am nächsten Abend gefeiert und dauerte drei Tage. Die achtzigjährige Rose-Marie Gerdin brachte den Mitgliedern des örtlichen Seniorenclubs bei, wie man das Brettspiel mit der Schatzinsel spielte (aber nur gerade eben so gut, dass sie noch jedes Mal gewann). Der Piranha lag tagein, tagaus unter einem Sonnenschirm am Strand und trank Drinks in allen Regenbogenfarben – mit Schirmchen, versteht sich. Bosse und Julius kauften sich ein Fischerboot, das sie nur noch selten verließen, und Kommissar Aronsson wurde ein beliebtes Mitglied der balinesischen Oberschicht. Er war ja Weißer, bule , außerdem Polizeikommissar und – als wäre das noch nicht genug – stammte aus dem am wenigsten korrupten Land der Welt. Exotischer ging es nicht mehr.
Allan und Amanda spazierten jeden Tag über den schneeweißen Strand vorm Hotel. Sie hatten immer viel Gesprächsstoff und fühlten sich in der Gesellschaft des anderen immer wohler. Sie ließen es gemächlich angehen, denn sie war immerhin schon vierundachtzig, und er stand schon in seinem hundertundersten Lebensjahr.
Nach einer Weile fingen sie an, sich bei der Hand zu halten, natürlich nur, um das Gleichgewicht besser zu halten. Dann beschlossen sie, abends nur noch zu zweit auf Amandas Terrasse zu dinieren, denn mit den ganzen anderen wurde es ihnen einfach zu turbulent. Und zum Schluss zog Allan ganz bei Amanda ein. So konnte man Allans Zimmer an einen Touristen vermieten, was ja viel besser für die Bilanz des Hotels war.
Auf einem der Spaziergänge in den nächsten Tagen brachte Amanda die Frage auf, ob sie es nicht einfach so machen sollten wie Benny und die Schöne Frau, sprich, heiraten, wo sie doch jetzt sowieso schon zusammenwohnten. Allan erwiderte, Amanda sei zwar noch das reinste Kind, aber er könnte sich schon vorstellen, darüber hinwegzusehen. Seine Longdrinks machte er sich inzwischen ohnehin selbst, also gab es von dieser Seite auch keine Bedenken mehr. Kurz und gut, Allan sah keinen Hinderungsgrund für das, was Amanda ihm vorgeschlagen hatte.
»Also, abgemacht?«, fragte Amanda.
»Ja, abgemacht«, sagte Allan.
Und dann nahmen sie sich ganz besonders fest bei der Hand. Nur wegen des Gleichgewichts natürlich.
* * * *
Die Ermittlungen zu Henrik »Humpen« Hulténs Tod verliefen kurz und ergebnislos. Die Polizei forschte in seiner Vergangenheit und verhörte unter anderem auch Humpens ehemalige Kumpels in Småland (gar nicht so weit weg von Gunilla Björklunds Sjötorp), doch die hatten nichts gesehen und nichts gehört.
Die Kollegen in Riga fanden den Trinker, der den Mustang zum Schrottplatz gebracht hatte, aber aus dem war kein vernünftiges Wort herauszubekommen. Einer der Polizisten kam auf die Idee, dem Mann eine Flasche Rotwein zu verabreichen, woraufhin er tatsächlich berichten konnte … dass er keine Ahnung hatte, wer ihn um diesen Gefallen gebeten hatte. Dieser Jemand war einfach eines Tages mit einem Karton Weinflaschen vor seiner Parkbank aufgetaucht.
»Ich war zwar nicht nüchtern«, erklärte der Trinker, »aber so besoffen, dass ich vier Flaschen Wein ablehnen würde, kann ich gar nicht sein.«
Nur ein einziger Journalist meldete sich nach ein paar Tagen noch einmal, um zu hören, wie die Mordermittlung zu Humpen Hultén verlief, doch glücklicherweise musste Staatsanwalt Ranelid dieses Gespräch nicht mehr annehmen. Er hatte sich nämlich Urlaub genommen und einen Last-Minute-Charterflug nach Las Palmas bestiegen. Eigentlich hätte er noch viel weiter wegfliegen wollen. Bali sollte ja sehr schön sein, hatte er sich sagen lassen, aber da kriegte er keinen Platz mehr.
Also musste er sich eben mit den Kanaren begnügen. Und da saß er nun auf seiner Strandliege unter einem Sonnenschirm, mit einem Schirmchen-Drink in der Hand, und überlegte, wo wohl Aronsson abgeblieben sein mochte. Der hatte offenbar gekündigt, seinen gesamten Resturlaub samt Überstunden genommen und war einfach verschwunden.
28. KAPITEL 1982–2005
Das Gehalt von der amerikanischen Botschaft kam Allan ganz gut zupass. Er fand ein rotes Häuschen, nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem er geboren und aufgewachsen war. Das konnte er beim Kauf gleich bar bezahlen. Dann musste er sich noch mit den schwedischen Behörden über die Tatsache herumstreiten, dass es ihn gab. Schließlich gaben sie klein bei und begannen zu Allans Erstaunen eine Rente zu zahlen.
»Warum das denn?«, fragte Allan.
»Weil Sie Rentner sind«, sagte die Behörde.
»Ach ja?«, sagte Allan.
Ja, das Rentenalter hatte er inzwischen locker erreicht. Im nächsten Frühjahr feierte er seinen achtundsiebzigsten Geburtstag, und Allan wurde klar, dass er inzwischen richtig alt geworden war. Entgegen allen Erwartungen und ohne näher darüber nachgedacht zu haben. Wobei er freilich noch wesentlich älter werden sollte …
Die Jahre vergingen in gemächlichem Tempo und ohne dass Allan den Lauf der Weltgeschichte weiter beeinflusst hätte. Er beeinflusste nicht mal den Lauf der Dinge in Flen, wo er ab und zu hinfuhr, um Lebensmittel einzukaufen (bei Großhändler Gustavssons Enkel, der den ICA-Supermarkt betrieb und zum Glück keine Ahnung hatte, wer Allan war). Die Bibliothek in Flen bekam jedoch keinen Besuch mehr von ihm, denn Allan war dahintergekommen, dass man seine Zeitungen auch abonnieren konnte und dass sie dann fein säuberlich in seinem Briefkasten landeten. Äußerst praktisch!
Als der Einsiedler in seiner Hütte bei Yxhult dreiundachtzig geworden war, wurde ihm das Radfahren zwischen Flen und seiner Hütte langsam zu beschwerlich, also kaufte er sich ein Auto. Eine Weile überlegte er, ob er sich auch einen Führerschein zulegen sollte, aber als ihm der Fahrlehrer mit Sehtest und Fahrerlaubnis kam, beschloss Allan, einfach ohne zu fahren. Als der Lehrer mit Kursliteratur, Theorieunterricht , Fahrstunden und abschließender Prüfung in Theorie und Praxis weitermachte, hatte Allan schon lange die Ohren zugeklappt.
1989 zerfiel die Sowjetunion endgültig, und das überraschte den Alten in Yxhult, der sich seinen Schnaps selbst brannte, nicht im Geringsten. Der junge Mann, der jetzt an der Macht war, dieser Gorbatschow, hatte seine Amtsperiode mit einer Kampagne gegen den weit verbreiteten Wodkakonsum der Nation begonnen. Mit so was konnte man die Massen nicht gewinnen, das musste doch jedem klar sein, oder?
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