»Mein lieber Julij. Lass uns erst mit Allan Emmanuel zu ein bisschen Frieden auf Erden beitragen und dann nach New York gehen. Deine Orden kann Breschnew zurückhaben und sie sich in den Hintern schieben.«
Da ergab sich Julij und sagte »Ja« zum gesamten Paket (mit Ausnahme der Orden in Breschnews Hintern), und bald hatten sich Julij und Allan geeinigt, dass Präsident Nixon nicht in erster Linie die Wahrheit hören musste, sondern eher etwas, was ihn glücklich machte. Denn ein glücklicher Nixon würde auch Breschnew glücklich machen, und dann konnte es wohl kaum Krieg geben, oder?
Allan hatte gerade einen Spion rekrutiert, indem er auf einem öffentlichen Platz ein Plakat hochgehalten hatte. Und das im Land mit dem effektivsten Kontrollsystem der Welt. Sowohl ein Hauptmann des sowjetischen Nachrichtendienstes GRU als auch ein ziviler KGB-Mann waren zudem an bewusstem Abend vor dem Bolschoi-Theater zugegen, jeweils mit ihren Gattinnen. Die beiden sahen, wie alle anderen, den Mann mit dem Plakat auf der untersten Treppenstufe. Und beide waren schon zu lange in der Branche, um deswegen einen diensthabenden Kollegen zu alarmieren. Denn wer konterrevolutionäre Umtriebe plante, der benahm sich nicht so himmelschreiend auffällig.
So dumm konnte einfach kein Mensch sein.
Im Übrigen saß mindestens eine Handvoll mehr oder weniger professioneller KGB- und GRU-Informanten in dem Restaurant, in dem die Rekrutierung an diesem Abend geschah. An Tisch neun spuckte ein Mann seinen Wodka übers Essen, barg das Gesicht in beiden Händen, fuchtelte mit den Armen, verdrehte die Augen und ließ sich von seiner Frau ausschimpfen. Kurz und gut: ein völlig normales Gebaren in einem russischen Restaurant, nicht der Erwähnung wert.
So kam es, dass ein politisch tauber amerikanischer Agent globale Friedensstrategien mit einem politisch blinden sowjetischen Kernwaffenchef ausbaldowern konnte – ohne dass KGB oder GRU ihr Veto eingelegt hätten. Als der europäische Chef der CIA in Paris, Ryan Hutton, erfuhr, dass die Rekrutierung gelungen war und demnächst die ersten Lieferungen eingehen würden, sagte er sich, dass dieser Karlsson vielleicht doch professioneller war, als es auf den ersten Blick gewirkt hatte.
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Das Bolschoi-Theater wechselte drei-, viermal jährlich das Programm. Dazu kam mindestens ein Gastspiel pro Jahr, wie das der Wiener Oper.
So ergaben sich für Allan und Julij Borissowitsch eine Handvoll Gelegenheiten, sich in aller Diskretion in Julijs und Larissas Hotelsuite zu treffen, um passende Informationen über die sowjetischen Kernwaffen zusammenzubasteln, die dann an die CIA weitergegeben wurden. Sie mischten Dichtung und Wahrheit so geschickt, dass die Informationen aus amerikanischer Perspektive ebenso glaubwürdig wie ermutigend klangen.
Allans Berichte hatten unter anderem zur Folge, dass Präsident Nixons Beraterstab Anfang der siebziger Jahre auf Moskau zuging, um ein Gipfeltreffen zum Zwecke der beiderseitigen Abrüstung zu erwirken. Nixon fühlte sich sicher, weil er die USA für das stärkere Land hielt.
Präsident Breschnew war dem Abrüstungsvorschlag eigentlich auch nicht abgeneigt, weil seine Berichte ihm wiederum sagten, dass die Sowjetunion das stärkere Land war. Die Sache wurde etwas kompliziert, als eine Putzfrau der CIA-Büros in Paris sehr merkwürdige Informationen an die GRU verkaufte. Sie hatte Dokumente gefunden, die vom Büro der CIA in Paris geschickt worden waren. Darin wurde angedeutet, dass die CIA einen Spion an sehr zentraler Stelle im sowjetischen Nuklearwaffenprogramm hatte. Das Problem war nur, dass die Informationen, die dieser Spion lieferte, überhaupt nicht den Tatsachen entsprachen. Wenn Nixon aufgrund der Angaben, die ein sowjetischer Münchhausen an die CIA schickte, abrüsten wollte, hatte Breschnew sicher nichts dagegen einzuwenden. Aber kitzlig war die Angelegenheit denn doch. Und der Münchhausen musste auf jeden Fall lokalisiert werden.
Breschnews erste Maßnahme bestand darin, den technischen Leiter des Kernwaffenprogramms, den unverbrüchlich loyalen Julij Borissowitsch Popow, zu sich zu rufen und ihn um eine Einschätzung zu bitten, woher diese falschen Informationen gekommen sein könnten. Obgleich die Berichte, die die CIA bekommen hatte, die sowjetische Kernwaffenkapazität deutlich unterschätzten, deuteten die Formulierungen doch darauf hin, dass hier ein Eingeweihter sprach, was natürlich die eine oder andere Frage aufwarf. Daher brauche man Popows fachkundige Hilfe.
Popow las sich also durch, was er sich mit seinem Freund Allan aus den Fingern gesogen hatte, und zuckte mit den Schultern. Jeder x-beliebige Student hätte sich das nach ein bisschen Geblätter in der Bibliothek zusammendichten können, meinte er. Genosse Breschnew solle sich deswegen keine Sorgen machen, wenn Genosse Breschnew einen Rat von einem einfachen Physiker annehmen wolle.
Ja, zu diesem Zweck habe Breschnew Julij Borissowitsch ja zu sich gebeten. Er bedankte sich bei seinem Kernwaffenchef herzlich für die Hilfe und trug ihm noch Grüße an Larissa Alexandrowna auf, Julij Borissowitschs charmante Frau.
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Während der KGB völlig nutzloserweise zweihundert sowjetische Bibliotheken überwachen ließ, in denen sich Literatur zu Kernwaffen befand, überlegte Breschnew weiter, wie er sich zu Nixons inoffiziellen Vorschlägen stellen sollte. Bis zu dem Tag, als – Schockschwerenot! – Nixon von Dickerchen Mao Tse-tung nach China eingeladen wurde! Breschnew und Mao hatten einander vor Kurzem mitgeteilt, dass sie bis auf Weiteres nichts mehr voneinander wissen wollten, und jetzt bestand plötzlich das Risiko, dass China und die USA eine unheilige Allianz gegen die Sowjetunion bildeten. Das durfte selbstverständlich nicht passieren!
Tags darauf erhielt Richard Milhous Nixon, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, daher eine offizielle Einladung in die Sowjetunion. Es folgte harte Arbeit hinter den Kulissen, eines führte zum andern, und schließlich hatten Nixon und Breschnew zwei separate Abrüstungsabkommen nicht nur anvisiert, sondern auch beide unterschrieben. Das eine betraf die Antiroboterroboter (ABM-Abkommen), das andere strategische Waffen (SALT-Verträge). Da die Verträge in Moskau unterzeichnet wurden, nutzte Nixon die Gelegenheit, auch dem Agenten der amerikanischen Botschaft die Hand zu schütteln, der ihn so vorbildlich mit Informationen über die sowjetische Kernwaffenkapazität versorgt hatte.
»Gern geschehen, Herr Präsident«, sagte Allan. »Aber wollen Sie mich jetzt nicht auch zum Abendessen einladen? Das machen sie doch immer so.«
»Wer ›sie‹?«, wollte der verblüffte Präsident wissen.
»Na ja«, meinte Allan, »alle, die zufrieden mit mir waren … Franco und Truman und Stalin … und der Vorsitzende Mao … der im Grunde nichts anderes auftischen ließ als Nudeln … andererseits war es da ja auch schon sehr spät am Abend … und wenn ich’s mir jetzt recht überlege – beim schwedischen Ministerpräsidenten Erlander hab ich bloß einen Kaffee bekommen. Eigentlich auch nicht verkehrt, denn das war ja zu Zeiten, in denen alles rationiert war …«
Glücklicherweise war Präsident Nixon über die Vergangenheit seines Agenten im Bilde, daher konnte er ihm ganz ruhig versichern, dass für ein Abendessen mit Herrn Karlsson leider keine Zeit sein würde. Aber dann fügte er hinzu, dass ein amerikanischer Präsident einem schwedischen Ministerpräsidenten wohl nicht nachstehen durfte, also würde schon eine Tasse Kaffee herausspringen, und ein Cognac noch dazu. Vielleicht jetzt gleich, wenn es ihm recht war?
Allan nahm das Angebot dankend an und erkundigte sich, ob er alternativ nicht einen doppelten Cognac bekommen könnte, wenn er auf den Kaffee verzichtete. Woraufhin Nixon erklärte, dass der amerikanische Staatshaushalt sicher beides hergab.
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