»Ach, der Herr verzeiht schnell, das wird auch der Herr Staatsanwalt merken, wenn er einmal das Buch aufschlägt, das er gerade bekommen hat.«
»Jesus spricht: ›Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen‹ «, warf Bosse ein.
»Johannesevangelium?«, erkundigte sich Kommissar Aronsson, der das Zitat von seiner stundenlangen Bibellektüre in der Hotelbar wiederzuerkennen glaubte.
» Sie lesen die Bibel?«, fragte Staatsanwalt Ranelid verdattert.
Statt zu antworten, schenkte ihm Kommissar Aronsson nur ein frommes Lächeln. Per-Gunnar Gerdin fuhr fort:
»Ich habe für dieses Gespräch einen Ton gewählt, den Humpen von früher kannte – dann gehorcht er vielleicht eher, dachte ich«, erklärte Per-Gunnar.
»Und, gehorchte er?«, wollte Staatsanwalt Ranelid wissen.
»Jein. Ich wollte nicht, dass er sich vor Allan, Julius, Benny und dessen Freundin zeigte, denn ich ahnte schon, dass er mit seiner plumpen Art bei der Gruppe nicht so gut ankommen würde.«
»Und man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass er nicht so gut bei uns ankam«, mischte sich die Schöne Frau nun wieder ein.
»Inwiefern?«, fragte Staatsanwalt Ranelid.
»Na ja, der kam auf meinen Hof geschlendert und schnupfte Tabak und fluchte und verlangte Alkohol … Ich kann ja einiges ab, aber Leute, die jedes Wort mit einem Fluch begleiten müssen, so was ertrage ich einfach nicht.«
Um ein Haar wäre Kommissar Aronsson seine Zimtschnecke in die falsche Kehle geraten. Noch am Vorabend hatte die Schöne hier auf der Veranda gesessen und mehr oder weniger ununterbrochen geflucht. Aronsson spürte, dass er niemals hinter die Wahrheit in diesem Chaos kommen würde. Aber das war in Ordnung. Die Schöne Frau fuhr unterdessen fort:
»Ich bin ziemlich sicher, dass er schon nicht mehr nüchtern war, als er hier ankam – das muss man sich mal vorstellen, der war schließlich mit dem Auto da! Dann fuchtelte er mit seiner Pistole herum, um sich interessant zu machen, und prahlte, die würde er brauchen bei seinen Drogengeschäften in … in Riga, glaube ich. Aber da ging es mit mir durch das kann ich Ihnen sagen, Herr Staatsanwalt, da ging es mit mir durch, und ich schrie ihn an: ›Keine Waffen auf meinem Grundstück!‹, und dann musste er die Pistole auf die Veranda legen. Wahrscheinlich hat er die einfach da vergessen, als er wieder fuhr. Einen übellaunigeren und unangenehmeren Menschen hab ich wirklich noch nie kennengelernt …«
»Vielleicht hat er wegen der Bibeln den Humor verloren«, meinte Allan. »Die Religion tritt ja bei vielen Leuten heftige Gefühle los. Als ich mal in Teheran war …«
»In Teheran?«, entfuhr es dem Staatsanwalt.
»Ja, das ist jetzt schon wieder ein paar Jahre her. Damals herrschten da noch Recht und Ordnung, wie Churchill zu mir sagte, als wir nach Europa zurückflogen.«
»Churchill?«, fragte der Staatsanwalt.
»Ja, der Premierminister. Oder nein, da war er ja gar nicht mehr Premierminister, aber vorher. Und danach übrigens auch noch mal.«
» Verdammt , ich weiß, wer Winston Churchill war, ich verstehe bloß nicht … Sie waren mit Churchill in Teheran?«
»Nicht fluchen, Herr Staatsanwalt!«, mahnte die Schöne Frau.
»Nee, also nicht wirklich zusammen, ich hab da eine Weile mit so einem Missionar gewohnt. Und der war darauf spezialisiert, dass die Leute in seiner Umgebung den Humor verloren.«
Apropos Humor verlieren: Genau dieses Schicksal drohte den Staatsanwalt langsam auch zu ereilen. Er hatte sich gerade dabei ertappt, wie er einem Hundertjährigen sachdienliche Informationen entlocken wollte, der allen Ernstes behauptete, Franco, Truman, Mao Tse-tung und Churchill kennengelernt zu haben. Doch um Staatsanwalt Ranelids Humor machte sich Allan überhaupt keine Sorgen. Ganz im Gegenteil. Also fuhr er fort:
»Der junge Herr Humpen benahm sich die ganze Zeit auf Sjötorp wie eine menschliche Gewitterwolke. Einen Silberstreif sahen wir im Grunde nur einmal, und zwar, als er wieder fuhr. Da kurbelte er das Fenster herunter und schrie: ›Lettland, ich komme!‹ Wir deuteten das so, dass er nach Lettland fahren wollte, aber Sie haben ja mehr Erfahrung mit polizeilichen Angelegenheiten als wir, Herr Staatsanwalt, vielleicht deuten Sie seine Worte anders?«
»Idiot«, sagte der Staatsanwalt.
»Idiot?«, wiederholte Allan. »So hat mich noch keiner genannt. ›Hund‹ und ›Ratte‹, das ist Stalin wohl herausgerutscht, als er vor Wut tobte, aber ›Idiot‹, nein, ›Idiot‹, das ist neu.«
»Dann wurde es aber höchste Zeit, verdammt«, erwiderte Staatsanwalt Ranelid.
Doch da schaltete sich Per-Gunnar Gerdin ein:
»Na, jetzt werden Sie mal nicht wütend, bloß weil Sie die Leute nicht einsperren können, wie es Ihnen gerade passt, Herr Staatsanwalt. Wollen Sie jetzt hören, wie die Geschichte weiterging, oder nicht?«
Doch, das wollte er schon, und eine Entschuldigung murmelte er auch noch. Gut, von Wollen konnte zwar nicht wirklich die Rede sein, aber … es blieb ihm ja kaum etwas anderes übrig. Also ließ er Per-Gunnar Gerdin weitererzählen:
»Zu Never Again muss also gesagt werden, dass Bolzen nach Afrika ging, um Legionär zu werden, Humpen nach Lettland, um sein Drogengeschäft aufzubauen, und Caracas fuhr nach Hause nach … ja, nach Hause eben. Da war bloß noch ich übrig, ganz allein. Obwohl ich natürlich noch Jesus an meiner Seite hatte.«
»Aber hallo«, murmelte der Staatsanwalt. »Erzählen Sie weiter!«
»Ich fuhr also nach Sjötorp zu Gunilla, Bennys Freundin. Humpen hatte noch angerufen und mir die Adresse mitgeteilt, bevor er das Land verließ. Ein bisschen Ehre hatte er denn ja doch noch im Leibe.«
»Hm, dazu hätte ich noch ein paar Fragen«, unterbrach Staatsanwalt Ranelid. »Die erste Frage geht an Sie, Gunilla Björklund. Warum haben Sie sich in den Tagen vor der Abreise einen Bus gekauft – und warum sind Sie überhaupt abgereist?«
Die Freunde hatten am Vorabend beschlossen, Sonja aus der Geschichte herauszuhalten. Sie war ja auf der Flucht, genauso wie Allan, doch ohne dessen bürgerliche Rechte. Wahrscheinlich galt sie nicht mal als Schwedin, und in Schweden war man ja – wie in den meisten Ländern – nicht besonders viel wert, wenn man Ausländer war. Man würde sie also entweder gleich ausweisen oder zu lebenslänglichem Zoo verurteilen. Vielleicht sogar beides.
Doch sobald Sonja als Erklärung wegfiel, musste man wieder Zuflucht zu Lügen nehmen, um zu begründen, warum die Freunde beschlossen hatten, in einem riesigen Bus durch die Lande zu fahren.
»Tja, der Bus ist zwar auf meinen Namen angemeldet«, sagte die Schöne Frau, »aber eigentlich haben Benny und ich den zusammen gekauft, und zwar für Bennys Bruder Bosse.«
»Und der wollte ihn wahrscheinlich mit Bibeln füllen?«, erkundigte sich Staatsanwalt Ranelid, dem inzwischen nicht nur der Humor, sondern auch die Höflichkeit abhanden kam.
»Nein, mit Wassermelonen«, erklärte Bosse. »Möchten Sie wohl mal die süßeste Wassermelone der Welt kosten, Herr Staatsanwalt?«
»Nein, das will ich nicht«, erwiderte Staatsanwalt Ranelid. »Ich will Klarheit in diese Sache bringen, und dann will ich nach Hause fahren und eine Pressekonferenz runterreißen, und dann will ich in Urlaub fahren. Das will ich. Und jetzt will ich, dass wir weitermachen. Warum in Dreiteuf… um alles in der Welt haben Sie Sjötorp mit dem Bus verlassen, kurz bevor Per-Gunnar Gerdin dort ankam?«
»Die wussten doch gar nicht, dass ich unterwegs war«, sagte Per-Gunnar. »Können Sie uns nicht mehr ganz folgen, Herr Staatsanwalt?«
»Nein, es fällt mir schwer«, gab Staatsanwalt Ranelid zu. »Dieser Räuberpistole hätte selbst ein Einstein nur schwer folgen können.«
»Wo Sie gerade Einstein erwähnen …«, begann Allan.
Читать дальше