Doch dann verschwand das Auto, und es wurde wieder ganz still. Die Schöne Frau führte Benny und Allan durch die Personaltür an der Rückseite ins Krankenhaus und von dort in Dr. Erlandssons Zimmer. Dort fuhr sie den Computer des Arztes hoch und loggte sich ein.
Alles verlief nach Plan, und die Schöne Frau kicherte fröhlich, bevor sie plötzlich ohne Vorwarnung eine Serie von Flüchen vom Stapel ließ. Sie hatte gerade gemerkt, dass man nicht so ohne Weiteres ein Rezept über »ein Kilo Antibiotika« ausstellen konnte.
»Schreib doch einfach Erythromycin, Rifamin, Gentamicin und Rifampin auf, jeweils zweihundertfünfzig Gramm«, empfahl Benny. »Auf die Art greifen wir die Infektion gleich von zwei Seiten an.«
Die Schöne Frau sah Benny bewundernd an. Dann lud sie ihn ein, sich selbst an den Rechner zu setzen und zu schreiben, was er gerade gesagt hatte. Benny tat, worum man ihn gebeten hatte, und fügte noch eine Reihe von Medikamenten für eine Notapotheke hinzu, für den Fall der Fälle.
Aus der Poliklinik auszubrechen, war ebenso einfach wie das Einbrechen. Und die Heimfahrt verlief gleichfalls ohne Zwischenfälle. Benny und die Schöne Frau halfen Allan in den ersten Stock, und kurz vor halb zwei wurde auf Sjötorp die letzte Lampe ausgeknipst.
Um diese Zeit waren nicht mehr viele Menschen wach. Aber in Braås, ein paar Kilometer von Sjötorp entfernt, lag ein junger Mann im Bett und wälzte sich unruhig hin und her, weil er ganz dringend eine Zigarette brauchte. Es war Humpens kleiner Bruder, der neue Anführer von The Violence . Vor drei Stunden hatte er seine letzte Zigarette ausgedrückt, und seither verspürte er natürlich den unwiderstehlichen Drang nach einer weiteren. Der kleine Bruder verfluchte sich selbst, dass er vergessen hatte, noch eine Schachtel zu kaufen, bevor am frühen Abend die Bürgersteige hochgeklappt wurden.
Erst hatte er sich vorgenommen, bis zum nächsten Morgen zu warten, aber gegen Mitternacht hielt er es einfach nicht mehr aus. Da kam Humpens Bruder der Gedanke, die guten alten Zeiten wiederaufleben zu lassen und einfach mit Hilfe eines Kuhfußes einen Kiosk aufzubrechen. Aber nicht in Braås, er musste schließlich an seinen Ruf denken. Außerdem würde man ihn schon der Tat verdächtigen, bevor sie entdeckt war.
Das Beste wäre natürlich gewesen, einen Kiosk in einiger Entfernung aufzutun, aber so lange hätte er es einfach nicht mehr ausgehalten. Also verfiel er auf die Kompromisslösung Rottne, die eine Viertelstunde von hier entfernt war. Motorrad und Clubjacke ließ er lieber zu Hause. Stattdessen rollte er kurz nach zwölf in neutraler Kleidung mit seinem alten Volvo 240 durch den Ort. Auf Höhe des Krankenhauses entdeckte er zu seiner Überraschung drei Menschen auf dem Gehweg. Sie standen einfach nur so herum: eine Frau mit roten Haaren, ein Mann mit Pferdeschwanz und hinter ihnen ein furchtbar alter Mann.
Der kleine Bruder dachte nicht weiter über den Vorfall nach (er dachte im Allgemeinen selten über irgendwelche Vorfälle nach). Stattdessen fuhr er noch einen Kilometer weiter, blieb unter einem Baum vor dem Kiosk stehen, scheiterte an der Kiosktür, weil der Besitzer eine Kuhfußsicherung hatte anbringen lassen, und musste mit demselben verzweifelten Verlangen nach einer Zigarette heimfahren, mit dem er gekommen war.
* * * *
Als Allan am Vormittag kurz nach elf aufwachte, fühlte er sich kräftig. Er blickte aus dem Fenster und sah småländischen Fichtenwald, der einen ebenso småländischen See umgab. Allan fand, dass die Landschaft an Sörmland erinnerte. Außerdem sah es so aus, als würde heute ein schöner Tag werden.
Er zog sich die einzigen Kleidungsstücke an, die er hatte, und dachte, er könnte es sich jetzt wohl doch mal leisten, seine Garderobe ein wenig zu erneuern. Weder er noch Julius oder Benny hatten eine Zahnbürste dabei.
Als Allan ins Wohnzimmer kam, saßen die beiden anderen bereits am Frühstückstisch. Julius war am Morgen schon spazieren gegangen, während Benny tief und lange geschlafen hatte. Die Schöne Frau hatte Teller und Gläser auf den Tisch gestellt und ihnen einen Zettel des Inhalts geschrieben, dass sie sich bitte selbst bedienen sollten. Sie war nach Rottne gefahren. Der Brief schloss mit der Anweisung, ein paar Reste von ihrem Frühstück auf den Tellern zu lassen. Um alles andere würde sich Buster kümmern.
Allan wünschte seinen Freunden einen guten Morgen und bekam ebenfalls einen gewünscht. Daraufhin erklärte Julius, er hätte sich gedacht, dass sie einfach noch eine Nacht auf Sjötorp dranhängen sollten, weil die Gegend so bezaubernd war. Allan erkundigte sich, ob der Privatchauffeur eventuell einen gewissen Druck in dieser Frage ausgeübt hätte, vor dem Hintergrund der Schwärmerei, die er gestern an jenem beobachtet zu haben glaubte. Julius antwortete, er habe am Morgen nicht nur Toastbrot und Ei gegessen, sondern auch eine ganze Reihe von Argumenten von Benny zu hören bekommen, warum es besser wäre, den ganzen Sommer auf Sjötorp zu verbringen, aber zu seiner Schlussfolgerung sei er ganz allein gekommen. Wohin wollten sie überhaupt fahren, wenn sie jetzt losfuhren? Brauchten sie nicht so oder so noch einen Tag Bedenkzeit? Um bleiben zu können, mussten sie sich aber auf eine plausible Geschichte einigen, die erklärte, wer sie waren und wohin sie fuhren. Und sie brauchten natürlich die Erlaubnis der Schönen Frau.
Interessiert verfolgte Benny das Gespräch zwischen Allan und Julius und hoffte, dass sie zumindest noch eine Nacht hierbleiben würden. Seine Gefühle für die Schöne Frau waren seit dem letzten Abend mitnichten abgekühlt, vielmehr war er richtig enttäuscht, sie nicht vorzufinden, als er zum Frühstück herunterkam. Trotzdem, in ihrem Brief hatte sie immerhin »War schön gestern Abend« geschrieben. Hatte sie vielleicht das Gedicht gemeint, das Benny deklamiert hatte? Wenn sie nur schon wieder zurück wäre.
Doch es dauerte noch eine knappe Stunde, bis die Schöne Frau auf den Hof bog. Als sie aus dem Auto stieg, sah Benny, dass sie noch schöner war als beim letzten Mal. Sie hatte den roten Jogginganzug gegen ein Kleid getauscht, und Benny fragte sich, ob sie nicht auch noch beim Friseur gewesen war. Eifrig lief er ihr entgegen und rief:
»Schöne Frau! Willkommen zu Hause!«
Direkt hinter ihm standen Allan und Julius und amüsierten sich über die Liebesbezeigungen vor ihren Augen. Doch im nächsten Augenblick verging ihnen das Lächeln auch schon wieder, denn die Schöne Frau ergriff das Wort. Erst ging sie schnurstracks an Benny vorbei, dann an den beiden Männern hinter ihm, um schließlich auf der Vortreppe stehen zu bleiben und sich umzudrehen:
» Ihr Arschlöcher! Ich weiß alles! Und jetzt will ich auch den Rest wissen. Vollversammlung im Wohnzimmer, und zwar JETZT SOFORT!«
Damit verschwand sie im Haus.
»Wenn sie schon alles weiß, was will sie dann noch mehr wissen?«, sagte Benny.
»Sei still, Benny«, sagte Julius.
»Ja, wie gesagt«, sagte Allan.
Und dann trotteten sie schicksalsergeben hinein.
* * * *
Die Schöne Frau hatte ihren Tag damit begonnen, Sonja mit frisch gemähtem Gras zu füttern und sich dann anzuziehen. Widerwillig musste sie sich eingestehen, dass sie diesem Benny gefallen wollte. Daher tauschte sie den roten Jogginganzug gegen ein hellgelbes Kleid und bändigte ihr Wuschelhaar zu zwei geflochtenen Zöpfen. Außerdem hatte sie sich leicht geschminkt und ihr Werk mit etwas Duftwässerchen gekrönt, bevor sie sich in ihren roten Passat setzte und nach Rottne fuhr, um Lebensmittel einzukaufen.
Buster saß wie immer auf dem Beifahrersitz und kläffte kurz, als das Auto vor dem ICA-Supermarkt in Rottne vorfuhr. Hinterher hatte sich die Schöne Frau gefragt, ob Buster wohl deswegen gekläfft hatte, weil er den Titelseitenaushang des Expressen gesehen hatte. Auf dem Plakat sah man zwei Bilder – eines ganz unten zeigte den alten Julius und eines ganz oben den uralten Allan. Der Text lautete:
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