Kleine viereckige Marabus erhoben sich auf den grauen Hügeln und waren mit bunten Fahnen geschmückt. Sand knirschte unter den Rädern des Autobusses. Das Land war flach und einfach. Über den gelben Sand wölbte sich drohend der gelbe Himmel. Die gelbe Sonne hing über der Erde wie eine glühende Fackel. Hin und wieder spukten am Horizont Oasen, Palmen und Brunnen. Unwirklich leuchtete in der durchglühten Luft die Fata Morgana. In der Ferne erhoben sich zackige fahle Felsen des Dschebels. Sengende Glut ergoß sich über die Wüste. Die Formen der Umwelt verschwanden in der Flut des heißen Sandes. Hügel, kraterartig und fremd, erhoben sich am Wegrand. Manchmal eine Wasserpfütze rätselhafte Wasserinsel im Sandmeer.
Mehari — schlanke Reitkamele — zogen vorbei, und der Schrecken der großen Wüste nistete in ihren Augen. Männer mit verschleierten Gesichtern standen am Rande der Oasen, und das Radio spielte einen Walzer.
Dann kam die Nacht. Plötzlich und ohne Dämmerung verschwand die Sonne. Traubenartige Sterne hingen über der Wüste. Der Autobus hielt vor einem kleinen Hotel. Kraftlos sank John ins Bett und sah am Fenster die länglichen Schatten der Palmen und ein verschleiertes Kind, das ängstlich zum Fremden emporblickte.
Und wieder kam der Tag, wieder hing über der Wüste die gelbe Sonne. Langsam fuhr der Autobus durch das Land. Auf den Hügeln standen die Wüstengendarmen und blickten mit gleichgültigen Augen auf den Autobus. Hoch im Himmel hing regungslos und gelb ein Regierungsflugzeug. John blickte auf das Flugzeug und dachte an das Mittelmeer, das die Welten trennt und verbindet. Oben im Flugzeug saß der Pilot, blickte auf den Autobus und dachte an den Wind, der um die Mittagszeit von unten kommt, und an die Regierung von Libyen, die ihn in die ferne Oase geschickt hatte, weil ein Scheich erkrankt war und Medizin brauchte.
Im Castello, im uralten Gebäude am Meer, saß die Regierung von Libyen und dachte an den kranken Scheich, an den Piloten und an den Autobus, der nach Gadames fuhr. An vieles dachte die Regierung von Libyen. Irgendwo in der tunesischen Sahara wütete der Typhus. An den verschlossenen Grenzen pochten die Karawanen von Pilgern. Die Männer aus dem Stamme Tarki trugen lange Zöpfe, in denen die Typhuslaus nistete. An alles mußte die Regierung denken: wie man den Männern aus dem Stamme Tarki beibringt, die Zöpfe abzuschneiden, wie man die Kinderehen in den Oasen abschafft, wie man dem trockenen Sande der Sahara Wasser abgewinnt.
Im Castello, im uralten Turm, saß die Regierung von Libyen. Papiere stauten sich auf dem Tisch der Regierung, und die Regierung wußte alles: — sie wußte, daß in der Oase Mitsurata ein eingeborenes Weib ein uneheliches Kind gebar und es für ehelich erklären wollte, sie wußte, daß Neger aus dem innersten Afrika sich am Brunnen an der ägyptischen Grenze ansiedeln wollten, sie wußte, daß in den fernen Oasen das Trachom, das Leiden Afrikas, wütete.
Am Schreibtisch im Castello saß die Regierung Libyens und wußte, daß die Höhlenmenschen eine Schule brauchten und einen Lehrer für Ackerbau, sie wußte, daß in Leptis Magna ein verschüttetes Haus gefunden worden war und ausgegraben werden sollte. Sie wußte, daß das Wasser in der Oase Murzuk salzhaltig war und daß in der Oase Bu-Sabat Ölspuren gefunden wurden. Sie wußte von den unterirdischen Strömen, die durch die Sahara ziehen, von Ruinen alter Burgen und von Frauen aus dem Volke Tarki, die über die Männer herrschten. Sie wußte von den weißen und gelben, braunen und schwarzen Völkern der Wüste, sie wußte von der Filmgesellschaft, die einen Film über die Wüste machen wollte, und sie wußte von John Rolland, der im Autobus durch die Sahara fuhr und in Wirklichkeit Abdul-Kerim hieß. Alles wußte die Regierung. Und der Telegraphist in Gadames, die Offiziere der Garnison, der Portier des Hotels wußten, daß Abdul-Kerim, Prinz aus dem Hause Osman, nach Gadames fährt, daß die Regierung um sein Prinzentum weiß und sein Schweigen achtet.
Alles wußte die Regierung, alles, was in den Wüsten und Oasen Libyens geschah. Was aber in Wien geschah, wußte die Regierung nicht. Es war ihr ganz gleichgültig, was in Wien geschah, ganz unwichtig war ihr, daß eine blonde Frau im großen Geschäft am Graben einen Atlas der Libyschen Wüste kaufte und ein dickes Buch mit dem Titel: »Die Wunder der Sahara«. Zu Hause, im Salon mit den Erkerfenstern saß dann diese Frau über den Atlas gebückt, ihre Finger verfolgten den Weg von Tripolis zu den Felsen des Dschebel, über die Oase Nablus und über die Burg Tguta. Tief gebückt saß die Frau über dem Atlas, als der Finger Gadames fand, die Perle der Sahara. Später blätterte die Frau im dicken Buch, und das Telegramm lag verknüllt und zerfetzt im Papierkorb.
Das alles wußte die Regierung Libyens nicht, und es ging sie auch nichts an. Auch John Rolland wußte es nicht. Er saß am Radio, in der Bar des zweistöckigen Autobusses. Trockener Wind schlug an das Fensterglas. Toter Sand wirbelte in der Wüstenluft, sengend hing die Sonne im gelben Himmel. Einst kämpften hier, in der Wildnis der großen Wüste, die Regimenter des Hauses Osman, aber es war besser, nicht daran zu denken, denn tot und regungslos war das Gestein, und in der Ferne zeigten sich die Palmen von Gadames — sie glichen grünem Moos und streckten ihre Zweige dem gelben Himmel entgegen. Der Autobus fuhr um eine alte Mauer und blieb mit einem Ruck stehen. Aus einem Loch in der Mauer trat ein Mann mit verschleiertem Gesicht und lachenden Augen. Er ergriff die Koffer. John folgte ihm, und Sam Dooth ging hinterher. Ein palmen-umgürteter Platz zeigte sich. Ein einstöckiges, längliches rötliches Haus mit schön geschwungenen weichen Linien stand in der Mitte. »Hotel Ain-ul-Fras.«
John trat ein. Der Diener trug die Koffer in die Zimmer. An der Portierloge blieb John stehen.
»Herr John Rolland?« fragte der Portier.
John nickte erstaunt.
»Ein Telegramm für Sie.«
Er steckte den Umschlag in die Tasche und ging in den kleinen Garten. Dort las er:
»Bin nur eine Frau, will nicht über die Männer herrschen. Asiadeh.«
John faltete das Telegramm und verließ den Garten. In der sengenden Glut des Mittags roch die Erde nach Brand. Das Zimmer war gelblich wie der Sand der Wüste. Irgendwo lag Wien, irgendwo war Asiadeh, aber alles war unwirklich, fern und flatternd, wie der Sand vom Wüstenwind verweht.
Dr. Kurz machte einen Rundgang durch sein Sanatorium. In den Spielzimmern saßen üppige Rumäninnen und spielten Bridge. Im Lesezimmer blätterte ein nervöser Literat in den Zeitungen und klagte über Kopfschmerzen. Eine Schar älterer Patientinnen saß auf dem Balkon und unterhielt sich leidenschaftlich über Schizophrenie und Diabetes.
Kurz ging in den Garten. Auf den Bänken der langen Alleen saßen Melancholiker und stritten über Selbstmord. Kurz lächelte liebenswürdig und verständnisvoll. Er verschrieb den Melancholikern Essigabreibungen und den Nervösen eine moderne Diät. Den Frauen mit Depressionszuständen verschrieb er Unterhaltung und Umgang mit Männern. Er tat es seit Jahren und hatte damit gute Erfahrungen gemacht. Frauen waren wie unmündige Kinder, nur um vieles leichter zu behandeln. Ein erfahrener Nervenarzt hatte da seine Erfahrungen.
Jede Frau konnte man erobern, aber nicht bei jeder verlohnte es sich.
Dr. Kurz beendete den Rundgang und ging in sein Arbeitszimmer. Ja, jede Frau konnte man haben, es war wie eine mathematische Aufgabe, wie eine Gleichung mit wenigen Unbekannten. Kurz setzte sich an den Schreibtisch und sagte ins Telephon:
»Schwester, ich bin jetzt mit wissenschaftlicher Arbeit beschäftigt und für niemanden zu sprechen.«
Dann legte er ein Bein über das andere und zündete sich eine Zigarette an. Die wissenschaftliche Arbeit hieß Asiadeh.
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