Der ruhige Flug sollte auch dazu dienen, seinem Passagier allmählich das Selbstvertrauen wiederzugeben.
Curry litt noch immer an Schwindelanfällen. Seine Abneigung gegen das Fliegen hatte er nicht ablegen können, doch immerhin gelang es ihm, seine Magenkrämpfe unter Kontrolle zu bekommen, sodass er sich nur noch selten übergab.
An dem Nachmittag, als sie in Puerto Carreño landeten, war es bereits einen Monat und einen Tag her, dass sie ihre Reise angetreten hatten.
Leider war Evilasio Morales, genannt El Catire, seit Jimmies letztem Besuch nach Leticia am Ufer des Amazonas versetzt worden. Der schwarze Ciro Cifuentes hatte durch den Biss einer Klapperschlange ein Bein verloren und sich in seiner Heimatstadt Barquisimeto zur Ruhe gesetzt.
Juan Vicente Gómez hielt in Venezuela immer noch die Zügel fest in der Hand; dennoch war der neue Kommandant des Grenzpostens in Puerto Páez ohne zu zögern bereit, ihnen die Nutzung des venezolanischen Luftraums zu gestatten.
Jimmie wählte die Flugroute mit äußerster Vorsicht aus, denn er konnte sich noch sehr gut an den anstrengenden Flug über das Bergland von Guayana erinnern.
Die Gipsy Moth war zwar zehn Jahre jünger als die alte Bristol Piper, durch den Unfall aber so lädiert, dass sie den abrupten Druckschwankungen, tückischen Luftlöchern und wechselnden Winden, die er damals mit dem Schotten erlebt hatte, nicht hätte standhalten können.
Also entschied er sich, erneut einen Umweg zu machen und dem Lauf des Orinoco zu folgen, bis sie Ciudad Bolívar erreichten, etwa dreihundert Kilometer von der Stelle entfernt, an der sich laut McCracken der Heilige Berg befand.
Ein Berg mit einem Herzen aus Gold und Diamanten.
»Hast du nie an ihm gezweifelt?«, wollte Curry wissen, nachdem sie in einem kleinen Restaurant auf einer Anhöhe über der Stadt mit einem wunderschönen Blick auf den breiten Fluss zu Abend gegessen hatten. »Hast du nie an die Möglichkeit gedacht, dass er dich übers Ohr gehauen haben könnte?«
»Nicht eine Sekunde.«
»Ich kann nur hoffen, dass du Recht behältst. Ich selbst werde die ganze Zeit von Zweifeln geplagt«, vertraute ihm sein Freund an. »Kannst du dir vorstellen, was es bedeuten würde, wenn wir einer Schimäre hinterherjagen würden, nur weil er sich einen dummen Scherz mit uns erlaubt hat?«
Der König der Lüfte schüttelte heftig den Kopf, während er sich in aller Ruhe seine Pfeife stopfte.
»Erstens habe ich blindes Vertrauen in den Alten. Und zweitens vergisst du, dass ich schon mal auf diesem Berg war und das Gold und die Diamanten mit eigenen Augen gesehen habe.« Er tippte mit dem Mundstück der Pfeife auf das Abzeichen der imaginären Geschwader des Goldenen Reihers, das er nun um den Hals trug. »Drittens stammt dieses goldene Abzeichen von da und ich weiß, so wahr ich Jimmie Angel heiße, dass es auf dem Gipfel des Tafelbergs noch mehr davon gibt.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.«
»Nun, Gott kann mich hören und er weiß, dass ich die Wahrheit sage. Etwas anderes ist, ob es uns gelingt, den Berg zu finden, aber das hängt jetzt allein von uns ab.«
Sie blieben wortlos sitzen, bis ein riesiger gelb leuchtender Mond über dem Fluss aufging. Der ehemalige Rennfahrer betrachtete ihn eine Weile und sagte schließlich: »Weißt du was? Auch wenn es mir da oben verdammt schlecht geht, ich mir vor Angst in die Hose gemacht habe, als wir verunglückt sind, und deine Frau mich für einen Vollidioten hält — ich bin verdammt froh, dass wir es wenigstens bis hierher geschafft haben.«
»Froh oder stolz?«
»Beides. Ich glaube, dass man nicht froh sein kann, wenn man nicht auch stolz auf das ist, was man tut«, antwortete Curry überzeugt. »Tief im Innern bin ich froh, dass ich den Mut aufgebracht habe, alle Brücken abzubrechen. Nicht weil ich scharf auf das viele Geld bin, sondern weil ich endlich der sein kann, der ich mal war, statt hinter dem Tresen einer Kneipe zu verkümmern.« Er lächelte, was Jimmie aber nicht sehen konnte. »Ich weiß nicht, ob du es gemerkt hast, aber seit wir Springfield verlassen haben, habe ich keinen einzigen Tropfen Alkohol angerührt.«
»Wahrscheinlich weil jedes Bier so viel kostet wie ein Liter Sprit«, scherzte sein Freund. »Und wenn du uns auch nur einen halben Liter Sprit wegsäufst, breche ich dir sämtliche Knochen.«
»Dieses Leben gefällt mir.«
»Ja, weil man das Leben hier spürt, statt einfach nur dahinzuvegetieren.«
»Wenn es so ist, dann musst du intensiver gelebt haben als alle Menschen, die ich kenne.«
»So weit will ich gar nicht gehen«, erwiderte Jimmie. »Aber es stimmt, dass ich in einem magischen Augenblick geboren wurde: Als der Mensch entdeckte, dass er fliegen kann, obwohl Gott ihm keine Flügel geschenkt hat. Ein Pionier bei dieser unglaublichen Herausforderung zu sein, Tag und Nacht dazu beizutragen, dass dieser Traum Wirklichkeit wird, und am Leben zu bleiben, um darüber berichten zu können, ist für mich das größte Geschenk, das man einem Menschen machen kann. Wenn das intensiv leben heißt, dann muss ich dafür sehr dankbar sein.«
»Vor allem, wenn du als Zugabe noch eine Goldader geschenkt bekommst.«
»Es wäre ein wunderschöner Abschluss für ein erfülltes Leben, meinst du nicht?« Jimmie hob den Finger. »Aber eins darfst du nicht vergessen. Nicht wir werden diese Goldader oder Goldmine entdeckt haben, wie immer du sie nennen willst. Diese Leistung gebührt jemand anderem. Wir haben es seiner Großzügigkeit zu verdanken, dass wir hier sind. Und denk auch dran, dass wir zehn Prozent von unserem Gewinn an Wohltätigkeitsorganisationen spenden müssen.«
»An welche eigentlich?«
»Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nicht nachgedacht. Aber überall gibt es Not, die man lindern kann.«
Lange Zeit schwiegen sie, bis Curry vergnügt erklärte: »Ich glaube, mir ist gerade etwas klar geworden. Auf mich wartet niemand, der mit Scheidung droht. Deshalb habe ich auch keinen Grund, in einem Monat zurückzukehren. Ich fühle mich hier sehr wohl. Also werde ich noch eine Weile bleiben und später gemütlich auf einem Luxusdampfer zurückkehren, ohne mir auf dieser Scheißbank in der Gipsy den Arsch wund zu sitzen.«
»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, antwortete sein Reisegefährte. »Die Gipsy Moth ist in einem derart jämmerlichen Zustand, dass ein Rückflug so gut wie ausgeschlossen ist. Sie wird wahrscheinlich in Venezuela ihren Geist aufgeben. Wir können von Glück sagen, wenn sie es bis zum Tafelberg schafft.«
»So schlimm ist es?«, fragte sein Freund beunruhigt.
»Was soll ich dir sagen? Auch wenn es mir total gegen den Strich geht, muss ich Virginia in diesem Fall Recht geben. Mit dieser Kiste werden wir nicht sehr weit kommen.«
So übertrieben pessimistisch Jimmies Worte auch klingen mochten, wenn man sich die Maschine bei Tageslicht ansah, musste man als vernünftiger Mensch einfach zugeben, dass der erfahrene Pilot vollkommen Recht hatte.
Seit sie das fremde Fahrwerk angebracht hatten, sah die Gipsy Moth nicht nur aus wie ein Zwerg mit riesigen Beinen und Füßen, sondern hatte auch ihre vorzüglichen Flugeigenschaften eingebüßt.
Um sie im Gleichgewicht halten zu können, hatte Jimmie am Heck einen schweren Amboss anschweißen müssen. Es war ein Wunder, dass ein Pilot, selbst ein so erfahrener wie Jimmie, das altersschwache Wrack überhaupt in die Luft bekam.
Angesichts der haarsträubenden Manöver, die nötig waren, um die Maschine beim Start in die Luft zu ziehen, rutschte einem das Herz in die Hose. Vor allem, wenn man wie Curry auf dem Passagiersitz saß und ängstlich beobachtete, wie die Piste mit jedem Meter kürzer wurde, die Bäume mit schwindelerregender Geschwindigkeit näher rückten und der rustikale Propeller vergeblich um Stabilität kämpfte.
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