Graaf einen neuen Besitzer hatte und dieser eine Besatzung suchte, drängten sich auch schon Dutzende Männer am Strand, die hofften, an Bord gehen zu dürfen.
Wer aber die riesige Kapitänskajüte betrat, deren Stil eher an ein schwüles Pariser Bordell als ein Piratenschiff erinnerte, war maßlos verblüfft. Auf dem riesigen, aus Ebenholz und Marmor gearbeiteten und mit leichtgeschürzten Nymphen verzierten Sessel saß eine attraktive junge Frau mit riesigen neugierigen Augen und strengem Blick. Jeder kannte sie, weil sie aus einem halbversunkenen Schiff ein märchenhaftes Vermögen aus riesigen Silberbarren geborgen hatte.
Rechts von Celeste Heredia saß fast immer ihr Vater, links gelegentlich Caspar Reuter. Stets bedeutete das Mädchen dem neuen Kandidaten lediglich mit einer Geste, auf einem Stuhl am anderen Ende des breiten Tisches Platz zu nehmen. Nachdem sie ihn einige Augenblicke schweigend gemustert hatte, pflegte sie ihn über seine früheren Aktivitäten zu befragen.
»Was du hier sagst, wird niemals nach draußen dringen«, schärfte sie ihm sofort ein. »Doch du kannst sicher sein, wenn du lügst und ich das rausfinde, hänge ich dich auf hoher See am Großmast auf. Verstanden?«
»Völlig klar, Senora.«
»In diesem Fall überleg dir gut, was du antwortest. Bist du irgendwann einmal auf einem Piraten, Korsaren, Sklaven- oder Freibeuterschiff gefahren?«
»Ja, Senora.«
»Dann kannst du gleich wieder gehen.«
Fiel die Antwort negativ aus, dauerte die Befragung wesentlich länger, und nachdem sie sich flüchtig Notizen in einem dicken Heft gemacht hatte, verabschiedete sie jeden Bewerber mit den gleichen Worten: »Binnen einer Woche erfährst du, ob du ausgewählt worden bist.«
Nur einmal lief die Zeremonie anders ab, als nämlich ein schmächtiges Männchen mit verblüffend tiefer Stimme völlig unbefangen antwortete, er habe sich zwar in den letzten drei Jahren dem wenig ehrenwerten Beruf des Glücksspielers gewidmet, eigentlich sei er aber Kapitän eines Schiffs der venezianischen Flotte gewesen.
»Warum hast du die Seefahrt aufgegeben?«
»Als ich in Port-Royal einlief, entdeckte ich, daß das meine wahre Welt war.« Er machte eine kurze Pause. »Aber Port-Royal gibt es nicht mehr.«
»Bist du desertiert?«
»Das ist nicht das richtige Wort, Senora. Wenn sich ein Kapitän so krank fühlt, daß er seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen ist, darf er aus freien Stücken die Befehlsgewalt dem Ersten Offizier übertragen. Das habe ich getan.«
»Und worin bestand Eure Krankheit?«
»Das Glücksspiel. Ich war wie besessen davon.«
»Jetzt nicht mehr?«
»Das Spiel ist nur aufregend, wenn man gewinnen oder verlieren kann. Aber wenn du zum Profi wirst und weißt, daß du auf lange Sicht stets gewinnst, wird es allmählich langweilig.«
»Könnt Ihr noch immer befehlen?«
»Ganz bestimmt. Ich bin sogar ein harter Kapitän, der seiner Mannschaft viel abverlangt. An Bord meines Schiffs war die Disziplin nicht minder eisern als auf jedem anderen venezianischen Schiff. Eher noch härter.«
»Kennt Ihr die afrikanische Küste?«
»Ich kenne alle Küsten und Meere der Welt, doch in der Karibik käme mir, ehrlich gesagt, ein guter Navigator sehr zupaß.«
Kaum hatte er die Kajüte verlassen, blickte Celeste Heredia erst ihren Vater, dann Gaspar Reuter an.
»Nun?« wollte sie wissen.
»Er scheint der richtige Mann zu sein«, räumte der Engländer ein. »Und wenn er als Kapitän nur halb so gut wie als Spieler ist, werden wir keine Probleme haben. Sein Ruf als Kartenspieler ist bereits Legende, und ich habe nie einen kaltblütigeren und gnadenloseren Mann kennengelernt. Stundenlang kann er schweigend verlieren, und dann rupft er mit drei Spielen seine Gegner auseinander.«
»Betrügt er?«
»In Port-Royal werden Betrüger als Futter für die Krebse bei lebendigem Leib bis zum Hals in den Sand eingegraben.«
»Vielleicht ist er einfach nur gerissener als die übrigen Glücksspieler.«
»Ein Punkt für ihn«, lobte Miguel Heredia. »Wenn wir an Bord das Glücksspiel verbieten, erledigt sich das Problem.«
»Die Besatzung muß spielen können«, gab ihm seine Tochter zu bedenken. »Oft ist es die einzige Zerstreuung. Wir brauchen es nur den Offizieren zu verbieten.«
»Werdet Ihr auch den Rum verbieten?«
Das Mädchen musterte den Engländer, der diese Frage gestellt hatte, von oben bis unten.
»Habt Ihr damit ein Problem?«
»Warum sollte ich das leugnen? Ein guter Krug Rum bei Sonnenuntergang, und die Nacht wird heller.«
»Aber der Verstand dunkler. Von meinem Bruder weiß ich, daß man an Bord immer ein Faß Rum haben muß, ihn aber nur zu besonderen Anlässen ausschenken sollte.« Sie machte eine Pause. »Gut! Wir sind uns einig, daß der Kleine unser Kapitän sein könnte. Wie heißt er übrigens?«
»Buenarrivo. Arrigo Buenarrivo.«
»Buenarrivo?« fragte Celeste Heredia. »Macht Ihr Scherze? Ein Schiffskapitän, der Buenarrivo heißt? Der ist zweifellos mit dem richtigen Namen geboren worden.«
»Wie ich gehört habe, stammt er aus einem alten venezianischen Seefahrergeschlecht, doch hier auf der Insel kennt man ihn eher unter dem Spitznamen Tresreyes.«
»Und woher kommt der?«
»Er hat einmal mit einem Blatt aus drei Königen ein ganzes Bordell mit über zwanzig Mädchen gewonnen.«
Eine Stunde später war Miguel Heredia mit seiner Tochter allein und beschwerte sich:
»Wie kannst du daran denken, eine Besatzung aus Sklavenjägern, Glücksspielern, Bordellkönigen und allem sonstigen Abschaum aus der sündigsten Stadt der Welt zusammenzustellen? Das ist verrückt!«
»Verrückt wäre es, Schreiberlinge, Klosterschüler und ehrbare Familienväter anzuheuern«, gab ihm Celeste zu bedenken. »Ich gebe mir ja Mühe, das Beste aus diesem Abschaum auszuwählen, doch Wunder kann ich keine verlangen. Das ist das Stroh, aus dem ich meinen Korb flechte.«
»Und wozu brauchst du diesen Korb?«
Anstelle einer Antwort zog ihn seine Tochter zum riesigen Achterfenster und zeigte auf die etwa fünfzig Schwarzen hinaus, die unter der mörderischen Sonne die Trümmer des alten Port-Royal aufräumten.
»Dazu!« sagte sie. »Eines Tages sollen diese Unglücklichen mittags im Schatten bleiben dürfen. Es ist nicht gerecht, daß man sie zwingt, in der Sonne zu zerfließen, während wir ihnen lediglich zuschauen.«
»Wenn du dir so viel Sorgen um sie machst, dann kauf sie doch und laß sie frei.«
»Nicht einmal ich kann alle Sklaven dieser Insel kaufen«, gab ihm das Mädchen zu bedenken. »Und selbst wenn ich soviel Geld hätte: Am nächsten Tag brächten sie mehr und mehr. Solange es Käufer gibt, wird es auch Verkäufer geben. Nein!« beharrte sie überzeugt. »Das Problem des Sklavenhandels muß man an der Wurzel packen.«
»Ich verstehe dich, meine Tochter«, antwortete Miguel Heredia. Tagtäglich drückte ihn die Last auf seinen Schultern mehr und mehr. »Ich verstehe, was du damit sagen willst, und ich bewundere deine Entschlossenheit. Doch ich mache mir Sorgen, daß du dich übernimmst. Du bist doch fast noch ein Kind!«
»Gott sei Dank!« rief sie aus und setzte sich auf das riesige Bett, das der Lüstling De Graaf mit bis zu drei oder vier Huren gleichzeitig geteilt hatte. »Wenn ich das nicht wäre, fiele es mir nicht einmal im Traum ein, dieses Schiff auszurüsten. Aber mach dir keine Sorgen. Ich denke über jeden Schritt genau nach.«
»Kapitän Tiradentes hast du ohne viel Federlesens aufgehängt«, bemerkte ihr Vater. »Ich bin immer noch der Meinung, daß sein Tod unnötig war.«
»Oft ist das Leben unnütz, nicht der Tod. Ich glaube nicht, daß dieser Hurensohn jemals etwas Gutes getan hat.«
Sie stand vom Bett auf, ging wieder ans Fenster und blickte auf das Meer jenseits der Landzunge von Port-Royal hinaus. Sie sah ihren Vater nicht an.
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