»Du redest von Respekt und sitzt mit deinem Hintern auf meiner Flagge? Daß ich nicht lache!«
Sie warf ihm einen schelmischen Blick zu, in dem er lesen konnte, daß sie echte Zuneigung zu einem Menschen gefaßt hatte, der vor dem letzten Abenteuer seines Lebens stand.
»Ich werde dir etwas versprechen, was deine verdorbene Seele wahrscheinlich erfreuen wird«, raunte sie. Obwohl niemand sie hören konnte, flüsterte sie ihm ins Ohr: »An dem Tag, an dem mein Hinterteil nicht mehr ehrbar genug ist, um auf deiner Fahne zu sitzen, werde ich das Kissen ins Meer werfen.«
Der Holländer riß die Augen auf, um in einem tragischkomischen Ton hoffnungsvoll zu fragen:
»Diese Nacht?«
»Nein, tut mir leid«, antwortete sie ruhig. »Nicht diese Nacht und wahrscheinlich auch nicht dieses Jahr.«
»Schade!« beklagte sich der andere. »Mein französisches Kindermädchen hat mir auf sehr überzeugende Weise etwas beigebracht: Im zarten Alter die Jungfräulichkeit zu verlieren regt den Geist an und erweitert den Horizont.«
»Ich glaube, da erweitert sich etwas ganz anderes«, lachte sie. »Und im Augenblick bin ich so zufrieden. Allerdings muß ich zugeben, daß du bislang am nächsten dran bist, meinen Geist >anzuregen<. Du bist wirklich ein charmanter Mann, und daran werde ich mich immer gerne erinnern.«
»Du bist aber auch bezaubernd, auch wenn viele Leute behaupten, daß du härter als Kieselstein bist. Weißt du, wie sie dich nennen?« Celeste schüttelte den Kopf, und De Graaf fügte mit übertriebener Gelassenheit hinzu: »Die Silberdame.«
»Die Silberdame?« wiederholte das Mädchen. »Das gefällt mir gar nicht schlecht. Immerhin holt nicht jeder ein Vermögen aus Silberbarren aus dem Meer.«
»Dazu würde ich dich gerne etwas fragen, und ich gebe dir mein Wort, daß ich das Geheimnis stets hüten werde. Handelt es sich da vielleicht um das Silber, das angeblich Mombars dem Todesengel als Schiffsballast gedient hat?«
Celeste Heredia zuckte lediglich mit den Schultern und entgegnete ausweichend:
»Schon möglich.«
»Und wie ist es auf die Jacare gekommen?«
»Das ist eine lange Geschichte. Eine lange Geschichte voller List und Heldentum.«
»Es ist kaum zu glauben, daß ein Küstensegler wie die Jacare, die man fast hätte übersehen können, als sie neben mir ankerte, das Schiff von Mombars versenken konnte. Es war sogar mir an Feuerkraft überlegen.«
»Kennst du die Geschichte von David und Goliath?« Der Holländer nickte. »Nun, mein Bruder war wie David, aber ohne Schleuder. Er brauchte sie nicht, weil er der gerissenste Pirat war, der je auf diesen Meeren gesegelt ist.« Sie wies hinter sich. »Ich lasse sechs Zweiunddreißigpfünder am Achterschiff aufstellen: drei auf dem Oberdeck und drei unter meiner Kajüte.« Sie sah ihm in die Augen. »Weißt du, warum? Eines Nachts, als wir hier vor Anker lagen, hat mein Bruder auf dein Schiff gezeigt und mir gesagt: >Es ist das schönste Schiff, das es gibt, aber auch das verwundbarste; es hat einen gläsernen Hintern. <���«
»Einen gläsernen Hintern?« wiederholte der Pirat sichtlich beleidigt. »Was willst du damit sagen?«
»Daß man zweifellos niemals ein schöneres Achterschiff entworfen hat: ein wahres Kunstwerk. Dummerweise hat es nur zwei läppisch kleine Kanonen. Die Jacare hätte drei Stunden lang deinem Kielwasser folgen und eine Salve nach der anderen auf dich abfeuern können, ohne daß du hättest wenden oder auch nur eine deiner großkalibrigen Kanonen abfeuern können. Du manövrierst so langsam, daß ein guter Kapitän schon Minuten vorher voraussagen kann, ob du steuerbord oder backbord wenden wirst.«
»Ich habe dem Feind niemals mein Achterschiff geboten!« knirschte Laurent de Graaf indigniert. »Flucht ist nicht mein Stil.«
»Mit dem Achterschiff kann es dir gehen wie mit dem Hintern: Den bietest du nicht an, an den packt man dir ohne Erlaubnis«, stellte das freche Mädchen humorvoll klar. »Wie jeder gute Pirat bist du davon überzeugt, daß stets du der Angreifer bist, und das ist dein Problem. Wie war das gleich wieder in Maracaibo…?« fügte sie spitz hinzu. »Als du erkennen mußtest, daß du nicht gewinnen konntest und umkehren mußtest, da hattest du Seitenwind und hast fast eine Stunde gebraucht, um außer Schußweite zu gelangen.« Sie machte eine ausholende Handbewegung. »Das Resultat kann man sehen.«
»Wer hat dir das erzählt?«
Celeste Heredia breitete die Arme aus, als ob man ihr eine stockdumme Frage gestellt hätte.
»Das Schiff natürlich! Schau dir nur die Einschläge an! Fast alle im Achterschiff. Also hattest du die feindlichen Kanonen im Rücken. Dabei hast du noch Glück gehabt, daß dir nur der Besanmast flötengegangen ist. Einen Meter steuerbord, und der Beschuß hätte dir den Großmast gebrochen, und dann wärst du wahrscheinlich kaum mit dem Leben davongekommen.«
Der alte Kapitän De Graaf, ein in hundert Schlachten gestählter Seewolf, der bei jedem Wetter auf den Weltmeeren gesegelt war, betrachtete schweigend und mit kaum verhohlener Bewunderung das verblüffende Mädchen, das auf dem Platz genommen hatte, was einmal seine glorreiche Fahne gewesen war.
»Verdammt noch mal!« rief er schließlich aus. »Aus welchem Schoß bist du eigentlich gekrochen?«
»Aus dem meiner Mutter.«
»Das nehme ich an, aber ich kann kaum glauben, daß du solche Überlegungen anstellst und dabei angeblich noch nicht einmal weißt, was ein Mann ist.«
»Und was hat das Bett mit der Logik zu tun?« wollte sie wissen. »Nach allem, was ich weiß, geht es im Bett ums Gefühl und nicht um den Verstand. Aber sowohl mein Lehrer als auch mein Bruder waren Männer, die denken konnten und mir beigebracht haben, daß der gesunde Menschenverstand die mächtigste Waffe ist, die wir haben. Diese wende ich an, obwohl ich natürlich auch die Kanonen nicht verachte.«
»Potztausend!« lautete die brüske Antwort. »Wir wären wirklich ein unschlagbares Paar geworden.«
»Kein Paar ist unschlagbar, schon deshalb, weil man es teilen kann«, gab sie ihm zu bedenken. »Nur den menschlichen Geist kann man tausendmal niederwerfen, und doch erhebt er sich tausendmal wieder.«
Wieder an Land, lief der übellaunige Laurent De Graaf Miguel Heredia Ximenez über den Weg, der eine Gruppe anführte, die den langen und schweren Mast der Botafumeiro trug. Er hielt ihn an und fragte fast aggressiv:
»Sagt mir… was zum Teufel empfindet Ihr, so eine Tochter zu haben?«
Der Margariteno sah ihn einige Augenblicke lang an, bevor er sehr ernst antwortete:
»Fassungslosigkeit.«
»Ach ja…«, seufzte der Holländer erleichtert. »Dann geht es ja nicht nur mir so.«
Eine ganze Horde von Leuten machte sich nun über das Schiff her, um es anzustreichen, zu kalfatern, vom Pilz zu befreien und damit die Galeone wieder seetüchtig zu machen. Die Mischung aus Farbe, Teer und stinkenden Kräutern, die man im Kielraum verbrannte, um Ratten und Kakerlaken zu vertreiben, roch so erbärmlich, daß Celeste und Miguel Heredia in ihr Domizil nach Caballos Blancos flüchteten. Dort empfingen sie etwa fünfzig Sklaven, die auf den Plantagen arbeiteten, mit betrübtem Gesichtsausdruck.
»Was ist los?« wollte das Mädchen wissen und wandte sich sofort an den Koch, einen dicken, schwitzenden Senegalesen, der früher stets gelächelt hatte, jetzt aber mit sorgenvoller Miene durch den großen Speisesaal ging. »Was sollen diese Gesichter?«
»Es heißt, die Herrschaft verläßt die Insel und will uns an Mr. Klein verkaufen«, jammerte der Hüne. »Und Mr. Klein handhabt die Peitsche sehr großzügig.«
»Aber was ist das denn für ein Unsinn?« entgegnete Celeste überrascht und blickte fragend ihren Vater an. »Hast du vielleicht durchblicken lassen, daß wir gehen?« Als ihr Vater den Kopf schüttelte, blickte sie den kummervollen Dickwanst an. »Selbst wenn wir die Insel verlassen, kommen wir wieder zurück, denn nur hier besitzen wir ein Haus. Und kein Mensch wird euch verkaufen. Da könnt ihr ganz sicher sein.«
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