»Ich muß darüber nachdenken, und ich bin noch nicht einmal sicher, ob ich es überhaupt verkaufen will. Willst du auch die Fahne haben?«
»Aus der kannst du dir ein Kissen machen.«
Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben war der holländische Don Juan in Gegenwart einer Frau sprachlos. Einige Augenblicke sagte er gar nichts, dann schlug er sich wiederholt an die Stirn, als wollte er sich davon überzeugen, daß er nicht träumte.
»Teufel noch mal!« murmelte er schließlich. »Vor kaum drei Monaten lag ich hier in der Bucht, mein Orchester spielte in Sichtweite der prunkvollsten Stadt, und ich zerbrach mir den Kopf darüber, ob ich für die Nacht nun zwei oder drei Frauen mit ins Bett nehmen sollte. Und jetzt habe ich kein Orchester mehr, mein Schiff ist ein halbes Wrack, von der prachtvollen Stadt stehen nicht einmal mehr die Grundmauern, und ein unverschämtes Mädchen will, daß ich mich auf eine Fahne setze, die in hundert Schlachten siegreich war. Ich glaub’s einfach nicht!«
»Glaub’s lieber. Soweit ich weiß, haben sie dir in Maracaibo in diese Fahne so viele Löcher geschossen, daß sie nicht einmal mehr als Kissen taugt.«
»Auf deiner Fahne wird wohl ein Totenkopf mit Fächer prangen«, reagierte ihr Gegenüber bitter. »Hat dir niemand gesagt, daß die beiden einzigen weiblichen Piraten, die es je gegeben hat, am Galgen gelandet sind? Eine von ihnen habe ich gekannt.«
Das Mädchen nickte lächelnd.
»Doch, das hat man mir schon gesagt. Aber mit der Seeräuberei will ich nichts zu schaffen haben. Dieses Metier hat keine Zukunft, und das beste wird sein, du gibst es ebenfalls auf.«
»Das fürchte ich auch«, gestand der andere. »Aber sag mir, wenn du keine Piratin werden willst, was zum Teufel fängst du dann mit einer Galeone mit 78 Kanonen an?«
»Das geht nur mich was an.«
»Natürlich. Aber ich war dabei, als man den Kiel gezimmert hat, ich habe den Bau Tag für Tag verfolgt, das Schiff seit seiner Jungfernfahrt befehligt, und ich mag es nicht aufgeben, ohne zu wissen, was aus ihm wird.«
»Wahrscheinlich wird es auf dem Meeresgrund landen. Wie alle anderen auch. Doch soweit ist es noch lange nicht.« Celeste schenkte ihm ihr süßestes und unschuldigstes Lächeln. »Tut mir leid, doch in dieser Hinsicht kann ich dich nicht zufriedenstellen.«
Der andere warf ihr einen vielsagenden Blick zu und erkundigte sich ironisch:
»Gibt es denn etwas, womit du mich >zufriedenstellen< könntest?«
»Glaub ich nicht«, gab das Mädchen belustigt zurück. »Schon deshalb, weil es nichts gibt, womit du mich >zufriedenstellen< könntest. Du bist zwar tatsächlich der attraktivste Mann, den ich bisher kennengelernt habe, und dein Ruf ist durchaus berechtigt, doch dummerweise gefallen mir schöne Männer nicht.«
»Und welche gefallen dir, wenn man fragen darf?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Heute will ich nur ein gutes Schiff kaufen.«
Eine Stunde später sagten sie sich wie alte Freunde Lebewohl. Der Holländer versprach, ihr binnen drei Tagen schriftlich die Höhe der Kaufsumme zukommen zu lassen, die er für das Schiff fordern würde, falls er es überhaupt verkaufen würde.
Wieder an Land, suchte Celeste ihren Vater auf. Miguel Heredia saß unter einer Palme und sah sie fragend an.
»Und nun? Wie ist es dir mit dem Unwiderstehlichen ergangen?«
»Besser, als ich zu hoffen gewagt habe. Noch ein paar Stunden länger allerdings, und ich wäre tatsächlich in seiner Kajüte gelandet. Er ist wirklich ein charmanter Mann. Kein Wunder, daß ihm die Frauen zu Füßen liegen.« Sie machte eine kurze Pause. »Aber er hat ausgespielt, und das weiß er besser als jeder andere.«
»Wird er verkaufen?«
»Bestimmt.«
»Du bist dir ja sehr sicher.«
»Was bleibt ihm anderes übrig? Er kann sein Schiff nicht reparieren, selbst wenn er sein letztes Hemd versetzen würde. Außerdem weiß er nicht, wo er das machen lassen könnte. Ich bin sein Rettungsanker, und das weiß er.«
Wie war das möglich, fragte sich der Alte, daß das kleine süße Mädchen, das er oft huckepack auf den Schultern getragen hatte, jetzt eine Frau war, die stets zu wissen schien, was sie wollte und wie sie es bekam? Sie schien rein gar nichts mit ihren Geschlechtsgenossinnen gemein zu haben.
Zwar hatte sich auch Celestes Mutter, die unglückliche Emiliana Matamoros, nichts sagen lassen, doch war sie nicht im mindesten so charakterfest gewesen wie ihre Tochter, die Miguel Heredia immer ein Rätsel bleiben würde.
Resigniert setzte er sich daher in die kleine Kutsche neben Celeste. Auf schnellstem Wege kehrten sie nach Caballos Blancos zurück, ohne während der Fahrt auch nur ein einziges Wort zu sprechen.
Als sie ankamen, wurden sie von einer schwarzen Stute überrascht, die an das Eisengitter gebunden war. Der elegante Gaspar Reuter lag im Schatten eines AraguaneyBaumes und hatte sich einen breitkrempigen Hut über das Gesicht gezogen.
»Ich habe den Mann«, sagte er sofort.
»Wo?« wollte Celeste Heredia aufgeregt wissen. Ihre Kälte und Distanziertheit der letzten Tage war wie weggeblasen.
»Folgt mir.«
Er führte sie durch den dichten Wald zu einer großen Lichtung, auf der eine verfallene Sklavenhütte stand. Die hatte wohl früher einmal als Lagerschuppen gedient.
Auf dem Boden saß ein schmutziger, verdrossen dreinblickender Mann. Er war fest an einen Pfahl gefesselt, und sein linker Arm hing schlaff herab.
Ungerührt hielt der Verletzte den Blick des Mädchens aus. Schließlich fragte Celeste:
»Heißt du Joao Oliveira und hast du die Botafumeiro befehligt?«
»Schon möglich.«
»Hast du die Besatzung der Jacare kaltblütig massakriert?«
»Ich habe sie hingerichtet«, stellte der andere klar. »Es war ein Piratenschiff.«
»Du wußtest aber sehr gut, daß die englischen Gesetze Port-Royal stets als sichere Zuflucht gesehen haben.«
»Die englischen Gesetze kümmern mich einen Dreck. Ich hatte andere Befehle.«
»Wer gab sie dir?«
Der schmutzige Kapitän Tiradentes ließ seine Blicke über das vor ihm stehende Mädchen wandern, dachte einige Augenblicke nach und spuckte schließlich geräuschvoll auf ihr makelloses zartrosa Kleid.
Gaspar Reuter trat vor, um seinem Gefangenen einen Schlag zu versetzen, doch Celeste gebot ihm Einhalt. Gleichmütig sah sie zu, wie die Spucke langsam ihren Rock hinabtropfte, und murmelte sehr gelassen:
»Das schaffe ich schon allein.«
Urplötzlich schoß ihr Fuß vor. Die Spitze ihres zarten Schuhs landete brutal auf dem schlaffen Arm des Portugiesen, der vor Schmerzen aufheulte.
»Hör mir gut zu, du Hundesohn«, raunte das Mädchen, als der andere schließlich verstummt war. »Soweit ich weiß, hast du dreißig meiner Freunde kaltblütig ermordet und ihnen die Köpfe abgeschnitten.« Sie hockte sich vor ihn hin, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. »Dafür wirst du bezahlen, aber du kannst wählen: Entweder du wirst einfach nur aufgehängt, oder du dienst als lebendiges Fischfutter für die Haie. Entscheide dich also, denn ich bin mit beiden Methoden vertraut. Mein Bruder hat sie mir beigebracht.«
»Du bist also die berühmte Schwester von Kapitän Jack? Das hätte ich mir eigentlich denken können. Pedrarias haßte dich wie einen Todfeind.«
»Was weißt du von Pedrarias?«
»Daß er ertrunken ist.«
»Hat er dich angeheuert?«
Joao Oliveira nickte. Jeglicher Widerstand war offensichtlich zwecklos, und er hatte es mit einer Frau zu tun, die durchaus in der Lage war, ihn bei lebendigem Leib zu den Haien zu schicken.
Celeste stieß einen tiefen Seufzer aus, richtete sich auf und blickte ihren Vater an, der es vorgezogen hatte, reglos an der Tür zu verharren. Schließlich löcherte sie Tiradentes weiter:
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